Barock ist immer

Drei kulturwissenschaftliche Publikationen widmen sich der Epoche des Barock

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Zeitalter des Barock ist ein wenig aus der Mode gekommen, was vielleicht an der hohen Komplexität dieser Epoche liegt, die nicht nur vordergründig mit üppigen Formen, Themen und Bildern bestückt ist. Die Vielschichtigkeit der kunsttheoretischen und auch der "kunstpraktischen" Entwürfe dieser Epoche verlangt Interessierten und Wissenschaftlern ebenso komplexe Zugangsformen ab. Dass die Titel der drei vorzustellenden Bände - "Barock als Aufgabe", "Muße und Verschwendung", "Abenteuer Barock" - auf vielfältige Ansätze hindeuten, ist daher kein Zufall.

Die drei sehr unterschiedlichen Publikationen zum Barock bieten drei ebenso verschiedene Perspektiven auf die Epoche und die speziellen Blickweisen und Problemhorizonte, die sich bei Detailstudien eröffnen. Der Sammelband "Barock als Aufgabe" fasst zwölf Vorträge eines Arbeitsgesprächs an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel im September 2001 zusammen. Dass zwischen Veranstaltung und Veröffentlichung der Beiträge ein relativ langer Zeitraum verstrichen ist, verwundert nur solange, bis man das "Vorwort" des Bandes gelesen hat: "Das Arbeitsgespräch in Wolfenbüttel nahm es sich deshalb zum Ziel, zum einen die vielfältigen Ansätze zur Neusichtung des Barocks im Allgemeinen (in Philosophie und zeitgenössischer Kunst) für die Forschung zum Werk Fischer von Erlachs im Besonderen zu nutzen und zum anderen die Problematik monographischer Betrachtung für allgemeine Fragen an Barock und Moderne zu öffnen."

Die auf das architektonische Werk Fischer von Erlachs beschränkte Perspektive erweckt zunächst den Eindruck eines eher speziellen Forschungsinteresses, letztendlich ist es aber vor allem diese Beschränkung des Forschungsgegenstands, die es erlaubt, auch ungewöhnliche Fragestellungen und Anforderungen an den Barock heranzutragen. Eines der fast durchgängigen Motive des Bandes ist das Bestreben nach der Verknüpfung von Barock und Moderne. Dies ist vor allem die Moderne, wie sie für den Bereich der bildenden Kunst definiert wird. Joseph Imorde formuliert es in seinem Beitrag "Barock und Moderne" folgendermaßen: "Der Barock konnte seinen Platz in der Moderne genau dort einnehmen, wo sich im Wandel des wissenschaftlichen Fortschritts der Glaube an ein Jenseits erhielt, genau dort, wo ideologischen Aussagen in Kunst, Religion und Politik über ein Empfinden transportiert und verwahrt werden sollten, eben an der Stelle also, wo man sich der [...] Empfindungsmechanik bediente". Zusammenfassend kann man den in der Einleitung formulierten Anspruch, "die Früchte verschiedener Disziplinen und Anschauungen zusammenzuführen und 'aktuell' im Blick auf Vergangenheit zu sein" zwar als erfüllt bewerten, die Ausführung als Ganzes ist jedoch für den Leser schwerfällig und der Sammelband damit eher für Fachwissenschaftler geeignet. Aber vor allem zwei weitere Publikationen zum Thema Barock machen dem Band von Kreul im Hinblick auf Lesefreundlichkeit Konkurrenz.

Der Untertitel von Peter Hersches Monografie, "Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter", deutet schon den etwas anderen Ansatz und den damit einhergehenden Anspruch an den Untersuchungsgegenstand an. Hersche beschränkt sich nicht auf einen regionalen Ansatz oder auf eine Zusammenstellung von Einzeluntersuchungen, die eher auf die Lücken verweisen als zusammenfassende Ergebnisse vorzulegen. Die beiden umfangreichen Bände wirken auf den ersten Blick Ehrfurcht einflößend, und das achtzehnseitige Inhaltsverzeichnis zu Beginn des ersten Bandes ist schon für sich ein kleines Lektüreerlebnis. Es verweist vor allem auf die Komplexität und die umfassende Aufgabe, die sich der Autor gestellt hat. In den "Vorbemerkungen" skizziert er, was er anschließend auf zwölfhundert Seiten unterhaltsam, kompetent und oft in verblüffenden Kombinationen vorlegt: "Der vorstehende Buch versteht sich zunächst als neue Zusammenfassung einer alten, aber in der wissenschaftlichen Literatur 'verlorengegangenen' Thematik, nämlich des 'Barockkatholizismus'." Und einige Seiten weiter heißt es: "Vorweggenommen erwähnt sei hier die ganze klare Absicht, keine konventionelle Kirchengeschichte schreiben zu wollen. [...] Die Darstellung ist vor allem Sozial- und Kultur- bzw. Mentalitätsgeschichte, wobei für die 'Kultur' kein Gegensatz zwischen traditioneller Kulturgeschichte und der neuerdings favorisierten Volkskultur konstruiert wird. Zu letzterer hat das traditionelle Fach der Volkskunde viel Material beigetragen. [...] Leitende Fragestellung ist diejenige, die schon Max Weber umtrieb, nämlich die nach den Folgen der konfessionellen Spaltung für das profane Leben."

Die Leser erwartet nach diesen Vorankündigungen einen Überblick über das katholische Barockzeitalter in Europa, ein seit Langem offensichtliches Desiderat der Forschung. In drei großen Abschnitten zu Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur wird der Zeitraum von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis ungefähr ins Jahr 1780 abgehandelt, dargestellt im Spannungsverhältnis der beiden bestimmenden Bevölkerungsgruppen, Bauerntum und Adel. Im Gegensatz zur Darstellung der Affinitäten zwischen Barock und Moderne in dem Band "Barock als Aufgabe" verweist Hersche auf eine bestechende und verblüffende Parallele des Barocks zur Gegenwart. Seine Ausführungen zum Umgang der katholischen Kirche mit dem "Kapital" und die Tendenz der katholischen Kirche zu opulenten, kostspieligen "Festdekorationen", der sich hierin äußernde Hang zu "Muße und Verschwendung", offenbart eine geradezu 'modern' zu nennende Haltung, die man auch in der "Freizeitkultur" der Gegenwart ausfindig machen kann.

Neben einer durchweg unterhaltenden, oft bestechenden, manchmal sogar lakonisch sachlichen Darstellung, die mit Literaturhinweisen, Informationen zur Forschungssituation und anderen nutzbringenden Hinweisen versehen ist, kann man die beiden Bände nur positiv hervorheben, die kurzweilige Lektüre unterstreichen - und zwar nicht nur für wissenschaftlich informierte, sondern vor allem auch für kulturhistorisch interessierte Leser.

Lesern mit eher allgemeinem Informationsbedarf zur Epoche des Barock sei - etwa bevor man sich an die Lektüre eines so umfassenden Werkes wie das von Hersche macht -, der Band von Winfried Freund empfohlen. Sein "Abenteuer Barock" vermittelt genau das, was der Titel verspricht - und ein wenig mehr. In dem einleitenden Abschnitt heißt es: "Die vorliegende Betrachtung der Barockkultur strebt weder Vollständigkeit noch eine kulturgeschichtliche Darstellung im herkömmlichen Sinn an. Vielmehr geht es ihr um die Frage nach der Aktualität barocken Dichtens und barocker Lebenskultur, um die Frage nach der möglichen Bedeutung einer vergangenen Schreibweise für das Selbstverständnis der Gegenwart." Freund gestattet sich die bewusste Auswahl unter den Schriftstellern, Künstlern, Kunstwerken, Musikern und Malern, um ein möglichst komplexes Bild der Epoche zu zeichnen. Die Prämisse der gezielten Auswahl ist für die Darstellung durchweg von Vorteil. Dabei bedient sich der Verfasser einer oft etwas ungewöhnlichen Methodik, die man durchaus kritisieren könnte, die aber letztendlich dem Leser zugute kommt: "Gefordert ist weniger eine systematische Darstellung, die dem Gegenstand stets nur die eigene gedankliche Strukturierung aufzwingt, sondern ein expansives, multiperspektivisches Wahrnehmen, das sich dem Ganzen von vielen Seiten nähert, um letztlich zu erkennen, wodurch alles im Innersten zusammengehalten wird."

Winfried Freund, Professor für Neuere deutsche Literatur und Literaturdidaktik an der Universität Paderborn, schafft es, die Epoche plastisch darzustellen. Es wird deutlich, was die Epoche "Barock" ausmacht. Der ganze Mensch wird entdeckt, Genuss, Sinnlichkeit, Schönheit, Zerstörung und die Angst vor dem Tod. Auch die gesellschaftliche Seite, Wirtschaft, Religion, Philosophie, Architektur u. s. w. werden im Hinblick auf die Ausbildung einer modernen Identität untersucht und in ein adäquates Verhältnis zueinander gestellt. Durch die Darstellung der Beziehungen zwischen den Disziplinen entsteht eine Literatur- und in Ansätzen sogar eine Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts. Und wenn Freund die Epoche vor dem Auge des Lesers auferstehen lässt, vergisst man nie den Hintergrund der Geschehnisse, die Folie, vor der diese üppige Kultur ihre Schönheiten ausbreitet: die Hexenprozesse und den alles bestimmenden Dreißigjährigen Krieg.

Der Band von Freund ist ein wirklich hervorragendes, für den Barock begeisterndes Buch, Kreuls Band sei interessierten Wissenschaftlern empfohlen und Hersches Kompendium hat das Format für ein Standardwerk, das von vielen gelesen werden sollte.


Titelbild

Winfried Freund: Abenteuer Barock. Kultur im Zeitalter der Entdeckungen.
Primus Verlag, Darmstadt 2004.
240 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3896784927

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Andreas Kreul (Hg.): Barock als Aufgabe.
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 2005.
288 Seiten, 69,00 EUR.
ISBN-10: 3447052635

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Kein Bild

Peter Hersche: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter. 2 Bände.
Herder Verlag, Freiburg 2006.
1152 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3451289083

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