Lebendig begraben

Peter James erzählt eine schaurige Geschichte

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michael Harrison ist reich und erfolgreich und war immer ein Witzbold. Bei vielen Gelegenheiten hat er seinen Freunden Streiche gespielt, hat sie nach der Junggesellenparty betrunken in einen Fernzug gesetzt, so was in der Art. Jetzt will er selbst heiraten, hat vorsichtshalber - man weiß ja nie, wie wild und alkoholisch es wird - die Feier eine ganze Woche vor der Hochzeit angesetzt und macht sich natürlich auf einiges gefasst. Aber was die "Freunde" ausgeheckt haben, damit konnte er nicht rechnen: Sie stecken ihn in einen Sarg und begraben ihn lebendig. Auf einem abgelegenen Acker. Da kann er ein Weilchen schmoren und über seine Bosheiten nachdenken, bis sie ihn wieder rausholen. Sehr witzig. Immerhin lassen sie ihm etwas Whisky, eine Taschenlampe und ein Walkie-Talkie in der Kiste. Wahrscheinlich, um ihn noch mehr zu ärgern. Und dann fahren sie davon. Und dann sterben alle bei einem fürchterlichen Verkehrsunfall.

Grausiger kann ein Krimi wohl kaum anfangen. Wie fühlt man sich da in der Kiste? "Michael sah hoch, seine Nase berührte beinahe den Deckel. Im Licht der Taschenlampe war er von elfenbeinfarbenem Satin umschlossen. Er trat mit den Beinen, er fand keinen Spielraum. Er wollte die Arme ausstrecken. Auch kein Platz. Als er begriff, wo er sich befand, wurde er vorübergehend wieder nüchtern." Es ist grausig, lebendig im Sarg: Man hat keinen Kontakt, es ist dunkel (denn irgendwann ist die Batterie ja auch leer), man kann sich nicht bewegen, man hat nichts zu essen und nur Whisky zum Trinken (Wie lange?). Man weiß, dass man bald sterben wird. Edgar Allan Poe und andere böse Romantiker haben schon mit diesem Lebendigbegrabenwerden gespielt und ihren Lesern einen gehörigen Schrecken eingejagt, bis sie abends kaum noch das Licht ausmachen wollten.

Bei Peter James beginnt damit die Story. Ein kleiner, behinderter Junge, der seinem Vater beim Autoabschleppen hilft, findet das Walkie-Talkie, sagt aber niemandem etwas davon, denn sein Vater hat ihm verboten, etwas von Unfallstätten mitzunehmen. Manchmal spricht er mit verstellter Stimme hinein. Natürlich macht das Michael noch viel wahnsinniger, weil er überhaupt nicht mehr versteht, was da vor sich geht. Seine Freunde sind weg, und wer ist dieser Amerikaner, der so unverständliches Zeug redet? Und warum hilft er ihm nicht?

Natürlich ist seine Braut Ashley Harper, die ihn als zuverlässigen Menschen kennt, völlig fertig mit den Nerven. Natürlich kann sie die Polizei davon überzeugen, dass man gleich zu suchen anfangen muss. Aber James' Krimi hat noch einige Widerhaken: Die Freundin hat ein Verhältnis mit Michaels bestem Freund Mark, der Minderheitsanteile an der Firma besitzt. Und Mark hat es so gedreht, dass er beim Vergraben nicht dabei ist. Er ist froh, dass alles so gut läuft, dass alle anderen tot sind. Und zieht letztendlich noch den Atemschlauch aus der Erde.

James, Filmproduzent (u. a. "Der Kaufmann von Venedig" mit Al Pacino), hat einen sehr verzwickten Thriller geschrieben, der noch ein wenig verwickelter ist als hier angedeutet. Vor allem das Ende leidet ein wenig unter der Überkonstruktion, unter drei, vier intelligenten und komplizierten Windungen zu viel. Da geht es dann um Betrügereien, Kontoschiebungen, die Kaiman-Inseln, Erpressung, Fingerabschneiden und eine Frau, die ständig reiche Männer heiratet und sie dann umbringt. Nein, das Ende ist zu verwickelt gedacht und auch nicht mehr ganz so logisch.

Aber bis dahin ist es ein gradliniger, gruseliger Schocker zwischen Psychothriller und ehrlicher Polizeiarbeit, mit gut entwickelten, sehr unterschiedlichen Charakteren und einer schnörkellosen Sprache. Die Charakterisierung des behinderten Jungen ist einfach und sehr eindringlich, die Qualen des Vergrabenen, seine Hoffnungen, seine Ängste jagen einem Schauer über den Rücken, und die Polizisten, allen voran Roy Grace, dessen Frau Sandy vor einigen Jahren spurlos verschwunden ist, sind glaubwürdig in ihren Schwächen und Stärken, ihrem Schwanken zwischen Glauben und Misstrauen. Vor allem Grace, der wegen seiner verschollenen Frau gute Kontakte zu Hellsehern hat, die ihm jetzt helfen, wäre ein guter Serienheld. Und so ist dieses Buch (James' zwölftes) auch angekündigt: als erstes einer neuen Reihe. Entwicklungsfähig.


Titelbild

Peter James: Stirb ewig.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Goga-Klinkenberg.
Scherz Verlag, München 2005.
336 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3502100292

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