Annäherung an einen Großen

Thomas Manns "Versuch über Schiller"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende wird Thomas Mann programmatisch: "Wie wohl ein Organismus kränkeln, ja siechen mag, weil es seiner Chemie an einem bestimmten Element, einem Lebensstoff, einem Vitamin mangelt, so ist es schließlich genau dies unentbehrliche Etwas, das Element 'Schiller', an dem es unserer Lebensökonomie, dem Organismus unserer Gesellschaft kümmerlich mangelt." Und nun wird der "Versuch über Schiller" zu einem erstaunlich aktuell anmutenden Plädoyer. Denn vorgedrungen war Thomas Mann zu dem Element in Schillers Werk, das "rein menschlich und über allen Einfluss der Zeiten erhaben ist", das geeignet sein sollte, die politisch zerrissene Welt "unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinen." Damit spielte er zunächst auf die deutsche Teilung an: "Entgegen politischer Unnatur fühle das zweigeteilte Deutschland sich eins in seinem Namen." Doch ging es dem Weltbürger Thomas Mann um mehr als die 'deutsche Frage'. Er dachte global. Schillers "Wille zum Schönen, Wahren und Guten, zur Gesittung, zu inneren Freiheit, zu Kunst, zur Liebe, zum Frieden, zu rettender Ehrfurcht des Menschen vor sich selbst" war für ihn eine universelle Anforderung. Die "Arbeit am Geist der Nation, ihrer Moral und Bildung, ihrer seelischen Freiheit, ihrem intellektuellen Niveau" sollte eine Anstrengung zum Wohle der Menschheit sein, ein "bewahrender Dienst am Leben." Und seltsam: wie dringend klingt ein solches Plädoyer für eine ästhetische Erziehung im Sinne eines weltumspannenden Humanismus doch gerade heute wieder, da sich die Bildung in Zeiten von Pisa-Studien auf evaluationsrelevante Inhalte als das Maß aller Dinge zu konzentrieren sucht! Für Thomas Mann jedenfalls vollendete sich ein Kreis, denn natürlich sprach er längst von sich selbst: von jenem deutschen Humanisten, als welcher er spätestens seit den Exiljahren in der Welt anerkannt wurde.

So wurde der schwierig sich anlassende "Versuch über Schiller" zu einem erfolgreichen Ende gebracht. Denn keineswegs war Schiller Thomas Mann in vergleichbarer Weise nahe wie der andere Weimarer Großdichter - Goethe. In dessen Nachfolge sah Thomas Mann sich wohl verortet, zum drängend idealistischen Schiller musste eine Position jedoch erst noch gesucht und gefunden werden. "Es ist nicht leicht, zu enden, wenn man von Schillers spezifischer Größe einmal zu reden begonnen hat - einer Großheit, generös, hochfliegend, flammend, emporreißend, wie selbst Goethe's weisere Natur-Majestät sie nicht bietet, weltallstrunken und menschheitlich-kulturpädagogisch, männlich in alldem aufs höchste." Und doch eben auch so ganz anders, wie Thomas Mann es formuliert in der aus diesem Essay wohl meistzitierten Charakterisierung Schillers: "Aber das Lächeln, das wir uns gelegentlich zu verbeißen haben vor Schiller'scher Grandiosität, gilt einem Ewig-Knabenhaften, das zu ihr gehört, dieser Lust am höheren Indianerspiel, am Abenteuerlichen und psychologisch Sensationellen...". Je tiefer aber Thomas Mann eindringt in die Besonderheiten des Schiller'schen Werks, umso vielfältiger werden die Anknüpfungspunkte mit dem eigenen Werk. Da steckt in der diagnostizierten "Kindsköpfigkeit" zugleich auch eine "schöpferische Grundgewalt", die sich souverän - etwa im Wallenstein - hinwegsetzt über die Anforderungen penibler Quellenforscher und mit "historischer und psychologischer Intuition" jenes eigentliche herausfindet: "zu zeigen, 'wie es in Wirklichkeit gewesen', was wenigstens das innerlichst Menschliche angeht, doch eben dem Dichter vorbehalten bleibt." Immer wieder, so registriert Thomas Mann, gelingt es Schiller einzig aus Intuition, "der inneren Anschauung" jene "Daseinsschilderungen" zu schaffen, die, wie der Tell, große Popularität genießen. Hohe Kunst und Könnerschaft, über die Thomas Mann, wie er sehr wohl wusste, gleichermaßen verfügte.

In einer Hinsicht aber blieb ein gewisses Unbehagen. Mit einem "Lächeln der Weisheit" zwar, aber dennoch krittelnd hatte Goethe an Schiller verstört, "wie ein so außerordentlich begabter Mensch sich mit philosophischen Denkweisen herumquälte, die ihm nichts helfen konnten." Aber, schreibt Thomas Mann, "wir dürfen dem Goethe'schen Bedauern nicht folgen über die fünf der Theorie und Kritik geopferten Jahre, nicht nachsprechen, daß sie dieser mächtigen Begabung unnütz gewesen seien." Und das folgende Schiller-Lob gegen die Einsichten des "Weisen" formuliert wiegt schwer, weil ein Hinweis auf die Einzigartigkeit Schillers, aber auch des eigenen Werks darin versteckt liegt: am Ende habe doch Schillers Eigenart sein Œuvre"veredelt und gehoben" und ihm "statt hingerissenem Draufgängertums echte Souveränität verliehen". Darauf kam es an: "Aber ich habe mir eigentlich ein eigenes Drama nach meinem Talente gebildet," zitiert Thomas Mann Schiller, "welches mir eine gewisse Excellence darin gibt, eben weil es mein eigen ist." Thomas Mann stimmt dem zu: "ja, es gibt die Kunst eigentlich gar nicht, es gibt nur den Künstler und sein persönliches Arrangement mit ihr, worin er denn, eben weil es sein eigen ist, notwendig 'eine gewisse Excellenz' bewährt."

Thomas Manns "Versuch über Schiller" ist Ausdruck einer heutzutage selten gewordenen Kenner- und Könnerschaft. Dass der Schriftsteller auch ein eindrucksvoller Redner war, ist auf der mitgelieferten CD mit dem zum Vortrag verdichteten Essay zu hören, den Thomas Mann im Mai 1955 zu den Schiller-Gedenkfeiern in Stuttgart hielt.

Titelbild

Thomas Mann: Versuch über Schiller. Mit CD.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
88 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3100482824

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