Der Wetterfrosch und die Chiffreanzeige

Silvio Huonders Roman "Valentinsnacht"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fedo (Alfred) Paulmann, ein in Berlin lebender, alleinstehender Diplom-Meteorologe mit Zeitarbeitsvertrag, liest eine etwas merkwürdige Kontaktanzeige "Melde dich oder lass es bleiben - Chiffre 20819". Er verabredet sich mit der Unbekannten zu einem Kinobesuch. Eine Frau, die kaum Ähnlichkeiten, mit dem ihm zugesandten Passfoto aufweist, spricht ihn im Kinofoyer an, und damit nimmt Silvio Huonders neuer Roman erst richtig Fahrt auf.

Sein Protagonist hatte sich den Film nicht mit der Anzeigeninserentin Reinhild, sondern mit einer anderen Frau - einer Cutterin von Mitte 30 - angesehen. Ein flüchtiges Bettabenteuer folgte, ganz nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Doch jene Katarina wird schwanger, und es beginnt ein heilloses emotionales Hin-und-Her, ein Beziehungschaos zwischen zwei Personen, die der Zufall (oder besser Katarinas Spontaneität) zusammenführte. Geistreiche und scharfzüngige Dialoge über Fragen nach Verantwortung und gegenseitige bösartige Vorhaltungen zeugen von der Theatererfahrung des 52-jährigen Schweizers Silvio Huonder.

Das Leben seiner beiden Hauptfiguren Fedo und Katarina droht aus dem Ruder zu laufen, zumal Paulmann, der Wetterkolumnen fürs Internet verfasst und sich Hoffnungen auf eine eigene Radiosendung machte, die Nachricht erhält, dass sein Zeitvertrag im Institut nicht verlängert wird.

Er muss seine Wohnung räumen, weil der komplette Straßenzug saniert werden soll, zieht dann bei Katarina ein und haust in einem winzigen Zimmer - mit klar abgesteckten Spielregeln: "Es war eine schwierige Koexistenz."

Die äußeren Einflüsse (es herrscht ein Rekordwinter mit Minustemperaturen um die 20 Grad) unterstreichen noch die Frostigkeit dieser Liaison: "Über die Absurdität ihrer Beziehung sprachen sie nie."

Katarina, die von einem ihrer Auftraggeber um den Lohn monatelanger Arbeit geprellt wird, kämpft zurückgezogen in ihrem Innern mit der Frage: Abtreiben oder nicht? Ein wirklicher Gedankenaustausch mit Fedo findet nicht statt. Sie werfen einander nur Wortfetzen an den Kopf: "Egal ob ich das Kind abtreibe oder es behalte, es geschieht in meinem Körper. Ich habe die Schmerzen auszuhalten. Du bist ein Mann, du hast es gut."

Paulmann sucht nicht das Gespräch, sondern greift zu einer großen, leicht slapstickhaft wirkenden Geste. Völlig betrunken trennt er sich in einem Copy-Shop um Mitternacht mit Hilfe einer Papierschneidemaschine den kleinen Finger der rechten Hand ab. Dieser symbolische Akt führt das zerstrittene Paar wieder zusammen. Katarina besucht Fedo im Krankenhaus, später begleitet er sie zu Arztterminen und nimmt mit ihr an einem Schwangerschaftskurs teil. Dennoch quält ihn eine Art Restzweifel, ob er seiner bevorstehenden Rolle gewachsen ist.

Überaus versöhnlich arrangiert Silvio Huonder das Schlussbild dieses amüsanten Romanes: "Es tut mir leid", sagt Paulmann, als er sein Kind zum ersten Mal in den Armen hält. Zwei leicht egozentrische Individualisten werden konsensfähig.

"Valentinsnacht" - diese an Kuriositäten reiche tragikomische Beziehungsgeschichte, in die Anleihen aus dem Großstadtroman und existenzielle Probleme wie Arbeitslosigkeit, Singledasein und Abtreibung eingeflochten sind, erinnert sehr stark an Doris Dörrie. Und auch wegen des ungemein hohen Erzähltempos und der unterhaltsamen Dialoge möchte man schon jetzt Wetten darauf abschließen, dass eine Verfilmung nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Auf der Kellerbühne in St. Gallen gibt es ab dem 26. September bereits eine Theaterfassung zu sehen.


Titelbild

Silvio Huonder: Valentinsnacht. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2006.
192 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3312003792

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