Gut und schön

Astrid Arndt über Wertungsprobleme der Literaturkritik

Von Tim LörkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tim Lörke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch kommt zur rechten Zeit: Erneut kochen die Debatten um Peter Handkes Serbien-Stellungnahmen hoch und provozieren die Frage, ob man einem vermeintlich moralisch diskreditierten Autor einen Preis verleihen könne. Dass die empörten Diskutanten teilweise die einschlägigen Texte wie auch die Romane Handkes nicht gelesen haben, heizt die Aufgeregtheiten zusätzlich an.

Es ist ein alter Skandal, der dahinter steht. Noch immer reibt sich die Öffentlichkeit verwundert die Augen, wenn ein großer und berühmter Schriftsteller ethisch fragwürdige Aussagen zum Weltgeschehen macht und seine Haltungen (und Taten) kaum zustimmungsfähig sind in Zeiten, in denen der politisch korrekte Reflex regiert. In welcher Weise die moralisch gefärbte Beurteilung die Bewertung literarischer Werke steuert, ist die Leitfrage der Studie Astrid Arndts über Wertungsprobleme der Literaturkritik. Dabei rückt sie vor allem die "ungeheuren Größen" Malaparte, Céline und Benn in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Ungeheuer sind diese drei im zweifachen Wortsinn: Ihnen kommt ein kaum zu überschätzender Rang in der Literaturgeschichte zu. Zugleich sind sie gewissermaßen moralisch beschädigt durch ihr jeweiliges Eintreten für den Faschismus beziehungsweise Nationalsozialismus. Der Kritik sind sie sozusagen ungeheuer.

Astrid Arndt geht ihre Studie systematisch und wohltuend frei von theoretischen Überformungen an. Einleitend bietet sie einen Überblick, der die Entwicklung der "konfligierenden Werturteile" ästhetisches Lob und moralischer Tadel skizziert. Problematisch ist das Verhältnis von Ethik und Ästhetik seit Platon und Aristoteles. Bis zu den jüngsten Stellungnahmen von Wolfgang Welsch, Karl Heinz Bohrer oder Christoph Menke verfolgt Astrid Arndt die zunehmende Differenzierung zwischen ästhetischer Lust und geistig-moralischer Funktion. Vor allem die Gleichsetzung des Schriftstellers mit dem Intellektuellen, die im 19. Jahrhundert im Zuge der Dreyfus-Affäre einsetzt, verdeutlicht die Präzeptorenrolle, die Schriftsteller zu erfüllen haben. Von nun an haben sie eine politische Vorbildfunktion inne und müssen durch politisches Engagement in Erscheinung treten.

Hier lauert die Gefahr. Kann ein falsches politisches Denken literarische Qualität fördern? Weil Intellektuelle traditionell literarische und ethisch-politische Wertschätzung in sich vereinen, sind Autoren von zweifelhaftem weltanschaulichen Ruf intellektuell und künstlerisch nicht in Betracht zu ziehen. Diese problematische Überzeugung nennt Astrid Arndt das "Inkompatibilitäts-Diktum", dem sie zuzustimmen scheint; jedenfalls hinterfragt sie es nicht.

Sie bezieht sich auf verschiedene Schriften Sartres, Adornos oder Vittorinis, für die ein "wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Kunst und Gesellschaft" selbstverständlich ist. Daraus folgt aber notwendigerweise die Diskreditierung des literarischen Rangs eines Schriftstellers, der sich in welcher Weise auch immer totalitären Systemen zur Verfügung stellt. Entsprechend konzentriert sich die Studie auf die "üblichen Verdächtigen", wie Astrid Arndt selbst betont: Benn, Céline und Malaparte. Damit entsteht allerdings sogleich eine Schieflage: "Rechte" Autoren werden gegen "linke" Kritiker ausgespielt. Zwar weiß Astrid Arndt um die Fragwürdigkeit der Etikettierung "rechts" oder "links", zieht aber daraus keine Konsequenzen für ihre Fragestellung. Dass eine links sozialisierte Literaturkritik Probleme mit rechten Autoren hat, verwundert kaum. Welche Wertungsprobleme aber ergeben sich für die Literaturkritik bei der Bewertung von Autoren, die sich mit linken totalitären Systemen eingelassen haben? Leider verzichtet Astrid Arndt auf solche Autoren und nimmt sich selbst die Gelegenheit, das Bild, das sie von der Literaturkritik zeichnet, an einer entscheidenden Stelle auszumalen.

Den Hauptteil der Monografie bildet die gründliche Aufarbeitung der jeweils politisch tingierten Rezeptionsgeschichten Malapartes, Célines und Benns. Dabei greift Astrid Arndt auf Rezensionen, Porträts, Essays, Nekrologe und Gedenkartikel zurück, um die Urteile der Kritiker über die Schriftsteller aufzuarbeiten. Das "Inkompatibilitäts-Diktum" scheint zu wirken, wie leicht an den drei Fallstudien zu verfolgen ist. Diejenigen Kritiker, die den weltanschaulichen Überzeugungen des jeweiligen Autors kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, bezweifeln dessen künstlerische Qualität. Das funktioniert allerdings auch anders herum, indem die moralischen Sünden eines Schriftstellers als lässlich eingestuft werden, um den künstlerischen Rang zu beglaubigen.

Dies beweist Astrid Arndt in ihrer materialreichen Untersuchung. Sie liefert drei Rezeptionsgeschichten unter politisch-moralischem Vorzeichen, an denen sich die Strategien der Ab- und Aufwertung, der Sanktionierung politisch missliebiger Autoren und der Exkulpation hervorragender Künstler ablesen lassen. Dabei gelingt es Astrid Arndt, durch die Frage nach den Funktionsmechanismen der Literaturkritik die Debatten um den Rang Malapartes, Célines oder Benns in weitere Zusammenhänge zu stellen. Allerdings erhebt sie nirgends den Anspruch, zu einer Bewertung der jeweiligen Werke beitragen zu wollen. Das bedeutet, dass die Autoren selbst nicht zu Wort kommen und die Kritiken (und Kritiker) nicht an den literarischen Texten gemessen werden.

Den Erkenntnishorizont ihrer Studie hat Astrid Arndt eingeengt, indem drei Mal derselbe "Fall" verhandelt wird, auf den die Literaturkritik letztlich gleich reagiert. Ein Schriftsteller, dessen politisch-moralische Haltung völlig den Ansprüchen der Kritik genügt, aber ästhetisch versagt, müsste die Kritik vor neue Herausforderungen stellen: Nach den Ausführungen Astrid Arndts müssten dann die ästhetischen Bewertungskriterien auf dem Prüfstand stehen, um ein politisch korrektes Werk ästhetisch zu legitimieren. Ein solcher "Fall" fehlt diesem Buch. Und dass einem ein solcher Fall gerade nicht einfallen will, spricht vielleicht für die bösen Jungs à la Benn.


Titelbild

Astrid Arndt: Ungeheure Größen: Malaparte - Céline - Benn. Wertungsprobleme in der deutschen, französischen und italienischen Literaturkritik.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005.
380 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-10: 348418177X

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