Flambieren und experimentieren

Erwin Kochs Roman "Der Flambeur"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Protagonist Siegfried Kuhn ist ein liebenswerter Tüftler, dem im Leben so ziemlich alles daneben gegangen ist. Ein Kriegskind, das am Tag der Bombardierung Friedrichshafens das Licht der Welt erblickte, dessen Mutter ihren Körper gegen Lebensmittel tauschte und dessen alkoholabhängiger Vater tot aus der Donau gefischt wurde. Priester sollte er werden, weil im Kloster nie gehungert wird, nach einem Diebstahl blieb ihm allerdings nur eine Ausbildung zum Koch.

Autor Erwin Koch, der bereits zweimal für seine Reportagen mit dem Egon Erwin Kisch-Preis ausgezeichnet wurde, hat sich eines realen Vorbilds bemächtigt, das Werner Kroh heißt, irgendwo im Berner Umland lebt und Gegenstand einer seiner großen Reportagen war. Jener Kroh hat eine chemische Verbindung entdeckt, die zur Neutralisierung von Öl in Wasser führt und eigentlich bei Umweltkatastrophen zum wichtigen Rettungsinstrument hätte werden können. Doch niemand bekundet ernsthaftes Interesse an dieser, durch wissenschaftliche Expertisen gestützte Erfindung.

Koch erzählt in einer Mischung aus Fakten und Fiktion (ähnlich wie in seinem 2003 erschienenen literarischen Debüt "Sara tanzt") den beschwerlichen Lebensweg seines eigensinnig-verschrobenen Tüftlers, der im 103. Versuch die vermeintlich bahnbrechende Entdeckung schafft: "Seife aus Fett geboren, lockt Fett ins Verderben. Seife ist Gott und Teufel, ich und er in einem." Als ihm der große "chemische Wurf" gelang und er auf Ruhm und Anerkennung hoffte, hatte sich seine Frau längst von ihm getrennt, war von seinen nächtlichen Forschungen im gemeinsamen Badezimmer regelrecht "ausgelaugt".

Einige Jahre leitete er ein gut gehendes Spezialitätenrestaurant, in dem er flambierte Experimente kredenzte. "Flambieren heißt verführen. Heißt Zauber und Magie, Hexenwerk", so Kuhns kulinarisches Credo. Mit Cognac getränkte, flambierte Innereien waren seine Renner - bis ein Kunde an einer Salmonellenvergiftung erkrankte und die Lokalität geschlossen wurde.

Immer wieder hüpft Erwin Koch auf den Zeitebenen hin und her, streut Kindheitserinnerungen und Reflexionen seiner Hauptfigur ein - mal in der ersten Person, mal aus der beobachtenden Außenansicht der dritten Person. Von der ersten Zeile an schlägt der 49-jährige Autor ein enormes Erzähltempo an und treibt die Handlung im stakkatoähnlichen Reportagestil ihrem Ende entgegen.

Alle Versuche des Protagonisten, seine Erfindung der Öffentlichkeit zu präsentieren, schlagen fehl. Siegfried Kuhn bleibt bis zum Ende der große Verlierer, Angehöriger einer Generation, deren Kindheit und Jugend von großen Entbehrungen geprägt war und die umso stärker nach Wohlstand und Anerkennung strebten. Nur für kurze Zeit partizipierte er am so genannten Wirtschaftswunder, trotz seiner Hartnäckigkeit und seines Fleißes konnte er sich nicht dauerhaft etablieren.

Als ihm Umweltverbände, Konzerne und Politiker nach seiner spektakulären Erfindung die kalte Schulter zeigen, greift der leicht alchimistisch wirkende Protagonist zu härteren Bandagen und will die Öffentlichkeit durch ein selbst inszeniertes Unglück auf sich aufmerksam machen.

Aus dem dauerhaften Scheitern der Hauptfigur bezieht Erwin Kochs Roman seine Stärke. Bis zur letzten Seite bangt und hofft man mit dem Erfinder Kuhn, dieser kauzigen Mischung aus Genie und Hochstapler, dessen manischer Kampf um Ruhm und Ehre selbst zerstörerische Formen annimmt.

Titelbild

Erwin Koch: Der Flambeur. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2005.
188 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3312003512

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