Der alte Sack als Jungsversteher

Joachim Lottmann erforscht in seinem neuen Roman "Die Jugend von heute"

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man sollte Joachim Lottmann nicht über den Weg trauen. Er ist ein literarischer Schaumschläger, lässt Luftblasen steigen, die hübsch anzusehen sind, aber jederzeit platzen können und einen entzaubert zurücklassen. Man merkt dann: alles nur Seife. Seine radikale Subjektivität, sein authentischer Gestus, seine Unbekümmertheit im Umgang mit Klischees, seine irritierende Verletzung so ziemlich aller linksliberalen Tabus, seine vermeintlich harmlos daherkommende Sprache - all das verblüfft immer wieder. Man weiß wirklich nicht, wo bei ihm die Ironie anfängt und der bittere Ernst aufhört. Lottmann bewegt sich seit seinem inzwischen fast schon klassischen Poproman "Mai, Juni, Juli" aus dem Jahr 1988 auf brüchigem Eis, dreht da seine Pirouetten und bricht zwischendurch auch immer wieder ein. Da macht er dann keine gute Figur. Das wirkliche Leben ist ihm die schönste Erfindung, das Fiktive bleibt immer aufs Engste der Realität verhaftet. Zumindest gibt seine Prosa das vor.

Joachim Lottmanns dritter Roman ist nichts anderes als eine Hommage an Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre oder Christian Kracht, die hüftsteife Verbeugung des 1956 geborenen Godfathers der Dandy-Popliteratur vor seinen jüngeren Epigonen - eine schöne Revanche. Als Lottmann im letzten Jahr die Popliteratur in einer pompös annoncierten und dann doch etwas bescheiden ausgefallenen Veranstaltung verabschiedete, kündigte er bereits ein seriöseres Werk über das Alter an. Dass er es damit so ernst meinen würde, war damals noch nicht zu ahnen. "Die Jugend von heute" lautet der von Blumfeld entliehene Romantitel, der gleich ins Zentrum des Interesses seines Ich-Erzählers führt. Johannes Lohmer - ausgestattet mit etlichen biografischen Details, die ihn mit seinem Schöpfer verbinden - wird uns zunächst als berlinmüder, insgesamt etwas am Leben verzweifelter Mann Anfang 40 vorgestellt. "Ich sagte laut, dass ich dieses finstere Stalingrad nun verlassen würde, noch heute. In meiner Wohnung befände sich nur noch ein gepackter Koffer." Jo - wie er von seinen Freunden genannt wird - ist am Herzen angegriffen. Berlin scheint nur noch eine Stadt für junge Menschen zu sein, und seit dreieinhalb Jahren ist sein Liebesleben eigentlich inexistent. Aber was erwartet ihn im Rest der Republik? Schon in Tempelhof sei es ja gar nicht mehr auszuhalten, meinen die, die es gut mit ihm meinen. Auch die Berlinflucht hilft also nicht, da das ganze Faserland am Darben und in tiefer Depression gefangen ist. "Die Deutschen sind das unglücklichste Volk der Welt, total vergreist, kraftlos, visionslos ... die Stimmung ist doch exakt so wie unmittelbar vor Hitlers Machtergreifung: völlig im Eimer. Aber es kommt kein Hitler mehr ..."

Die Rettung jedoch naht: Johannes Lohmer gibt der Metropole nochmals eine Chance, vor allem aber der Jugend, die immer wieder etwas "aufstellt", das den skurrilen Ethnologen erheitert, zumindest interessiert und das ihm neuen Liebesmut verleiht. So wird dem guten Onkel Jo von der Clique seines Neffen Eli ein ums andere Mal vorgeführt, wie es mit der Generation der Twentysomethings heute ausschaut. Jo lernt auf diese Weise auch etliche junge Frauen kennen, es wird "gebohnert" oder zumindest übers "Bohnern" gesprochen, der Leser zieht mit dem Erzähler von Szeneort zu Szeneort und wird sich langsam, aber sicher bewusst, dass hier die unbekümmerte Spaßgesellschaft noch unverbrüchlich am Werk sein muss - mit von der prinzipiellen Perspektivlosigkeit ihres Tuns natürlich schon verschatteter Stimmung. Und einem Problem: "Die von mir so bewunderte und engagierte Jugend von heute war vollkommen krank. Und zwar in einem Ausmaß, das noch keiner vor mir erkannt hatte. Mehr noch: Definierte man Jugend als die Zeit nach der Kindheit und vor der Berufstätigkeit, so gab es seit den 90er Jahren gar keine Jugend mehr. Keiner erreichte mehr postpubertäre Reife. Ich war der letzte lebende Teenager." Und ein bisschen prägnanter: "Unsere Kultur, also die Jugendkultur, war erkenntnisimmun. Alle Körper waren knackig, und alle Gesichter waren die von Kindern." Eine Jugend also, die gar nicht richtig Jugend ist, metrosexuell durch ihre endlose Party stolpert, und vor allem: niemals endet. Eine Horrorvorstellung.

Als letztem lebenden Teenager bleibt JoLo nicht viel erspart: neue Wunderdrogen ebenso wenig wie das endlose Geplapper von Mirandas, Saphias, Gabrielas, Bibas und diversen Julias, Besuche im Münchener Harem von Rainer Langhans (den Lottmann bzw. Lohmer nicht zu schätzen scheint, und dem er einen gnadenlosen Schauprozess macht), Ausflüge ins Seniorenparadies Österreich und vieles mehr. Es sind einzelne Episoden, die zusammengehängt, manchmal auch zusammengestückelt werden. Zuweilen ist das wohl eher unbeabsichtigt ein wenig redundant. Und es ist witzig, zumindest in manchen Passagen. Die Jugend wird mit Skepsis ("Die Jugend von heute war auf der ganzen Welt gleich") und zunehmend bewundernd betrachtet ("Warum nur war die deutsche Jugend so sexy, sah so fantastisch aus, die Jungs so athletisch und männlich, die Mädchen alle bauchfrei und supercool? In Mitte waren von zehn entgegenkommenden Frauen acht unter 30, und sieben davon waren direkt einem MTV-Clip entstiegen"). Am Ende will der Erzähler wieder in Berlin leben, mit Haut und Haaren, weil es da doch "endkrass" ist. Es ist eine Entscheidung für die Jugend von heute. Überhaupt für die Gegenwart.

Dann aber verschwindet Neffe Eli, das große, ewig adoleszente Vorbild, und plötzlich wird dem Erzähler klar, dass dies seine Chance sein könnte, in Würde erwachsen zu werden. Da endet das Buch. Vielleicht ist ja der nächste Roman von Joachim Lottmann doch ein richtiger übers Alter, ein Alterswerk, so wie "Die Jugend von heute" ein wunderliches, albernes, banales und hochcharmantes Buch über die Angst (einer Gesellschaft) vorm Älterwerden ist.

Titelbild

Joachim Lottmann: Die Jugend von heute. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
319 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 346203426X

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