Arabische Erzählkunst aus deutschen Landen

Felicitas Hoppe liest ihren Roman "Paradiese, Übersee"

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Paradiese, Übersee", so lautet der rätselhafte Titel von Felicitas Hoppes Roman. Vollends wird man in das Verwirrspiel gezogen, sobald man die ersten Zeilen des Romans liest:

"Am Vorabend des 22.12. betraten der Ritter und der Pauschalist das Festland von der Nordseite her".

Einige Zeilen weiter spricht letzerer in sein Diktiergerät: "Dr. Stoliczka wäre das nicht passiert. Dr. Stoliczka hätte sich mit Sicherheit, 2 Tage vor Weihnachten, nicht auf den Bahnhof von Kalkutta verirrt...".

In welchem Jahr treffen die beiden überhaupt auf dem indischen Kontinent ein? Die Frage wird im gesamten Roman nicht beantwortet und kann nur an Hand von Indizien bestimmt werden. So erzählt der Pauschalist, dass man die Reise nicht per Flugzeug vornehmen kann, weil sich Dr. Stoliczka weigert, zu fliegen. Nicht erklärt wird, warum man auf die gleichen Reisevehikel angewiesen ist, wie Dr. Stoliczka. Handelt es sich hier um eine Buße, für die bestimmte Regeln einzuhalten sind? Und: Wer ist Dr. Stoliczka und warum befinden sich die Beiden auf einer Reise quer über alle Kontinente, um ihn zu treffen?

Felicitas Hoppe vermischt virtuos und mit großer erzählerischer Kraft verschiedenste literarische Genres auf eigentümliche Art. Anklänge an das Nibelungenlied, die Arthussage, Don Quijote, Parzival fallen sofort ins Auge. Andere Anspielungen sind da schon subtiler Versteckt und bedürfen des Knobelns, bis sich die Erkenntnis einstellt.

Jede der auftretenden Protagonisten hat seine literarischen Vorbilder. So erscheint Dr. Stoliczka als ein Fernidol, dem alles Mögliche angedichtet wird, angefangen bei seinem Aussehen, dass jeder der Befragten anders schildert, bis hin zum Verhalten in bestimmten Situationen. Dabei hat keiner der beiden jemals Dr. Stoliczka getroffen, da er, sobald der vereinbarte Treffpunkt erreicht wird, bereits abgereist ist mit dem Hinweis, wo und wann er zu finden ist.

Auch das Reiseziel bleibt jedoch eigentümlich unklar. Die Reise selbst wird von Felicitas Hoppe so phantasievoll und variantenreich geschildert, dass sie uns ständig mit ihrem für die heutige Zeit ungewöhnlichen, aber bezaubernden Stil fasziniert. Weder der so häufig in der Gegenwartsliteratur vorkommende Realismus noch autobiografische Bezüge wird man in dieser Perle der neueren deutschen Literatur finden. Die Geschichte ist voller Überraschungen und Wendungen, springt von Kontinent zu Kontinent, von Gegenwart in Vergangenheit. In der einen Sekunde haben wir teil an den Gedanken des Ritters, nur um im nächsten Halbsatz dem Gespräch des Pauschalisten mit seinem Diktiergerät zu lauschen. Und dies alles, ohne den Leser zu verwirren. Ganz im Gegenteil wir hier Unterhaltung auf hohem Niveau geboten.

Egal ob witzig oder traurig, melancholisch oder manisch, Felicitas Hoppe meistert alle diese Situationen bravourös und weiß auf intelligente Weise ausgezeichnet zu unterhalten.

Es gelingt ihr, auch als Sprecherin, dieses hohe Niveau zu halten und den Vortrag ihres Textes zu einem Hörgenuss werden zu lassen. Ihre helle, klare Stimme passt sich hervor ragend den jeweiligen Orten, Geschehnissen und Protagonisten an. So klingt der Pauschalist eher ironisch, schneidend während der Ritter einen Ton dunkler, langsamer und bedächtiger klingt. Während der Verfolgung eines Zoo-Wärters gewinnt das Lesetempo an Geschwindigkeit und wird danach wieder ruhig, ja melancholisch, wenn der Ritter über Dr. Stolitzka nachdenkt. Diese Tempo-Wechsel finden blitzschnell statt und halten den Hörer, und dies ist wörtlich zu nehmen, in Atem, gönnen ihm aber auch die erforderlichen Pausen, um den Text wirken zu lassen.

Das Hörbuch besteht aus 4 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von ca. 292 Minuten. Jede CD ist in viele kleine Tracks unterteilt, die zum Verweilen, Nachdenken und Reflektieren des Gehörten einladen ja sogar dazu, nochmals einen Track zurück zu gehen, um sich nochmals dem Genuss des Vortrages hinzugeben. Außerdem enthält die CD noch eine aufklappbare Karte, auf der die Reise nachvollzogen werden kann sowie auf der Rückseite derselben ein Glossar zum Text. Weiterführende Informationen zum Text und zur Autorin finden sich dann auf der Rückseite der CD-Hülle.


Titelbild

Felicitas Hoppe: Paradiese, Übersee. 4 CDs.
Verlag Audiobuch, Freiburg 2003.
292 Minuten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3899640012

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