Jüdische Philosophie

Heinrich und Marie Simon legen ein beachtenswertes Kompendium vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Benennung ist so problematisch wie die Sache selbst." Dieser doppelten Problematik jüdischer Philosophie nehmen sich Heinrich und Marie Simon in einem philosophiegeschichtlichen Kompendium an, das sowohl die Funktion eines Lehrbuches als auch eines Nachschlagewerkes durchaus erfüllt.

Zunächst wird der Begriff "jüdische Philosophie" erörtert und bestimmt. Hierbei beschränken sie sich nicht auf eine bloße Definition, sondern entwickeln ihr Verständnis des Begriffs durchaus nachvollziehbar aus der Sache. Allerdings setzen sie, wie sie gleich eingangs betonen, bei den Lesenden ein "gewisses Maß an Vertrautheit mit dem philosophischen Fachwortschatz" voraus. Besondere Kenntnisse semitischer Sprachen und jüdischer Realien sind hingegen nicht notwendig.

Das einheitsstiftende Moment jüdischer Philosophie, so Heinrich und Marie Simon, bestehe im Versuch "die jüdische Religion mit der griechischen Philosophie zu verbinden". Jüdische Philosophie dürfe also nicht auf bloße Religionsphilosophie verkürzt werden. Wohl aber sei sie an Religion gebunden. Doch noch weiteres sei notwendig, um eine Philosophie als jüdische auszuweisen: Der Philosoph müsse dem zeitgenössischen Verständnis gemäß Jude gewesen sein, er müsse Fragen untersuchen, die für die jüdische Gemeinschaft von Belang sind und sich mit seinem Werk an diese richten. (Eine Philosophin, das sei hier bemerkt, konnte der Rezensent in dem Buch nicht entdecken, was nicht Schuld des Verfassers und der Verfasserin sein mag, sondern in der jüdischen Philosophiegeschichte begründet.) Was Autor und Autorin hiermit zur Begriffsbestimmung jüdischer Philosophie heranziehen, ergibt eine ziemlich genaue Beschreibung einer bestimmten, von Juden im spanischen Mittelalter betriebenen Philosophie. Ohne sich mit den verschiedenen historischen und gegenwärtigen Bestimmungen dessen, was jüdische Philosophie sei, auseinander zu setzen, kommen sie somit im Ergebnis dem traditionellen Verständnis jüdischer Philosophie sehr nahe.

Die fehlende Auseinandersetzung mit der Begriffsgeschichte muss nun nicht unbedingt ein großer Mangel sein. Allerdings wäre ein Hinweis darauf wünschenswert gewesen, dass eine in Israel virulente Interpretationsgemeinschaft den Begriff einer jüdischen Philosophie überhaupt ablehnt, da es eine mittelalterliche jüdische Philosophie gar nicht gegeben habe. Statt dessen wird in diesen Kreisen bevorzugt von "jüdischem Denken" (machshevet jehudit) gesprochen.

Ebenfalls erwähnenswert wäre gewesen, dass der Terminus "jüdische Philosophie" im Mittelalter noch nicht aufgetreten ist. Er gibt also nicht das Selbstverständnis der im nachhinein so bezeichneten und dadurch zusammengefassten Philosophen wieder, sondern ist ein Produkt der Philosophiehistoriker. Solche nachträglich geprägten Termini zur Bezeichnung von philosophischen Schulen, Gruppen oder Disziplinen sind stets problematisch.

Dennoch: die Argumentation des Autors und der Autorin überzeugt, und die Definition erscheint zumindest legitim. Nicht zuletzt, weil heute "die denkerischen Leistungen des Mittelalters Inbegriff jüdischer Philosophie überhaupt" sind.

Ihrer Auslegung gemäß macht denn auch die mittelalterliche jüdische Philosophie gut vier Fünftel des Buchumfanges aus. Sie setzte mit Isaak Israel (Mitte des 9. - Mitte des 10. Jahrhunderts) ein und in ihrem Zentrum - ebenso wie in dem des Buches - steht der alles überragende Maimonides (1135-1402), umringt von einer Anzahl weniger bekannter Philosophen wie Abraham ibn Esra (ca. 1089 - ca. 1164) oder Josef Albo (ca. 1380 - ca. 1440). Antike und Neuzeit hingegen bilden kaum mehr als Pro- und Epilog.

Dass so mancher bedeutende jüdische Philosoph gänzlich unberücksichtigt bleibt, etwa Spinoza, mag auf den ersten Blick befremdlich wirken. Ebenso, dass von Moses Mendelsohn zwar die Schrift "Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum" behandelt wird, nicht aber der allgemein stärker beachtete und von Kant stark kritisierte "Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele", von Hermann Cohen zwar dessen postum publizierte Altersschrift "Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums", nicht aber sein groß angelegtes systematisches Hauptwerk mit der "Logik der reinen Erkenntnis" an der Spitze. Doch aufgrund der Anlage der "Geschichte der jüdischen Philosophie" sind diese Beschränkungen sehr wohl nachvollziehbar.

Dennoch hätte man die eine oder andere Schrift aus der Nähe des Grenzgebietes zur jüdischen Philosophie gerne berücksichtigt gesehen. Etwa die "Heilige Geschichte der Menschheit" des weithin unbekannten Moses Hess (1812 - 1875), "einem Jünger Spinozas".

Dessen ungeachtet bleibt als Fazit, dass es Heinrich und Marie Simon gelungen ist, ein weithin verlässliches und im gesteckten Rahmen umfassendes Kompendium zu einem auch für Studierende erschwinglichen Preis vorzulegen.

Titelbild

Heinrich Simon / Marie Simon: Geschichte der jüdischen Philosophie.
Reclam Verlag, Leipzig 1999.
322 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 337901656X

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