Eine Stimme, drei CDs, ein Roman
Mechthild Großmann liest A. L. Kennedys "Gleissendes Glück"
Von Martin Gaiser
Der Berliner Wagenbach Verlag ist einer der wenigen kleineren unabhängigen Verlage, die sich durch Kontinuität, Autorentreue und angenehmen Starrsinn seit langer Zeit in einer Nische halten. Immer wieder finden sie für ihr literarisches Programm Autorinnen und Autoren (ich erinnere mich sehr gern an Santiago Gamboas Debüt), mit denen sie dann für lange Zeit arbeiten. Eine solche Autorin ist auch A. L. Kennedy. Eine Schottin, Jahrgang 1965, deren Bücher (es sind bei Wagenbach mittlerweile sechs) vor allem bei der Kritik hohes und höchstes Lob bekommen, die sich aber auch, und das ist sicher das Verdienst des hartnäckig arbeitenden Verlages, ihren Weg zu den Lesern bahnen. Und zu den Hörern. Denn Wagenbach macht auch Hörbücher, meist nur eines oder zwei je Halbjahresprogramm, doch diese sind dann eben handverlesen. Jetzt nun also das bereits zweite Hörbuch auf der Grundlage eines Kennedy-Buches, "Gleissendes Glück". Darin geht es um Mrs. Brindle, Helen, die, in Glasgow lebend, ein irgendwie unerfülltes Leben führt. Ein Leben, das ihr nicht reicht. Doch außer dass sie ein etwas eigentümliches Verhältnis zu Gott hat, erfährt man zu Anfang keine weiteren Hintergründe. Ein kluger Mann in einer Fernsehsendung bringt sie auf seine Spur. Es ist Edward E. Gluck, Professor für Psychologie, der "auch nur ein Genie" ist und mit dem Nobelpreis liebäugelt. Helen liest ein paar seiner Bücher, schreibt ihm und fliegt nach Stuttgart, als sie von einem Kongress mit Gluck'scher Beteiligung hört. Dort trifft sie ihn, und der Hörer ist überrascht, wie ausführlich der Herr Professor sich mit Mrs. Brindle und ihrem Leiden an der Welt beschäftigt. Die beiden entdecken ihre Zuneigung füreinander, doch dann offenbart Edward Helen sein dunkles Geheimnis. Es folgt der Bruch, Helens Rückkehr nach Glasgow zu ihrem prügelnden und sie vergewaltigenden Ehemann. Doch Edward gibt nicht auf, bittet um Verständnis, Entschuldigung, schreibt Karten. Sie treffen sich wieder, Spannung und Dramatik nehmen zu, es gibt schlimme Szenen, doch es geht, wenn man das so sagen kann, gut aus.
A. L. Kennedy ist eine Autorin von ganz besonderer Begabung. Dieses Buch ist in seiner sprachlichen Originalität, seinem Reichtum an so noch nie gehörten Sätzen und Beschreibungen und Vergleichen einzigartig. Nichts klingt abgestanden oder klischiert, keine Phrasen und literarisches Füllmaterial verunzieren diesen Text. Statt dessen poetische Freiheit, geschmeidige und behutsame Annäherungen an ihre Figuren, dann aber wieder scharfe Schnitte und Passagen von geradezu schockierender Obszönität, die den Hörer daran erinnern, dass er sich nicht im poetischen Wohlfühlland befindet, sondern in einem Text, der sehr deutlich macht, dass er sich einem der verwerflichsten Themen überhaupt angenommen hat, der häuslichen Gewalt. Das alles wird kongenial gelesen von Mechthild Großmann, die mir als Hörbuchsprecherin bisher noch nicht bekannt war und die deswegen eine echte, eine große Entdeckung ist. Mechthild Großmann ist den TV-erfahrenen ein Begriff vor allem als rauchende Staatsanwältin im Tatort aus Münster (mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers). Was sich in ihren Fernsehauftritten nur ansatzweise entfalten kann, vermittelt sich in mehr als drei Stunden Kennedyhörbuch absolut überzeugend: ihre Stimme. Wow, was für eine Stimme! So tief, so weich, so hart, so voller Timbre, so männlich und weiblich gleichermaßen - das hat man lange nicht gehabt, dass die Stimme ein Hörbuch so gut trägt, vor allem eine so selten gehörte. Und andersherum: Was wäre aus diesem Text geworden, hätte ihn jemand gelesen, dessen Stimme und Artikulationsvermögen weit weniger vermögen und somit der Vorlage nicht hätten gerecht werden können? Nicht auszudenken. Doch so ist "Gleissendes Glück" ein Glück für die Hörer - und Wagenbach hat wieder einmal ein gutes Händchen bewiesen.
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