Nicht nur Goethe

Andreas Meier hat kulturgeschichtlich reizvolle Korrespondenz von Goethes Schwager ediert

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 25. November 1798 schreibt der populäre Schriftsteller und Bibliothekar Christian August Vulpius an seinen Schwager Goethe: "Ew. Exzellenz muß ich mit Krankheitsgeschichten unterhalten." Dann schließt sich eine halbseitige Berichterstattung über Weimarer Krankheitsfälle an. Der Brief ist bezeichnend für die hier vorgelegte Korrespondenz des Goetheschwagers: sie enttäuscht.

Das ist freilich nicht dem Herausgeber anzulasten. Von einigen Zählungsungenauigkeiten abgesehen, die man wohl dem Verlag wird anlasten dürfen, legt Meier den Briefwechsel Vulpius' fast vollständig vor. Fast. Denn trotz hinreichender Begründung der Editionspraxis kann die vorliegende Publikation nicht widerspruchsfrei bleiben. Während auf der einen Seite Schreiben mit amtlichen Charakter den Leihverkehr der fürstlichen Bibliothek betreffend abgedruckt sind und auch die Verlagskorrespondenz Eingang gefunden hat, werden die im Anhang ausgewiesenen "amtlichen Schreiben" nur mit kurzer Inhaltsangabe des Herausgebers verzeichnet. Warum nicht alles abdrucken, und scheint es auch noch so belanglos? Oder warum nicht eine Auswahl an relevanten Briefen vorlegen? So jedoch beschreitet diese Edition einen Mittelweg, der neuerliche Lücken mit sich bringt.

Neben dieser editorischen Streitig(würdig)keit überwiegt aber natürlich das Verdienst einer (fast) vollständigen Herausgabe der Vulpius-Korrespondenz. Sie umfasst knapp 750 Briefe von und ca. 160 Briefe an Vulpius. Soweit erschließbar, wurden die Antwortschreiben ebenfalls abgedruckt. Das summarische Ungleichgewicht zwischen Verfasser- und Antwortbriefen zeigt auch, wie wenig der Briefwechsel mit Vulpius archiviert wurde und wie weit er gestreut war - eventuell kann die Forschung der nächsten Jahre hier Ergänzendes leisten. Die Mehrzahl der Briefpartner muss jedoch leider als eher unbedeutend bezeichnet werden.

Spannend ist der Briefwechsel dennoch. Weniger unter Gesichtspunkten wie der Weimarer Geistes- und Alltagsleben oder der goethischen Werkgenese, als vielmehr unter dem Aspekt der Produktionsbedingungen "populärer" Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Verfasser des "Rinaldo Rinaldini" hat mit seinen über 70 Romanen und 30 Dramen ein umfangreiches Werk vorgelegt, das auf die Bedürfnisse des Buchmarktes zugeschnitten wurde. Davon legt seine Verlagskorrespondenz ein beredtes Zeugnis ab.

Menschlich hingegen kommt einem Vulpius durch seine Korrespondenz leider kaum näher: Allzu sachlich ist sein Stil, er vermeidet weitgehend emotionale Beteiligung. Einzig anlässlich des Todes seiner Schwester und mehr noch anlässlich der Plünderungen während des Koalitionskrieges (1806) äußert sich Vulpius emotional. So schreibt er im November dieses Jahres an den Jugendfreund Nikolaus Meyer, den er nach der Plünderung durch Napoleons Truppen um Unterstützung bittet: "O! es kleidet mir übel zu betteln, aber - die Noth - was lehrt sie nicht!"

Das informative Herausgeber-Vorwort ordnet Vulpius' Korrespondenz und Bedeutung zeitlich ein und umreißt sachdienlich Stand und Lücken der Vulpius-Forschung. Andreas Meier, der sich 1997 mit "Christian August Vulpius in seiner Korrespondenz mit Goethe und anderen Zeitgenossen - Briefe zur Unterhaltungskultur der Goethezeit" habilitiert hat, annotiert in dem (dankeswerter Weise separierten) Kommentarband detailliert Unklarheiten. Über den fein gegliederten Index lässt sich gezielt auf einzelne Dichter und deren Werke zugreifen.

Leider finden sich - wie oben bereits erwähnt - eine Reihe Nachlässigkeiten. Diese sind dem Verlag, nicht dem Herausgeber anzulasten. Neben falschen Kopfstegen stören vor allem vertauschte Seitenzahlen (im Index), verstellte Buchstaben und Ähnliches Sie können aber dem engagierten Versuch, eine insbesondere kulturgeschichtlich interessante Korrespondenz dem Vergessen zu entreißen kaum Abbruch tun.

Titelbild

Christian August Vulpius: Eine Korrespondenz zur Kulturgeschichte der Goethezeit. Band 1: Brieftexte. Band 2: Kommentar.
Herausgegeben von Andreas Meier.
De Gruyter, Berlin 2003.
498 und 708, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3110177730

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