Am kalten Atlantik

Jean Amila bearbeitet Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Solch ein Auftakt kann empfindsamen Seelen arg nahe treten: Tosende Wellen, eiskaltes Wasser, Landungsboote, die in der Brandung den einen oder anderen Mageninhalt nach draußen befördern helfen, schweres Sturmgepäck - und der Strand, den es zu stürmen gilt, liegt unter schwerem Verteidigungsfeuer.

Abschnitt Omaha ist nichts für irgendjemand, und so ist es kein Wunder, dass von dem alliierten Trupp, der als Erster die französische Küste betritt, eigentlich keiner übrig bleibt. Außer Sergeant Reilly, der zwanzig Jahre später die Grabpflege seiner gefallenen Kameraden organisiert. Zu mehr hat es bei dem ehemaligen Sturmsoldaten nicht gereicht, trotz aller Tapferkeitsmedaillen und sonstiger Ehrungen. Wirklich helle ist er nicht, und so kommt es zu dem Dienst am Vaterland in der Fremde, die ihn anscheinend nicht mehr loslassen will. Sogar geheiratet hat er hier, und das eine sehr junge Einheimische. Das ruhige Leben hat freilich ein Ende, als zweierlei passiert: Reillys junge französische Frau hat genug von den Toten, unter denen sie leben muss, und ein merkwürdiges französisches Paar taucht auf, das ein auffallendes Interesse für einen der Gefallenen zeigt, dessen Namen auf einem der Grabkreuze steht: der Bruder eines ortsansässigen Bauern, der beim Begräbnis seines Vaters zum ersten Mal in der Gegend auftaucht, und seine Frau, eine Lehrerin. Es gibt Streit in der Familie, wie oft, wenn es ein Erbe gibt. Aber hier ist alles ein wenig anders. Es geht zwar ums Erbe, aber in einem ganz anderen Sinn, als hier zu erwarten wäre.

Jean Amila hat eine sehr bedächtige Konstruktion errichtet, in der sich schließlich auch das crimen finden lässt, um das es in diesem Fall geht. Aber dieses Mal ist es kein verstecktes Nazi-Gold, sind es keine alten Kriegsverbrechen, die es zu sühnen gibt, kein Spiel mit versteckten oder ausgelieferten Juden, wie es das Genre beinahe schon vorschreibt. Trotzdem sind auch hier geheime und verdeckte Identitäten zu lüften, Gefälligkeiten finden ihr Ende, und zwar wie immer wegen der Gier, die sich irgendwann einstellt, wenn Geld fließt.

Amila zielt trotzdem auf etwas anderes, und das hebt seinen Kriminalroman von seiner Gattungsbezeichnung ab. Es dreht sich um Identitäten, verlorene und wieder zu findende, und was dafür zu tun ist. Dass die junge Frau des Sergeant Reilly am Ende sogar ihren Teil dazu beiträgt, dass zwar die Geschichte kein Happy End findet, aber ein stilles Ende doch, ist ein gnädiger Zug Amilas. Dass das als Kriminalroman firmiert, ist freilich ein anderes Kapitel, über das zu diskutieren nicht wirklich lohnt.

Titelbild

Jean Amila: Mond über Omaha. Krimi.
Übersetzt aus dem Französischen von Helm S. Germer.
Conte-Verlag, Saarbrücken 2005.
211 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3936950334

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