Mitteleuropas endliche Verbesserung

Thomas T. Tabberts Buch über Oswald Wieners "bio-adapter"

Von Matthias BickenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Bickenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1969 erschien Oswald Wieners "Die Verbesserung von Mitteleuropa". Bis heute gilt der Roman als schwer lesbares Sprachexperiment. Thomas T. Tabbert hat nun in einem Buch die zukunftsträchtige Vision des "bio-adapters" herausgestellt und mit alten und aktuellen Konzeptionen der virtuellen Realität verglichen.

Mensch-Maschinen

Was, zum Teufel, ist "Artifizialanthropologie"? Ein Unding an sich oder eine neue Disziplin in der Kür der sich verzweigenden Geisteswissenschaften? Thomas T. Tabbert ist Leiter des Hamburger Instituts für diese neue Lehre vom künstlichen Menschen. Suchte die Anthropologie im Sinne Arnold Gehlens nach dem Wesen des Menschlichen überhaupt, erkundet heute die historische Anthropologie Entwürfe des Menschseins im Kontext seiner kulturellen Erzeugnisse, so etwa Hans Beltings "Bild-Anthropologie". Die Artifizialanthropologie lässt sich dieser Perspektive zuordnen, fasst jedoch ihren Bereich enger: Es geht um den Vergleich und die Übertragung des Menschseins auf Maschinen. Filme wie "Matrix" haben das alte Thema der Mensch-Maschinen-Schnittstelle allgemein bekannt gemacht. Vor allem in den USA ist der "Cyborg" in den Cultural Studies auch als Thema der Geschlechterforschung eingezogen. Doch wohl niemand hat die Verschränkung von realer und künstlicher Welt radikaler und konsequenter durchdacht als Oswald Wieners Entwurf des "bio-adapter" in seinem Roman "Die Verbesserung von Mitteleuropa" von 1969.

Wie und auf welchen Voraussetzungen fußend Wieners Bio-Adapter gedacht ist, erklärt nun das Buch von Thomas T. Tabbert. Ausführlich wird die Idee einer "absoluten Realitätsmaschine" erläutert, mit den zeitgenössischen Ansätzen der Kybernetik wie der Kunst verbunden und mit ähnlichen Entwürfen der Science Fiction verglichen. Von Stanislaw Lems "Phantomatik" über William Gibsons "Cyberspace" bis hin zu Hans Moravecs aktuellen und immerhin ernst gemeinten Visionen der KI, die den Menschen unsterblich machen soll, gibt es zahlreiche Visionen der Ersetzung des Menschen durch künstliche Implantate seiner selbst.

Wiener & Wiener: Die kybernetische Revolution

Oswald Wiener war ein enfant terrible der Kulturszene. Er scheint das geheime Vorbild aller heutigen Medienkunstwissenschaftler und Cyberpioniere zu sein: Künstler und Wissenschaftler zugleich, Computerspezialist, Philosoph und Mathematiker, Dichter. Als Mitglied der Literaturszene der so genannten Wiener-Gruppe Ende der 1950er Jahre in Wien fabrizierte er Gedichte und überführte sie in die Performancekunst. Bald distanzierte er sich, arbeitete als Programmierer bei Olivetti und schuf mit seinem "Roman" betitelten Buch über die "Verbesserung von Mitteleuropa" einen avantgardistischen, sprachkritischen und erkenntnistheoretischen Text, der bis heute ebenso Kult wie unverstanden und vergessen ist. Mit Oswald Wiener betritt die Kybernetik die Bühne der Kunst.

Ein dritter Wiener spielt hier eine große Rolle. Es sind die Werke Norbert Wieners (nicht verwandt), die als Grundlage der Kybernetik die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine hinfällig gemacht haben. Gleich, ob biologische oder mechanische Systeme, die Perspektive der Kybernetik gilt den Regelkreisen der Information. So lassen sich seit den 1940er Jahren, neben militärtechnischen Errungenschaften, auch die Bewusstseins- und die Wahrnehmungsleistungen des Menschen in Parametern der Informationsverarbeitung formulieren und kalkulieren. Dass diese Gleichsetzung von Mensch und Maschine immer auch einen ästhetischen Gruseleffekt hat - halten wir uns doch immer noch für etwas anderes als eine informationsverarbeitende Maschine - das hat der Kybernetik die Tore zur Science Fiction geöffnet. Auch reale neurologische Implantate, wie der "brain chip" zum Ausgleich von partiellen Hirnstörungen, sind Sprösslinge der Kybernetik, die dem Computer als universaler Maschine vorausgeht. Möglicherweise war die Revolution des 20. Jahrhunderts nicht die Maschine namens Computer, sondern das kybernetische Denken.

Den Bio-adapter denken

Die Idee ist heute ebenso einfach wie schlagend. Sie greift auf Simulationstechniken zurück, die in Datenhelmen oder -brillen, in Datenanzügen und künstlichen Environments, die Sinnesdaten erzeugen, ihren technisch anschaulichen, aber verkürzten Ausdruck gefunden haben. Die Idee der vollständigen Ersetzung der Wirklichkeit durch eine "absolute Realitätsmaschine" greift aber auch auf philosophische Urbestände zurück - konkret auf Platons Höhlengleichnis, in dem die Menschen an die irreale Wirklichkeit gebunden sind, aber auch auf Descartes Frage, ob wir überhaupt wissen können, was Realität wirklich ist. Oswald Wieners Vorstellung des Bio-Adapters greift diesen erkenntnistheoretischen Zweifel Descartes von der kybernetischen Seite her auf. Wenn unsere Wahrnehmungen Ergebnisse verschiedener Datenverarbeitungen, etwa von Pupille, Sehnerven und Hirnzentren, sind, dann lässt sich eine Maschine denken, die sich exakt an die Stelle dieser Datenverarbeitung und damit an die Stelle der äußeren Welt setzt. Damit wird die äußere Welt und alles, was wir als Wirklichkeit begreifen, vollkommen ununterscheidbar von den Erzeugnissen des Adapters. Er stellt für seinen Träger die ideale Welt dar - um so mehr, als Wiener ihn zugleich als Lusterzeugungsmaschine denkt.

"In seiner wirkung kann der bio-adapter mit der eines äusserst hochgezüchteten durch laufende anpassung auch den differenziertesten bedürfnissen höchstorganisierter lebewesen gewachsenen uterus verglichen werden ['glücks-anzug']. Er kann als die sich ins zunächst noch 'ausserleibliche' erstreckende hypertrophie der organmoduln sowie der nervösen baukomplexe seines inhabers interpretiert werden und ist in dieser betrachtungsweise ein konverter der vom menschen in dessen umgebung projizierten lustimpulse ['servo-narziss']."

Wiener beschreibt den Prozess der Verschmelzung differenziert in mehreren Phasen.

Die Konsequenz ist: Der Mensch wird "frei" von seiner äußeren Umwelt. Was als Gruselszenario im Sinne der menschlichen Batterien von "Matrix" erscheinen mag, kann als philosophische Erfüllung von Freiheit und Selbstbestimmung verstanden werden. Der Mensch ist endlich unabhängig von jeglicher Umwelt, sogar von der Umwelt seines eigenen Körpers.

Alles, was ist und sein soll, erzeugt der Bioadapter aus sich heraus, die Leiden des Körpers sind Vergangenheit. Damit steht die totale Freiheit und auch die Unsterblichkeit ins Haus. Es sind diese radikalen Konsequenzen, die Oswald Wieners Roman zwischen 1965 und 1969 entwirft und die seitdem in vielerlei Science Fiction immer wieder durchgespielt werden.

Thomas T. Tabbert zeigt in seinem Buch die Parallelen, vor allem aber auch die Unterschiede zu den Entwürfen etwa in Stanislaw Lems "Phantomatik" gut auf. Zwischen Lem, Wiener und Moravec gibt es feine Unterschiede, die Konsequenzen einer solchen Menschmaschine zu denken. Wenn "wir" selbst eine Maschine sind, die "uns" simuliert oder erzeugt, sind "wir" es dann noch? Bleibt das "Ich" identisch? Kybernetisch ist die Kodierung der humanistischen Glaubenswerte - Individualität des Menschen - denkbar. "Ich" bin nicht das Fleisch und Blut und dessen Denken, sondern "Ich" ist die Struktur, die dies erzeugt - heute würden viele diesen damals bahnbrechenden Ansatz unterschreiben, denn als genetische Programmierung verstanden, erscheint uns das heute plausibel. Dennoch tun sich hier erkenntnistheoretische Schwierigkeiten auf.

So grundlegend das Gesetz der "Strukturanalogie" für dieses Denken ist - nicht die Materie und ihre Form entscheidet (ich bin mein Körper und dessen Denken), sondern die Struktur der Erzeugung der Wirklichkeit, die ebenso gut von Siliziumschips oder anderen Maschinen erzeugt werden könnte - so groß sind die Probleme, die daraus entstehen. Die Frage, ob das, was "mich" simuliert tatsächlich im strengen Sinne identisch ist mit "mir", kann unterschiedliche Antworten erhalten. Geht Hans Moravec, dessen Bücher immer noch amerikanischen Forschungsvisionen Auftrieb geben, tatsächlich davon aus, dass wir - als in Schaltkreise gegossene Identitäten - unsterblich werden, so lässt sich mit Lem und Wiener die Frage nicht abwenden, ob hier nicht Parallelidentitäten entstehen, also Kopien von "Ichs" statt der Originale. Möglicherweise sind identische Strukturen in unterschiedlichen Materien oder Körpern (Fleisch, Magnetband, Silizium) doch verschiedene Wesen. Vor allem, was die Störungen angeht - ein Begriff, der zum Set der informationstheoretischen Grundlagen der Kybernetik gehört - muss dies als plausibel erscheinen.

Solche Fragen angeregt und gestellt zu haben, ist bis heute ein Verdienst Oswald Wieners Roman und es ist Thomas T. Tabbert zu danken, dass er dies in seinem Buch herausarbeitet und mit aktuellen Positionen und realen Versuchen, virtuelle Realitäten zu erzeugen und zu implementieren, vergleicht. Wieners Bio-Adapter erweist sich dabei als die nach wie vor gedanklich ausgereifteste Konstruktion - allerdings auch noch aus einem ganz anderen Grund, der in Tabberts Buch leider nicht erwähnt wird.

Der übertragene Sinn, der perfekte Narziss und das Ende des Menschen

Eine Frage Oswald Wieners war es auch, wie Sprache als Erzeugung von Welt funktioniert. Das gibt seinem Roman eine sprachkritische Dimension. Seine Vision des Bio-Adapters erschöpft sich daher keineswegs in Science Fiction. Wieners Vorschlag zur Verbesserung von Mitteleuropa in der Ersetzung des natürlichen Menschen durch den künstlichen Menschen hat auch eine kritische polemische und ironische Note.

Es ist diese Ironie, die, angesichts der philosophischen Schwere des Textes, bislang immer übersehen wurde. Denn der Bio-Adapter stellt nicht nur die Ersetzung der natürlichen Welt durch eine vom künstlichen "Ich" erzeugte dar, sondern eine Lustmaschine. Der Bio-Adapter ist pure Onanie. Diese kritische Konzeption verbindet das technische und kybernetische Konzept mit den politischen und zivilisationskritischen Tönen des Romans.

Letztlich nämlich liegt die Verbesserung von Mitteleuropa, folgt man Wieners Ironie, ganz auf der Linie, die der Film "Matrix" populär umgesetzt hat: Während die abgeschaffte Außenwelt als Umwelt zerstört ist, holen wir uns puren Lustgewinn in selbst simulierten Welten. Wieners Roman ist in diesem Punkt dezidiert konsum- und zivilisationskritisch. Die Verbesserung von Mitteleuropa, so legt er ironisch nahe, liegt in der Züchtung des Menschen, der sich selbst genügt, der perfekte Narziss, der, wie Tabbert herausarbeitet, gar kein Mensch mehr sein wird. So ist der Weisheit letzter Schluss aus Wieners Monster-Werk, dass es die Verbesserung von Mitteleuropa in der Abschaffung des Menschen sieht, nicht in seiner Rettung. Und diese "schwarze Romantik" unterscheidet Oswald Wieners Wunschmaschine von allen ihren Nachfahren.


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Thomas T. Tabbert: Verschmolzen mit der absoluten Realitätsmaschine. Oswald Wieners "Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman".
Artislife Press Hamburg e.K., Hamburg 2005.
190 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3938378085

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