Nicht farblos

Wolfgang Ullrichs und Juliane Vogels Sammelband zur Farbe Weiß

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt wenige Farben, die es so bunt treiben, wie das Weiß, von dem sich - ist es doch Summe aller Farben oder aber Absenz jeder Farbe - wie vom Fuchs, der das in einer Fabel dem Leopard sagt, behaupten lässt, es habe bei aller äußerlichen Unscheinbarkeit eine bunte Seele. Diesem Schillern gehen im Band "Weiß" Wolfgang Ullrich und Juliane Vogel nun nach, wobei allein die Facetten der Themenstellungen verraten, dass der Band nicht farblos geriet.

Den Anfang macht nach Ullrichs luzidem Geleitwort Thomas Macho, der im Weißen die "Dematerialisierung der Schriftträger" sieht (oder nicht sieht, denn gesehen wird, wie Vogel im Nachwort schreibt, ja nur ein pastoses Deckweiß, das daseinsfeist und nicht immateriell ist). Das Weiße entspricht der Null, dem neutralen Element, damit aber, wie zu befürchten war, allem: Nicht, dass das Weiße alles wäre, es ermöglicht aber alles. Die Schreibhemmung ist so, indem sie das Papier weiß lässt, dem "Shining" in Stephen Kings gleichnamigem Text verwandt, sie ist nichts und zeitigt REDRUM, das vom hellseherischen Knaben in jenem Buch in einem Spiegel gelesene MURDER.

Das Weiße ist behauptete Kontextlosigkeit, wo es im Hintergrund ist, und Verstörung, wo es im Vordergrund ist - so die Milch, von der Gisela Steinlechner schreibt. Madonnen, die die Brust geben, Kuheuter, alles in allem: "Saugstücke" sind es, die da vorgestellt werden, einmal (nahe liegend: im sakralen Bereich) vergeistigt, der Madonna Brust sprießt hier in der paradoxen Maria lactans-Figur aus dem Kleid, einmal verkörperlicht, so in der Verschwendung von Milch durch die darin badende Poppeia, Frau des römischen Kaisers Nero. Seltsam allerdings: Die Ambivalenz und sogar Polyvalenz der weißen Milch, die bei Celan ja sogar eine "schwarze Milch" wurde, tritt dabei in den Hintergrund.

Wie unbehaglich das Weiße doch ist, wird in der Folge in allerlei rassistischen Konzeptionen erwiesen: Weiß ist die "Farbe des Philosophen" - das ist ein irritierender Ansatz, den Thomas Poiss formuliert, denn nicht der Umstand, dass das Weiße Stimulus in und um Farbenlehren war, wird hier verhandelt... Weiß hatten auch Stars zu sein. Zu unerwarteten Ehren kommt hier der unlängst weiß gewandete Bob Dylan, kommen aber wenig überraschend vor allem die dann auch weißblonden Frauen aus Hollywood. Ein eigener Essay ist Evel Knievel gewidmet. Das ist nicht unoriginell, doch wird spätestens hier der Band im nicht besten Sinne postmodern.

Glänzend dagegen ist wiederum Juliane Vogels Beitrag "Mehlströme/Mahlströme", der das Verheerende der "Weißeinbrüche" in der Literatur des 19. Jahrhunderts thematisiert, unter anderem anhand des weißen Wals Moby Dick. Hier ist endlich all die Schwärze des Lichten eingefangen, allenfalls der "Imperialismus des Lichts", den Maurice Blanchot mit Nietzsche sah, hätte noch der Erwähnung bedurft. Das "epidemische Weiß" in Schnee, Unsichtbarem, Nebel und Chlorea-Durchfall - all das sind literarische "Kraftwerk(e)", nicht oder jedenfalls nicht bloß Oberflächen. Die "Ausschüttung des Weiß" ist "ein Verschwinden des Lichts", so bei Adalbert Stifter.

Weiß - das ist ein Fetischismus des Abendlandes; manchmal aber ist es auch umgekehrt, so im Falle des Zuckers, wie Christoph Maria Merki zeigt. In seinem Beitrag wird gezeigt, dass der gut raffinierte Zucker weiß sei, also die Farbe eine Qualität des Zuckers nicht erweise, aber sozusagen spiegle. Natürlich wurde der Zucker in der Folge gebleicht und in violettem Papier eingeschlagen, das im Kontrast die Reinheit unterstrich; doch reiner, hochwertiger Zucker ist jedenfalls weiß. Anders der braune Zucker, der nun der Fetischismus des Nicht-Weißen ist, keinesfalls aber - so das Modewort - bio ist, und auch nicht gesünder, als es weißer Zucker wäre: "Es ist der Sirup, der den Kristallen eine dunkle Farbe verleiht. Und in diesem Sirup gibt es lediglich Mikroorganismen (die den Zucker rasch verderben lassen) sowie wenig appetitliche Überreste aus dem Fabrikationsprozess. Weißer Zucker dagegen ist so rein, dass sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lässt, aus welcher Pflanze er gewonnen wurde: Rohr oder Rübe?" Soviel zum braunen Zucker - und zum Antifetischismus, der dann doch den Gesetzen dessen gehorcht, was er zu negieren vermeint.

Den Abschluss bildet Juliane Vogels Nachwort, und zwar ausgehend von der Immanenz kindlicher Erfahrung, zu der parallel das Weiße selbst streng immanent in eine Art Überschreitung überführt wird. Das Weiße ist hier schließlich die Möglichkeit: also auch jene zum "Fleck [...] als Verbesserung", dagegen in sich gehalten fast schon nur noch das Ausharren in Erwartung eines solchen. Dies die Lehre aus der Leere: Die Hoffnung ist nicht von Beginn an transzendent anzugehen, wie es bei Hoffnung und Transzendenz ja meist der Fall ist, sondern durch "den, der das weiße Hemd noch zwei Tage anzieht." Dieses Plädoyer für eine Liturgie des Unglaubens ist wunderschön - auch deshalb, weil von diesem Ungelenken, das Juliane Vogel da imaginiert, ihrem Text nichts anhaftet, er also nur durch einen diskreten Tippfehler noch brillanter sein könnte.

Man sieht: kein blasser Band, einer sogar, bei dem man manchmal sein blaues (!) Wunder erlebt, dem manchmal aber - bei dem Thema freilich fast folgerichtig - der rote Faden fehlt. Der - auch dies prima vista folgerichtig - manches in Schwarz-Weiß malt, wo freilich trotzdem eine "'grauere' Sprache" (Paul Celan) gut getan hätte. Wer sich aber im unendlichen Weiß zu verlieren gewillt ist, und das ist ja fast Grundbedingung bei Interesse an dieser (Nicht-)Farbe, dem sei das Buch ans Herz gelegt.


Titelbild

Wolfgang Ullrich / Juliane Vogel (Hg.): Weiß. Ein Grundkurs.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
261 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3596157587

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