Der Todestrieb - ein exquisit männliches Prinzip

Rolf Pohl geht dem Zusammenhang von männlicher Sexualität und der Abwehr des Weiblichen nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in "geschlechterhierarchische[n] Gesellschaften" zuweilen in "tödlichem Haß" mündende "Feindseligkeit" Frauen gegenüber gehöre zur "allgemeinen Grundausstattung" von "Normalmännlichkeit", lautet die ebenso provokante wie schonungslose These Rolf Pohls. Nicht weniger als 553 Seiten verwendet er darauf, sie stark zu machen. Zuvor jedoch versichert er, dass er "[n]atürlich" weder Männer "pauschal" zu Angehörigen eines "universellen Tätergeschlechts" erklären wolle, noch "alle Frauen" zu "realen oder potentiellen Opfer[n]".

Unter Bezugnahme auf das von Robert Connell entwickelte Konzept "hegemonialer Männlichkeit" geht der Autor der Frage nach, welche Bedeutung die Trias Sexualität, Aggression und Macht für die Herausbildung einer männlichen Geschlechtsidentität hat, deren Einstellung zu Frauen - und überhaupt zu "allem, was unbewußt mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht wird" - durch Lust, Angst, Neid und Hass geprägt ist. Ein besonderes Erklärungspotential hierfür biete die Psychoanalyse, deren "weitgehend verschüttete triebtheoretische Grundlagen" es auszugraben und in kritischer Rekonstruktionsarbeit wieder nutzbar zu machen gelte. Ihr widmet sich denn auch der "theoretische Hauptteil" des Buches.

Bevor sich Pohl jedoch der Psychoanalyse als erkenntnisstiftendem Instrument zuwendet, wirft er einen ethnologischen Blick auf die Konstruktion von Männlichkeit etwa "im schwer zugänglichen Hochgebirge Papua-Neuguineas", ohne allerdings selbst den beschwerlichen Weg dorthin auf sich genommen zu haben. Seine Kenntnisse über die Sitten und Gebräuche der dortigen Ureinwohner entnimmt er vielmehr der einschlägigen Literatur, mit der er sich durchaus kritisch und für die Lesenden Gewinn bringend auseinander setzt.

Ebenfalls Gewinn bringend und noch um einiges kritischer fällt seine Lektüre von Robert Blys "Kultbuch" "Eisenhans" (1991) aus, dessen in "schwülstig-pathetischsten Formen" entworfenes "mann-männliche[s] Krieger-Modell" er zu Recht geißelt. Es sei nur schwer zu begreifen, wettert er, wie die "Neue Männerbewegung" einer solchen Faszination für diese "Mischung aus antifeministischen Männerbundschwärmereien Blüherscher Prägung" und "deutlich an Ernst Jünger erinnernder hyperviriler Kriegerromantik" erliegen könne. Ähnlich deutlich fällt Pohls Urteil über das "männliche Selbsterweckungsprogramm" in dem 1993 von Lothar Böhnisch und Reinhard Winter veröffentlichtem Buch "Männliche Sozialisation" aus. Und auch um eine erhellende Theweleit-Kritik ist der Autor nicht verlegen.

Mit Hilfe psychoanalytischer Theoreme Sigmund Freuds geht Pohl sodann der Konstitution männlicher Sexualität im "Medium primärer Objekterfahrung" nach. Besonderes Augenmerk richtet er hierbei auf die von Hass-Liebe geprägte Bindung von Trieb und Objekt sowie auf die ontogenetische Entstehung männlicher Geschlechtsidentität bis zur Adoleszenz. Unter der "gesellschaftlich vorherrschenden Regelung der Geschlechterverhältnisse" gehöre eine "aggressiv ausgerichtete Sexualität" zu den "konstitutiven Grundelementen männlicher Geschlechtsidentität", lautet das Ergebnis dieser Erörterungen. Eine der zentralen Ursachen des männlichen Frauenhasses sei der Hass gegen das eigene sexuelle Begehren, das dem "männlichen Autonomiewahn" entgegenstehe, da es zu seiner Befriedigung der Frau bedürfe. Dieses der Konstruktion männlicher Sexualität innewohnende Paradoxon sei "nicht auflösbar" und führe in "männlich hegemonialen Kulturen" zu "Gewalt und Zerstörung". Der "Todestrieb" könne in "unserer Kultur" daher als "exquisit männliches Prinzip" gelten. Pohl zufolge wird der somatisch - und somit offenbar biologisch - verankerte Trieb im "Austausch mit der Außenwelt" nur "überformt". Doch immerhin erklärt er die "vom Lebensschicksal geprägten Äußerungsformen" zum "Entscheidende[n] am Trieb".

Das anschließende Kapitel "Männliche Feindbilder und die Verfolgung des begehrten Geschlechts" geht der Frage nach, wie aus Angst vor den Frauen und der weiblichen Sexualität Hass und Gewalt entstehen können, und beleuchtet in den Abschnitten "Die paranoide Abwehr-Kampf-Haltung bei männlichen Jugendlichen", "Männlichkeit, Perversion und destruktive Sexualität" sowie "Krieg, Militär und die männliche Ordnung der Geschlechter" drei Bereiche männlicher Aggression gegen Frauen. Nur schwer erträglich ist dabei die kaum in Worte zu fassende Brutalität historischer Massenvergewaltigungen in kriegerischen Auseinandersetzungen; ein wahres Panoptikum des Grauens, das den männlichen Menschen als "Vollstrecker des gesellschaftlich-kulturell geformten humanspezifischen 'Bösen'" zeigt. Pohl gesteht ohne weiteres zu, dass (Massen-)Vergewaltigungen in Kriegen zahlreiche "strategische Funktionen" erfüllen. Doch lässt er die These, sie erschöpften sich in ihnen und hätten im Grunde nichts mit (männlicher) Sexualität zu tun, nicht gelten. Auf grauenvolle Weise wird sie denn auch durch den Bericht einer jüdischen KZ-Gefangenen widerlegt, die am Ende des Zweiten Weltkrieges von ihren russischen 'Befreiern' sogleich vergewaltigt wurde.

Eine der "wichtigsten Wurzeln" auch von Kriegsvergewaltigungen liegt Pohl zufolge in der sexuellen Lust der Täter. Denn wie erklärt sich der sexuelle Charakter von Vergewaltigungen, wenn es den Tätern nicht um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse gehe, fragt er rhetorisch und konstatiert, dass alle Versuche, dem "Erklärungsdilemma" ohne Rekurs auf das längst "überwunden geglaubte Modell eines übermächtigen Sexualtriebes" zu entkommen, einem "gedanklichen Eiertanz" glichen.

In den theoretischen Erörterungen dieses dritten Teils entwickelt Pohl die These vom "doppelten Diktat des Penis-Phallus", mit der er den "unlösbaren Widerspruch zwischen den objektgebundenen Zwängen einer quantitativ auf Erlangung von Lust und Befriedigung zielenden genitalen Sexualität und dem Anspruch auf Unabhängigkeit und Autonomie unter der kulturell geprägten Herrschaft des Phallus" ins Auge fasst.

Am Ende seiner Arbeit wendet sich der Autor noch einmal vehement gegen den allgemein verbreiteten "Mythos vom nicht-sexuellen Charakter der sexuellen Gewalt" und begründet seine These, "gegengeschlechtliche Feindseligkeit gehöre genuin zu den integralen Bestandteilen der männlichen Psychosexualität". Formulierungen dieser Art lassen sich in Pohls Buch häufig finden. So ist etwa vom "der männlichen Sexualität inhärente[n] Destruktionspotential" die Rede oder davon, dass "die Idee einer vollständigen Entmischung, d. h. einer rigorosen Trennung der sexuellen und aggressiven Triebäußerungen [...] unhaltbar" sei. Formulierungen, die zwar offen lassen, ob die frauenfeindliche Sexualität von Männern biologisch oder kulturell zu erklären sei, jedenfalls aber bedenklich essentialistisch klingen. Wie Pohls nähere Ausführungen deutlich machen, wendet er sich jedoch gegen essentialistische oder biologistische Erklärungen. So betont er, dass das bei sexuellen Gewalttaten hervorbrechende "ursprüngliche Destruktionspotential" von Männern nicht "genetisch festgelegt" sei. Vielmehr handele es sich bei ihm um eine "Entwicklung von zerstörungsbereitem Haß zur Abwehr angstauslösender innerer und äußerer Gefahren", die unter dem "Vorzeichen" des Penis-Phallus "in aktuellen Krisenerfahrungen regressiv mobilisiert" werde und "jene typisch männliche Zerstörungslust" hervorbringe, deren "reflexhafte[r] Reiz-Reaktions-Charakter" nur den "Anschein einer genetischen Prägung" evoziere. Wenn dem aber so ist, muss sich Pohl allerdings die Frage stellen lassen, was das besagte Destruktionspotential überhaupt als "ursprünglich" qualifiziert.

Nicht nur der vermeintlich genetische Ursprung des männlich/menschlichen Destruktionspotentials wird von Pohl kritisiert, sondern auch und gerade die Vorstellung einer möglichen "Pazifizierung der Sexualität". Derlei Annahmen, erklärt er, hingen einer "(essentialistische) Konstruktion von Männlichkeit" an, die fast schon zwangsläufig auf eine "Mythologisierung einer (zumeist 'ganzheitlich' verstandenen) Wesenheit des Mannes" hinauslaufe, der zufolge "das 'wahre Wesen' des Mannes jenseits seiner patriarchalischen Formbestimmung" liege. Nun ist Pohls Kritik an der Vorstellung einer verborgenen bzw. überformten 'wahren' friedlichen Sexualität zweifellos berechtigt. Dies aber darum, weil es ein 'wahres' Wesen des Mannes schlicht nicht gibt, weder ein sexuell friedliches noch ein sexuell aggressives. Eine Argumentation, die sich bei Pohl so nicht findet.

Stattdessen fokussiert er auf vier Faktoren, ohne deren "Beimengung" Sexualität "[g]rundsätzlich" nicht in Erscheinung treten könne: Aggression, Ambivalenz, Angst und Feindseligkeit. Dies besagt nichts anderes, als dass Sexualität jederzeit nur zusammen mit jedem einzelnen der vier Faktoren in Erscheinung treten könne. Das ist diesmal allerdings doch ganz zweifellos eine essentialistische Behauptung und ebenso zweifellos eine mehr als zweifelhafte.

"Die Hoffnung auf eine 'authentische', eine ursprüngliche, konfliktfreie und aggressionslose männliche Sexualität", fährt Pohl fort, möge zwar "trösten", bleibe jedoch "illusorisch". Somit folgt einer essentialistischen - seien wir milde und sagen - Formulierung eine schwache Argumentation. Denn Pohl schweißt hier vier Begriffe (authentisch, ursprünglich, konfliktfrei und aggressionslos) zusammen, die keineswegs notwendig miteinander verknüpft sein müssen. Es sind durchaus konfliktfreie und aggressionslose sexuelle (Lebens-)Äußerungen oder Phänomene (denk-)möglich, ohne dass diese gleich als authentisch oder ursprünglich gedacht werden müssen. Denn - wie gesagt - weder die aggressive noch die aggressionslose Sexualität ist ursprünglich, authentisch oder 'wahr'. Vielmehr ist die Vorstellung eines 'Wahren', Ursprünglichen oder Authentischen selbst eine Konstruktion - oder um ein Wort Pohls aufzugreifen: illusorisch.

Fazit: Ein in vielerlei Hinsicht strittiges und nicht in jedem Fall überzeugendes, aber auch ein durchaus anregendes und gelegentlich sogar instruktives Buch.


Titelbild

Rolf Pohl: Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen.
Offizin Verlag, Hannover 2004.
553 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3930345366

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