Another Side of Bob Dylan

Der große "Song and Dance Man" legt mit "Chronicles. Volume One" den ersten Teil seiner Autobiografie vor - und bleibt weiter rätselhaft

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An der Frage, wer Bob Dylan denn nun eigentlich sei, ist schon so mancher Biograf kläglich gescheitert. Dylan, ein Mann der Masken und Verstellungen, hat sich immer hakenschlagend aus dem Staub gemacht, wenn man ihm ein Etikett anhängen wollte. Als er zum Protestsänger einer Generation ausgerufen wurde, wollte er lediglich ein "song and dance man" sein. Als er der Vorzeigefolksänger einer esoterischen Szene zu werden drohte, schloss er seine Gitarre an einen Verstärker an und spielte "bösen" Rock'n'Roll. Als er die Ansprüche der Öffentlichkeit nicht mehr aushielt, fiel er vom Motorrad und wäre beinahe gestorben. Als die Studenten die Revolution probten, nahm er ein Country Album auf. Als man von ihm politische Statements forderte, schrieb er die schmerzhaftesten Songs über das Verlassenwerden. Und so ging es immer weiter. Vielleicht wusste Bob Dylan bei der ganzen Heldenverehrung, die ihm seit seinen frühesten Platten zu Beginn der 60er Jahre zuflog, selber nicht mehr so recht, wer dieser 1941 in Duluth, Minnesota, als Robert Allen Zimmerman geborene Mann eigentlich ist.

Nun, viel schlauer ist man zum Glück nach der Lektüre des ersten Teils seiner auf drei Bände angelegten Autobiografie "Chronicles" auch nicht. Dafür ist Dylan eben viel zu listig. Einiges aber erfährt man doch. Wer bei dem Titel "Chronicles" an laufende Geschichtsaufzeichnungen im biblischen Sinne denkt und zugleich die Aufschlüsselung seiner Verwandtschaftsverhältnisse erwartet, ist falsch gewickelt. Dylan spürt vielmehr Wahlverwandtschaften nach, und das macht er streckenweise auf faszinierende Weise. Das 'erste Buch Bob' konzentriert sich auf wenige wichtige Weggabelungen in seiner Lebensgeschichte. Zunächst treffen wir den jungen Dylan in New York - "die Stadt, die mein Schicksal bestimmen sollte. Das moderne Gomorrha." Für Dylan ist New York eine riesige Universität: Er liest die Metropole, saugt ihre Geschichten auf, macht sich ihr Tempo zu eigen, er lernt eine Vielzahl von Künstlern kennen, hört sich Konzerte von Folksängern an und spielt selber in kleinen Clubs; immer wieder entdeckt er neue Musik (eine Begegnung mit Brecht/Weill-Kompositionen ist für ihn besonders prägend). Er durchstöbert Bibliotheken, verschlingt von Balzac bis Clausewitz alles, was ihm in die Hände fällt. Er schlägt und schnorrt sich durch den Moloch, und wo ihm Freunde Unterkunft anbieten, bleibt er eine Weile, ohne sich zu binden. Mit anderen Worten: Bobby Zimmerman schüttelt seine Vergangenheit und Jugend ab und gibt sich eine neue Identität - er reift langsam vom Bewunderer und Epigonen Woody Guthries zum eigenständigen Songschreiber. Und er erfindet sich einen neuen Namen, zusammengesetzt aus seinem und dem Vornamen von Dylan Thomas.

Das sind nicht unbedingt überraschende Erkenntnisse, aber Bob Dylan beschreibt diese Zeit mit einer solchen Akribie, dass sie greifbar wird: Er zählt Namen und Songs auf, weil alleine die Nennung für ihn schon eine Magie entfaltet. Er erinnert sich mit rührender Detailliebe an die Einrichtungen von Wohnungen, schildert eindrücklich und in wenigen Worten, schnodderig fast, die romantische Unwirtlichkeit New Yorks in einem kalten Winter. Der heute 63-Jährige lässt uns teilhaben an der Begeisterung eines jungen Mannes, der fest entschlossen ist, in der Musik mindestens so revolutionär zu wirken wie Picasso in der Malerei. Und der unbedingt auf die Bühne muss: "Genaugenommen wollte ich für jeden spielen. Ich hatte noch nie in meinem Zimmer sitzen und nur für mich selber spielen können. Ich musste für andere spielen, und zwar immer. Man kann sagen, daß ich öffentlich übte, dass mein ganzes Leben zu einer öffentlichen Probe wurde."

Die weiteren Episoden von Dylans Memoiren zeigen ihn in entscheidenden und schwierigen Situationen seines Lebens: Woodstock 1968, ausgebrannt, von den Medien und den Fans verfolgt, würde er am liebsten ein normales Familienleben führen. "Meine Familie war mein Licht, und dieses Licht wollte ich um jeden Preis beschützen." Er hasst die durchgeknallten Hippies, die ihm keinen Quadratmeter Raum lassen, deckt sich sogar mit Pistolen ein, um sich notfalls gegen die Aufdringlichkeit seiner Bewunderer wehren zu können.

Zwei Jahrzehnte später steht er wieder an einem Wendepunkt: Ihn trifft die Erkenntnis, mit den eigenen Songs nichts mehr zu tun zu haben - es sei denn, sie würden anders, lebendig, immer wieder neu gespielt. Und so fällt die Entscheidung, auf eine lange Tour zu gehen - die bekanntlich bis heute nicht beendet ist: Das ganze Leben eine öffentliche Probe.

Dylan ist bei all diesen Schilderungen auf eine sympathische Weise geschwätzig, ausschweifend und pointiert zugleich, die Sätze sind zuweilen locker 'rausgerockt', bilderreich und pathetisch. Er schreibt an gegen den Ruhm, der ihm das Leben zeitweise zur Hölle machte - ihm aber gleichwohl alle Möglichkeiten seiner künstlerischen Entfaltung bot. Letztlich ist Dylan also auch in seiner Autobiografie, in der er nichts als die Wahrheit verkünden will, der alte geblieben: In jeder Zeile spürt man den Impuls, sich zu entziehen, die Bilder, die in der Öffentlichkeit von ihm kursieren, loszuwerden. Und damit schafft er natürlich immer neue Bilder und Mythen. Den Dylanologen freut's.

Titelbild

Bob Dylan: Lyrics 1962-2002.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gisbert Haefs.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2003.
1200 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3455015913

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Titelbild

Bob Dylan: Chronicles 1.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gerhard Henschel.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 345509385X

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