Wissenschaftlicher Malestream, feministische Parallelwelten und heterosexualitätskritische Queer Studies

Sabine Hark entwirft eine Diskursgeschichte des wissenschaftlichen Feminismus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Gespenst ging um im feministischen Wissenschaftsdiskurs deutschsprachiger Frauenforscherinnen zu Beginn der 1990er Jahre. Es war "die phantasmatische Konstruktion der Figur 'Judith Butler' als Verführerin der jungen Frauen". Kampferprobten Frauenrechtlerinnen der heroischen 1970er schüttelte blankes Entsetzen angesichts des positiven Wiederhalls, den Butlers dekonstruktive Erörterung des "Gender Trouble" bei jungen Feministinnen hervorrief. Der Schreck fuhr ihnen in die Feder, aus der Texte quollen, die Butler als eine "aus Bildern souveräner Maskulinität, geschlechtlicher Transgression und erotisch aufgeladener Verführungsphantasien" zusammengesetzte Person erdichteten. Besonders wütend klangen seinerzeit die schrillen Schreckensschreie der Körper-Theoretikerin Barbara Duden. Heute ist Butler längst als bahnbrechende Gender-Theoretikerin und als eine der einflussreichsten feministischen WissenschaftlerInnen anerkannt, während Dudens Anwürfe allenfalls noch einen gewissen Kuriositätenwert besitzen.

Eine der damals jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen, die Duden und andere durch Butlers theoretische Verführungskünste gefährdet sahen, dürfte Sabine Hark gewesen sein. Als eine der mittlerweile etablierten Gender- und Queer-TheoretikerInnen hat sie nun ihre Habilitationsschrift vorgelegt, in der sie die Diskursgeschichte des "akademisch gewordenen Feminismus" seit den 1970er Jahren - und so auch die so 'verwirrend' einsetzenden 1990er - nachzeichnet und analysiert. Diesem ebenso konzisen wie erhellenden Werk sind auch die obigen Zitate entnommen.

"Dissidente Partizipation" - so der treffende Titel des vorliegenden Buchs - begibt sich zwischen den "Schnittstellen von Wissenschaftssoziologie, Hochschulforschung, wissenssoziologischer Diskursanalyse und feministischer Theorie" auf die Suche nach dem "feminist turn von Wissenschaft" und nach dem "academic turn von Feminismus".

Ausgehend von der These, "dass Teilhabe die prekäre Voraussetzung für Veränderung ist", gilt Harks Erkenntnisinteresse insbesondere zwei "Fragenkomplexen". Zum einen spürt sie den "Prozessen und Praktiken" nach, "in denen und durch die wissenschaftliches Wissen produziert und form(at)iert wird" und zum zweiten untersucht sie, "wie sich selbst als 'kritisch', 'dissident' oder 'widerständig' verstehende Wissensprojekte innerhalb der und von den etablierten disziplinären und akademischen Ökonomien, die verändert werden soll(t)en, produziert und form(at)iert werden". Da der Feminismus durch seine akademische Institutionalisierung - insbesondere durch die Einrichtung eigenständiger Studiengänge - derzeit " "reatikulier[t]" werde und der "gegenwärtige Moment" daher für seine weitere Entwicklung "entscheidend" sei, zielt Harks Unternehmen letztlich darauf, "unsere kritische Aufmerksamkeit" auf die Einrichtungen zu richten, in denen heute "wissenschaftliches Wissen produziert und distributiert" wird. Schließlich stünden Vergangenheit und Zukunft des "feministischen Projekts" auf dem Spiel, das ohnehin schon 'intern' umstritten sei und von 'außen' angefochten werde. Das mag ein wenig pathetisch klingen, trifft den Kern der Sache aber punktgenau.

Wissenschaftliche Texte werden in Harks Habilitationsschrift nicht als "simple Informationsträger" verstanden, welche die Erkenntnisse, Irrtümer und Positionen ihrer AutorInnen transportieren. Denn ihre Geltung resultiert der Autorin zufolge nicht alleine aus der "Stringenz und Plausibilität" ihrer Argumente, sondern ist "Ergebnis eines komplexen sozialen Prozesses" innerhalb einer "Kräftekonstellation" von "Politiken, denen es um die Organisation des feministischen Wissensfeldes zu tun ist; Politiken, die regulieren, wer welche Geschichte(n) erzählen kann und welchen Geschichten die Autorität zukommt, das Feld 'angemessen' zu repräsentieren". Kurz: Wissenschaftliche Texte schreiben und veröffentlichen ist Hark zufolge eine "politische Aktivität". Zumindest gelte dies in "Disziplinen mit hohem kognitiven Dissens". Gemeint sind Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften.

Harks "Narration" der "Geschichte des feministischen Wissensprojektes" neigt zwar dazu, einen seit den 1970er eingetretenen "Verlust von politischen Ansprüchen und theoretischer Radikalität" zu beklagen, konzediert den der feministischen Frauenforschung folgenden Gender Studies allerdings "die Verfeinerung zu immer größerer theoretischer Differenziertheit". Dabei ist sich Hark sehr wohl bewusst, dass Geschichte "polychromatischer" ist, als es eine "von präsentischen Interessen geleitete Rekonstruktion" vermuten lässt - und das gilt auch für die von ihr selbst vorgelegte, welche die geschichtliche Entwicklung des feministischen "wissenschaftlichen Wissens" als "diskontinuierliche Geschichte von Umstrittenheit" und als Geschichte eines "umstrittenen Wissens" erzählt.

Harks detailreicher und informativer Abriss der Entstehung und Entwicklung des akademischen Feminismus hält mehr, als die bescheiden Sebstbezeichnung "mini-history" verspricht. Eine der "Wegmarken", auf die Hark aus guten Gründen ein besonderes Augenmerk richtet, setzte Butlers bahnbrechendes Buch "Gender Trouble". Erfreut darf man feststellen, dass Harks Ausführungen zum Besten zählt, was auf dem deutschen Theoriemarkt hierzu zu haben ist. Zur Höchstform läuft sie aber erst in der Auseinandersetzung mit der frühen deutschsprachigen Kritik an Butler auf.

Unter der Maßgabe von Wissenschaft als politischer Aktivität kommt Hark zufolge der Rede vom feminist turn insofern eine strategische Funktion zu, als sie die Geltung feministischer Problematisierungen und Wissensansprüche organisiert. Ihre Funktion bestehe in der "performative[n] Selbstproduktion des akademischen Feminismus als akademisch anerkanntes und zugleich widerspenstiges Wissensprojekt". So sei sie Teil einer "ständig reiterierten Kette diskursiver Äußerungen", die den akademischen Feminismus institutionell als "eigenständiges, wirkungsmächtiges intellektuelles Feld verfestigen", wobei Hark den Terminus "Feld" als "Ensemble der Kämpfe" definiert, "in denen um Hegemonie gerungen wird". In diesem Ringen seien Frauen- und Geschlechterforschung - die Hark im übrigen immer wieder allzu umstandslos mit feministischer Wissenschaft gleichsetzt - "vom Ziel der Transformation des vorgefundenen Wissens oder vom Status eines autonomen, unangefochtenen Feldes noch ebenso weit entfernt wie Frauen von der Selbstverständlichkeit, 'Wissenschaft als Beruf' ausüben zu können". Darüber, gerade mal einzelne Themen und Ansätze dem Kanon einer Disziplin einzuverleiben, sei feministische Wissenschaft bislang kaum hinausgelangt, vielmehr müsse sie ihr wissenschaftliches Dasein noch immer in "Parallelwelten" fristen und zwar - so könnte man anfügen -, ohne dass es ihr bislang gelungen wäre, im ruhig dahinfließenden malestream nennenswerte Turbulenzen zu erzeugen.

Andererseits, so moniert Hark zu Recht, erweise sich der akademisch gewordene Feminismus selbst als "gatekeeper" gegenüber den "(hetero)sexualitätskritische[n] Forschungsperspektiven" der Queer Theory. Allerdings sei auch diese "kein unschuldiger Akteur" im "Spiel der Regulierung von Wissen und Wissensobjekten". Demgegenüber gelte es sowohl feministische als auch queere TheoretikerInnen zu einem für beide Seiten konstruktiven Dialog zu ermutigen.

Der letzte Abschnitt des Buchs gilt der seit einiger Zeit vehement geforderten (und in jüngster Zeit auch zunehmend kritischer beäugten) Inter- bzw. Transdisziplinarität. Hier wendet sich Hark zunächst gegen den fast schon modisch zu nennenden, jedenfalls aber Ungebundenheit versprechenden Topos des "undisziplinierten Geschlechts", der vor einigen Jahren gar zum Titel eines Buchs avancierte. (Vgl. literaturkritik.de 06/2001) Es sei weniger ein undiszipliniertes Denken nötig, ein Denken also, "das sich immer schon auf der richtigen Seite wähnt", als vielmehr ein Denken "in Kontexten", das zugleich dazu in der Lage sein müsse, sich kritisch zu sich selbst zu verhalten. In diesem Sinne plädiert Hark für ein "reflexives Verständnis von transdisziplinärem 'Beziehungssinn'".

Zwar solle feministische Wissenschaft die "anfänglich praktizierte Illoyalität" gegenüber der herkömmlichen "Ordnung des Wissens" nicht aufgeben. Allerdings sollte sich von der Vorstellung verabschiedet werden, Inter- bzw. Transdisziplinarität sei "schlechthin ein Remedium gegen Herrschaftswissen und Erkenntnisbonierungen". Kritische Transdisziplinarität, so formuliert Hark paradox, sei "nur um den Preis der Disziplinwerdung" zu haben.


Titelbild

Sabine Hark: Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
456 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3518293532

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