Unruhiger Bussard am böhmischen Himmel

Petr Borkovec' eigenwillige Gedichte

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit über zehn Jahren wird die österreichische Bohemistin und Übersetzerin Christa Rothmeier nicht müde, auf das Werk des 1970 im mittelböhmischen Lounovice pod Blaníkem geborenen Petr Borkovec aufmerksam zu machen. Mittlerweile liegt ein viertes von ihr übersetztes Buch des tschechischen Dichters vor.

Borkovec spricht mit einer eigenwilligen Stimme. Auffallend ist die Häufung überraschender Einfälle, mit denen er eine unvermutete Begegnung vorbereitet. Wie ein Maler entwirft er eine grobe Skizze, um diese dann mit Farben und Geräuschen anzureichern. Es entsehen sinnliche Reizmuster: "Im Auge der Libelle ziehen die Formen / graublau verschossene Anoraks an, / ein bunter schwerer Gegenstand / gleicht dem Ast einer Kiefer. / In sich schwankende Farbe, gefächerte Kante. // Eine noch so kurze Bewegung, ein Zögern, einen Atemzug / registriert es aber Schwarz auf Weiß: / ein Tuschbuchstabe, ein farbgetränkter Faden / sickern durch den papierenen Wind."

Auf subtile Weise führt Borkovec hier sein poetisches Einfühlungsvermögen vor. Die Welt wird durch ein Libellenauge wahrgenommen. Dieser Perspektivwechsel hebt hervor, wie schwierig das Geschriebene zu entziffern ist und wie filigran Literatur sein kann. Fasziniert reagiert Petr Borkovec auf beschriebenes Papier, auf Buchstaben und Textlandschaften: "Von ihrem Schwarz träumen Steppe und Schrift".

Die meisten seiner Motive stammen aus einer ländlichen Sphäre. Borkovec entwirft Bilder aus Böhmen, aus der "Gewißheit des tiefsten Binnenlands". Zugleich finden sich im "Nadelbuch" immer wieder Reminiszenzen an fremde Literaturen und Kulturen, was nicht zuletzt an Borkovec' Tätigkeit als Übersetzer liegt. Er lässt sich von russischen Dichtern wie Chodassewitsch und Mandelstam ebenso inspirieren wie von der Amerikanerin Elizabeth Bishop. Die "Zimtläden" des polnischen Juden Bruno Schulz finden genauso Eingang in seine Schreibwelt, wie die Kunst der japanischen Haiku-Dichtung oder Verse antiker Dramen, die er für das Prager Nationaltheater übersetzte.

Borkovec' ernste Verse kommen ohne theatralische Gesten aus und verströmen eine stille Beklommenheit: "In lichten Wäldern und Feldern / sind die Köpfe der Passagiere aus glattem Glas, / rauchfarbene Vasen mit meinem Gesicht / und mit Augen, in denen" - und dann beginnt eine Aufzählung des Gesehenen, und es werden Tiere und Natureindrücke beschrieben, die vom Zugfenster aus wahrgenommen werden. Ein Beispiel für die subtile Weise, in der Borkovec' Figuren in die Natur eingebunden sind und sich zugleich in einem kaum merklichen ständigen Ringen mit ihr befinden.

Ungewöhnliche Perspektiven und beharrliches Entziffern manifestieren sich auch im wiederkehrenden Motiv des Raubvogels. Die Wirklichkeit sorgt für Rätsel, und Borkovec folgt stetig ihren Spuren bis in die kleinsten Winkel. Lautlos und stetig kreisend über den Dingen wie ein Bussard.


Titelbild

Petr Borkovec: Nadelbuch. Gedichte.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier.
Edition Korrespondenzen, Wien 2004.
129 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3902113243

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