Nachrichten aus der polnischen Provinz
Daniel Odijas Roman "Das Sägewerk"
Von Daniel Henseler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDüster sieht es in der polnischen Provinz aus, von der Daniel Odija in seinem ersten ins Deutsche übersetzten Roman berichtet. Der Untergang des Kommunismus hat den Landstrichen im Norden keinen Segen gebracht, im Gegenteil. Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sind zusammengebrochen, die Gebäude verfallen. Es gibt kaum mehr Arbeit im Dorf, Alkoholismus und Prostitution greifen um sich. Vergnügen findet man höchstens noch in der einzigen Bar.
"Transition": Das Wort muss für die Menschen hier wie Hohn klingen. Neue Perspektiven zeichnen sich nicht ab. Hoffnungslosigkeit macht sich breit. - Und doch gibt es im Dorf Einen, der versucht, das Heft in die Hand zu nehmen. Józef Mysliwski hat früher mit Fuchsfellen gehandelt und nebenbei Land bebaut. Nun sind neue Zeiten angebrochen: Er errichtet ein Sägewerk und verschafft damit einigen im Dorf Arbeit. Mysliwski ist tüchtig und wird bald durch Erfolg belohnt: Sogar in entfernte Gegenden kann er sein Holz liefern. Und doch scheitert auch er. Sein Sohn Krzysio wird zum Mörder, Józef Mysliwski wird von seinem eigenen Mitarbeiter betrogen. Schließlich brennt Mysliwski das Sägewerk eigenhändig ab und beendet das Experiment "Zukunft".
Mysliwski wird im Roman zwar fokussiert, doch ist seine Geschichte in eine ganze Reihe weiterer Schicksale eingebettet. Wie in zwei konzentrischen Kreisen gruppieren sich seine Familie und die Dorfgemeinschaft um ihn herum. Die Familie, bestehend aus Józef, Maria und Krzysio (von Krzysztof, also Christophorus - der Christusträger), erinnert dabei an die Heilige Familie: Die Mutter bringt ihren Sohn im Stall zur Welt, der Vater ist Zimmermann wie der biblische Josef. Aber damit enden die Parallelen: Eine bethlehemsche Idylle gibt es im postkommunistischen polnischen Dorf nicht. Nach dem Zerfall der alten Ordnung fehlen den Menschen im Dorf die geistigen und moralischen Leitplanken, sie sind orientierungslos und verwaist. Auch die Sprache wird davon berührt. Jedes der sechzehn Romankapitel ist unter ein Schlüsselwort gestellt, etwa "Luft", "Haut", "Strasse". Dabei werden oft disparate Elemente zusammengeführt, etwa das Fell der Füchse oder Marias Haut. Es scheint, dass die Ordnung in dieser Welt nur noch über die Sprache gewährleistet wird.
Odija erzählt zwar sachlich und dokumentarisch-nüchtern. Trotzdem ist im Roman auch ein kritisches Potential vorhanden. So karikiert Odija in Mysliwskis Mitarbeiter Marcin Panek den Typus des karrieresüchtigen, rücksichtslosen jungen Kapitalisten ("fließend Englisch, Doktorat aus Ökonomie, vertraut mit den Bedingungen des polnischen Marktes"), der seinen Chef später prompt hintergeht. Und im Bauernführer Pasieka, der den orientierungslosen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen will und bisweilen in politisch motivierten Straßenblockaden Verkehr und Wirtschaft lahm legt, werden die Ähnlichkeiten zum real existierenden Politiker Andrzej Lepper kaum kaschiert. Odijas Roman ist in dieser Hinsicht von der Wirklichkeit längst überholt worden: Der populistische Lepper sitzt neuerdings mit seiner Partei "Samoobrona" (Selbstverteidigung) in der polnischen Regierung.
Odijas Roman knüpft an die Tradition der "bäuerlichen Richtung" in der polnischen Literatur der Nachkriegszeit an. Die Strömung ist allerdings mit dem Ende des Kommunismus praktisch zum Stillstand gekommen. Vielleicht hatte sie nach dem Untergang der Arbeiter- und Bauernstaaten keine große Konjunktur mehr. Odijas Roman selbst kann allerdings kaum dieser Strömung zugerechnet werden. Bei ihm steht nicht im engen Sinn das Bauerntum im Zentrum, sondern - breiter ausgreifend - eine ganze Dorfgemeinschaft. Im Roman finden sich aber viele Anspielungen auf die Klassiker der bäuerlichen Richtung, wie Edward Redlinski oder Wieslaw Mysliwski. Auf letzteren nimmt allein schon der Name der Hauptgestalt Józef Mysliwski Bezug. Daneben greift Odija in der Gestalt des alten Mannes, den Krzysio umbringt, ein Motiv auf, das in der bäuerlichen Literatur des öfteren eine Rolle gespielt hat. Es ist dies die Figur eines halb weisen, halb verrückten Sonderlings. Auch gibt es zumindest zu Edward Redlinski biografische Parallelen: Sowohl Redlinski wie auch Odija sind zunächst als Journalisten mit Reportagen über das ländliche Polen hervorgetreten, jener freilich einige Jahrzehnte früher als dieser. Bei beiden schimmert auch in den literarischen Texten hie und da ein journalistischer Stil durch. Im "Sägewerk" führt dies unter anderem zu einem steten Wechsel der Perspektive, der literarisch überzeugt: Hie und da ist diese nämlich dokumentarisch, etwa in Landschaftsschilderungen oder in essayistischen Passagen. Dann wiederum kommt die Innensicht der Figuren zum Tragen. Schließlich lässt sich manchmal auch eine Art kollektives Dorfbewusstsein vernehmen, etwa dann, wenn Mysliwskis Aktivismus gleichsam von den übrigen, apathischen Dorfbewohnern misstrauisch beargwöhnt wird.
Neben der bäuerlichen Literatur kann Odijas Roman aber auch noch in einen anderen Kontext eingeordnet werden: Es ist auch ein Buch über die Peripherie, über eine Gegend, die in jedem Sinn des Wortes randständig ist. So gesehen verwundert es kaum, dass Odijas Bücher in Andrzej Stasiuks Verlag "czarne" im südostpolnischen Wolowiec erscheinen. Stasiuk nimmt sich - sowohl in seinem eigenen Schaffen wie auch durch die Wahl der von ihm verlegten Autoren - gerade der polnischen wie auch mittel- und osteuropäischen Regionen weit ab von den Zentren an, die von der Geschichte (und der Literatur) vergessen worden sind.
Daniel Odija ist 1974 geboren, er hat in Danzig Polonistik studiert und arbeitet als Journalist beim Polnischen Fernsehen in Slupsk. Sein Roman "Das Sägewerk" (im Original 2003) fand in Polen einige Beachtung. Unter anderem wurde er - wie viele Prosatexte im heutigen Polen - auch auf die Bühne gebracht. Der Autor selbst hat an der Bühnenfassung mitgearbeitet, die im Herbst 2004 im renommierten Krakauer Slowacki-Theater Premiere feierte.
Martin Pollack hat sich um die Vermittlung der polnischen Kultur im deutschsprachigen Raum bereits verdient gemacht, etwa als Übersetzer von Ryszard Kapuscinski. Neuerdings aber auch als Herausgeber einer Sammlung polnischer Reportagen ("Von Minsk nach Manhattan"). Die Übertragung des "Sägewerks" darf hier gelobt werden, wenn auch einige Nachlässigkeiten zu bemängeln sind: So wird etwa aus der verrückten Nebenfigur Marta einmal unversehens Magda.
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