Ein slowenischer Franz Kafka

Slavko Grum öffnet geheime Tapetentüren in eine Traumwelt voller Einsamkeit und nüchterner Verzweiflung: Auswege sind ausgeschlossen

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Slavko Grum (1901-1949) ist in Slowenien ein bekannter Autor, dessen Werk von der philologischen Forschung recht gut erschlossen ist. Umso dringender war es geboten, dass mit der gelungenen Übersetzung von Erwin Köstler endlich auch Textproben in deutscher Sprache vorliegen.

Slavko Grums literarisches Schaffen war in den 1920er-Jahren in einem Zeitraum von fünf Jahren entstanden und lässt in seiner knappen, aber höchst intensiven Weise an eine kometenhafte Erscheinung denken. In gewisser Weise trifft diese Einschätzung auch auf das Leben von Slavko Grum zu, der in den 1920er-Jahren während seines Medizinstudiums in Wien mit der Psychoanalyse vertraut wurde, und nach 1930 keine literarischen Veröffentlichungen mehr vorlegte.

Die Fokussierung auf die inneren Abgründe des Menschen führten bei Grum zu einer eindringlichen psychologischen Schreibweise, die in 27 Textbeispielen vorgestellt werden. Immer wieder wurde Slavko Grum nicht zuletzt vor dem gemeinsamen mittelosteuropäischen Hintergrund mit böhmischen Schriftstellern wie Richard Weiner oder Franz Kafka verglichen. Es wird bei Grum eine ganz normale Welt vorgeführt, die zumeist aus der Sicht eines traumverlorenen Ich-Erzählers ihre alltägliche Unschuld verloren hat und voller Doppelbödigkeit steckt. Oft sind es Mansardenzimmer, in denen der Erzähler sinniert - meist unterlegt vom monotonen Geräusch eines sinnlosen Regens. Grums Texte sind Regentexte voller Einsamkeit und weißer, leerer Zimmer. Traum und Wirklichkeit beginnen einander auszutauschen und in diesem Flimmern entsteht jener eigentümlich Sog, der an Grums Texten besticht. Auswege gibt es keine!

In "Die Wartenden" beschreibt ein Arzt seine alltäglichen Aufgaben, ohne eine Hehl aus der Sinnlosigkeit seines Tuns den Patienten gegenüber zu machen: "Meine ganze Arbeit besteht nur darin, sie mehr oder weniger geschickt zu belügen. Das Schlimmste bei all dem aber ist, das größte Grauen: diese Menschen hoffen unentwegt, daß etwas geschehen werde, sie warten."

Die Einsamkeit des Menschen kennt der Ich-Erzähler aus eigener Erfahrung und mag zugleich der tiefste Grund dafür sein, seine Worte auf Papier zu setzen. Die Form der Mitteilung in einem Text entspricht einer praktizierten Einsamkeit. In der Erzählung "Das weiße Asyl" endet solch ein Verfahren im Gespräch mit Toten, die als Gefährten gesehen werden.

Das Vexierspiel mit wechselnden Perspektiven beherrscht Slavko Grum souverän. In der Erzählung "Die Fahrt" bietet sich aus der Perspektive eines Reisenden in einem Zugabteil eine ideale Gelegenheit, Mitreisende und zusteigende Fahrgäste einer intensiven Beobachtung zu unterziehen und sich dabei unmerklich in deren Innenwelt zu versenken: "Zum Beispiel sind wir Männer alle sofort ganz anders geworden, als die Frau eingestiegen ist, jeder versucht sich als der Ansehnlichere zu zeigen. Ich für meine Person beachte sie gar nicht, es ist zweifelhaft, ob ich sie überhaupt bemerkt habe. Ich verstelle mich, um den Eindruck zu erwecken, daß nichts mehr auf mich wirken kann."

Mit einer doppelbödigen Hintergründigkeit, die zuweilen an Selbstgespräche erinnern, werden die Dinge beobachtet. Es gibt keine Sicherheiten im Leben, das erzählende Ich und seine Wahrnehmungen sind auf merkwürdige Art zerstreut. Synästhesien bilden einen unverhofften Zugang zu Vorgängen, die über das obligatorische Wahrnehmungsschema hinausreichen.

In dem kurzen Text "Mai in der Vase" wird der Dialog zwischen einem Patienten, "der vergessen hat, daß er tot ist", und einer bleichen Nonne beschrieben: "Ihre Worte waren weich, sie kamen zu mir wie Holunderduft, wie etwas Schluchzendes, das sich schwer seinen Weg gebrochen hat und nun mit einem Flügel am Herzen hinstreift."

In bekannt hervorragender Aufmachung ist auch diese Ausgabe der Edition Thanhäuser mit einem Original-Holzschnitt am Umschlag, einem Porträt-Holzschnitt von Slavko Grum und sieben Abbildungen von Kaltnadelradierungen des Verlegers Christian Thanhäuser versehen. Die Edition Thanhäuser hat sich mit der Entdeckung unbekannter Autoren aus dem mittel- und osteuropäischen Bereich bereits einen Namen gemacht. Mit der Präsentation von Slavko Grums Prosa werden erstmalig im deutschen Sprachraum Texte des slowenischen Franz Kafkas zugänglich gemacht.


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Slavko Grum: Das weiße Asyl. Gesammelte Prosa. Mit einem Nachwort von Erwin Köstler. Abbildungen von Christian Thanhäuser.
Übersetzt aus dem Slowenischen von Erwin Köstler.
Edition Thanhäuser, Ottensheim 2006.
176 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-10: 3900986630

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