Eine poetische Unabhängigkeitserklärung

Walter Grasskamp erklärt "Das Cover von Sgt. Pepper"

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1. Juni 1967 ist ein zentrales Datum in der Geschichte der Popkultur: An diesem Tag erschien die mit immenser Spannung erwartete neue Beatles-LP "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", die bis heute zu den kommerziell erfolgreichsten und ästhetisch gelungensten Werken der Popmusik zählt. Auch wenn inzwischen von Fans und Pophistorikern darüber gestritten wird, ob nicht doch "Revolver" oder das so genannte 'Weiße Album' das beste Beatles-Album sei - ein vergleichbar spektakuläres Ereignis wie die Veröffentlichung von "Sgt. Pepper" war ihr Erscheinen nicht. Den Hörern präsentierte sich auf "Sgt. Pepper" nämlich nicht nur eine Ansammlung neuer Songs, sondern vielmehr eines der ersten Konzeptalben der Popgeschichte: Die Beatles traten nicht als sie selbst, sondern als fiktive Alter Egos auf, die ein Konzert geben. "We're Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band / We hope you will enjoy the show", singen sie dementsprechend im ersten Stück, und zu dieser Ankündigung erklingt der Jubel des Publikums - eines fingierten Publikums, versteht sich.

Noch wichtiger für die Etablierung dieses fiktiven Rahmens als die Eröffnungsnummer und deren Reprise war allerdings der vom britischen Pop-Art-Künstler Peter Blake entworfene, aufklappbare Plattenumschlag. Die Vorderseite zeigt die Beatles in bunten Phantasieuniformen inmitten einer großen Schar Prominenter aus Sport, Film und Kunst, und diese Versammlung steht vor einem Grab, auf dem "The Beatles" zu lesen ist. Zudem waren auf der Rückseite die Songtexte abgedruckt, womit quasi ein literarischer Anspruch angemeldet wurde, und schließlich fand sich innen noch ein Ausschneidebogen, der an Warhols legendäre Banane auf der ersten Velvet Underground-LP und die Aufforderung "peel slowly and see" erinnerte. Der komplexe Umschlag von Sgt. Pepper wurde schon damals als besonders innovativ wahrgenommen und kann vielleicht als 'the best record sleeve ever' gelten - er wurde in einer Umfrage der Sunday Times immerhin auf Platz 15 der "Top Fifty Millenium Masterworks" eingeordnet, zwar hinter der Kathedrale von Chartres, aber noch vor Tolstois "Krieg und Frieden" -, doch die Aufmerksamkeit der Kunstwissenschaft finden solche Rahmenstücke populärer Werke gemeinhin nicht. Nun allerdings hat der Kunsthistoriker Walter Grasskamp ein Buch geschrieben, das sich fast ausschließlich diesem Cover, seiner Entstehung, Bedeutung und Rezeption widmet - und es somit in den "Genuß der differenzierten Betrachtungsmethoden" kommen lässt, "die in der Geschichte der Kunstbetrachtung entwickelt und erprobt worden sind und die Bilder zur Sprache bringen können".

Diese Anwendung kunsthistorischer Methoden unternimmt Grasskamp gründlich und mit spürbarer Sympathie für seinen Gegenstand, ohne die notwendige Distanz zu verlieren. Er führt Vorläufer für das Cover von Raffael bis Max Ernst an, verortet es im Gesamtwerk von Peter Blake und lässt seine Untersuchung schließlich in grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Kunstgeschichte und Bildwissenschaft münden. Im Zentrum der ebenso lebendig wie elegant formulierten und überzeugend argumentierenden Studie stehen aber die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Pop-Musik und Pop Art und das Thema des Images. Für diese Diskurse bietet das "Sgt. Pepper"-Konzept ein günstiges Explorationsfeld, weil sich die Platte und namentlich ihr Cover mit Grasskamp als "poetische Unabhängigkeitserklärung" verstehen lassen: Ab Mitte der 60er Jahre fühlten sich die Beatles durch den Ruhm zunehmend in ihrer künstlerischen Freiheit beengt und suchten nach einer Möglichkeit zum Ausbruch aus ihrem Image, nach einer Möglichkeit, den Zwängen der Kulturindustrie zu entgehen. In dieser Situation verfiel Paul McCartney auf diejenige Idee, die den Kern von "Sgt. Pepper" bildet: die "Ausweichfunktion" der 'Hearts Club Band'. "And it freed us", urteilte McCartney im Rückblick. "It was a very liberating thing to do." Und wie sehr diese Befreiung nötig war, veranschaulicht das Cover vor allem dadurch, dass es die Wachsfiguren der 'Fab Four' aus Madame Tussauts Kabinett als Bild gewordene Version eines starren Images direkt neben der 'neuen' Band platziert.

Doch als 'Unabhängigkeitserklärung' lässt sich das Frontbild Grasskamp zufolge noch in einem viel weiteren bzw. weitreicherenden Sinn verstehen, und zwar als Etablierung eines eigenen, eines Gegenkanons. Denn anders als in bürgerlichen Kanones finden sich unter den Figuren auf der Cover-Collage zwar auch Vertreter der Hochkultur wie James Joyce, Karl Marx, Dylan Thomas oder Stockhausen, aber neben ihnen stehen Hollywoodstars wie Marilyn Monroe und Marlon Brando, Komiker wie Laurel und Hardy, der Provo-Entertainer Lenny Bruce oder der Boxer Sonny Liston. Damit proklamiert und veranschaulicht das Cover das zentrale Prinzip der Pop Art, die Nivellierung der Grenzen zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Hoch- und Massenkultur und wird in dieser Perspektive zu einem "Schlüsselwerk" der Pop Art.

Wie groß die Faszinationskraft ist, die von diesem Cover ausgeht, lässt sich wohl am leichtesten der kaum überschaubaren Zahl an Variationen des Umschlags ablesen, deren vielfältiges Spektrum etwa ein Album der Kölschen Band Black Fööss oder eine Simpsons-LP umfasst. Die prominenteste Reaktion auf das Cover und seinen naiven Charme eines Klassentreffens erfolgte allerdings schon bald nach Erscheinen mit einer ebenso bissigen wie treffenden Satire von Frank Zappa und seinen Mothers. In ätzender Umkehrung der fröhlichen Maskerade der Beatles sind auf "We're only in it for the money" viele Figuren mit einem Balken über den Augen versehen, wie es bei dem Abdruck von Verbrecherphotos in Zeitungen üblich ist, und die Travestie des Ausschneidebogens bietet u. a. die Schablone einer Brustwarze und eines Bauchnabels auf einem Dollarschein.

Bekannt ist die Entwicklung der Beatles nach "Sgt. Pepper". Die befreiende Wirkung des Imagewechsels war nicht von langer Dauer, der Zerfall der Gruppe ließ sich nicht mehr aufhalten, und pointiert lässt sich "Sgt. Pepper" als letztes gemeinsames Album der Band betrachten. Als markanten Ausdruck dieser Auflösungserscheinungen weiß Grasskamp das Cover des 'Weißen Albums' plausibel zu machen, das von Richard Hamilton gestaltet wurde - auch er übrigens ein renommierter Protagonist der britischen Pop Art. Geradezu als Zurückweisung der ostentativen Fröhlichkeit von Sgt. Pepper interpretiert er dessen asketisch-zurückhaltende Gestaltung, die sich auf den Namen der Band in Blindprägung auf der Vorderseite und einer Seriennummer auf der Rückseite beschränkt. Und auch die Zeit der Gruppen- oder Freundschaftsbilder war vorbei, stattdessen fanden sich im Innenteil Einzelporträts der Musiker, die die bald folgende Trennung der Gruppe vorwegnahmen.

Mit seiner keineswegs nur an Fans gerichteten, aber nie zu akademisch geratenen Untersuchung hat Walter Grasskamp einen Moment der Popkultur in den Blick genommen, der ihm sozusagen einen Gang vom Rand direkt ins Zentrum der Popkultur der 60er Jahre erlaubt. Glücklich fügte sich in diesem Moment, dass mit den Beatles und Peter Blake Künstler verschiedener Gattungen auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität zusammentrafen, ihre Positionen bestimmten und dabei ein passendes Bild des Zeitgeistes lieferten - "und", schließt Grasskamp in nur leicht ironischer Emphase, "jeder Kunde der ersten Stunde kann behaupten, er sei dabeigewesen".


Titelbild

Walter Grasskamp: Das Cover von Sgt. Pepper. Eine Momentaufnahme der Popkultur.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004.
136 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3803151716

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