Ein moralischer Nationalsozialist
Ben Pastor schreibt eine Krimireihe, die im Zweiten Weltkrieg spielt
Von Georg Patzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMutter Kazimierza ist die letzte Rettung für Oberst Hofer. Sein Sohn ist todkrank. Wird er überleben? Wird er wieder gesund? Regelmäßig sucht Hofer sie auf, bittet um Hilfe, fleht sie an. Er ist verzweifelt. Mutter Kazimierza, Oberin des Klosters "Zu Unserer Lieben Frau", wird als Heilige verehrt, sie ist eine charismatische Frau, hat die Gabe der Prophetie und ihr Körper weist Stigmatisierungen auf, Wundmale, wie sie Christus am Kreuz getragen hat. Eine Wundertäterin. Und dann wird sie plötzlich erschossen, liegt in hingestreckter Gebetshaltung im Kreuzgang.
Kein ganz normaler Fall, der in "Der Tod der Äbtissin" erzählt wird. Denn: Mutter Kazimierza wird an einem Septembertag im Jahr 1939 ermordet, Oberst Hofer gehört zur deutschen Armee, die das Land überrollt und besetzt hat, und der Aufklärer Martin Bora ist einer seiner Untergebenen, ein Hauptmann, ein Nachrichtenoffizier. Er ist gerade mal 23 Jahre alt, ein Adliger mit anglo-schottischen Vorfahren, der sich das "von" aus dem Namen hat streichen lassen, in Rom aufgewachsen ist, Philosophie studiert hat und ganz flüssig Klavier spielt.
Auch seine Ermittlungen sind nicht so ganz einfach, denn natürlich kann er als Besatzer nicht nur rücksichtslos sein, sondern muss auch selbst immer wieder Rücksicht nehmen: Auf die Deutschen, die das Land mit aller Härte unterdrücken und im katholischen Polen einen Mord an einer Heiligen nun wirklich nicht brauchen können, auf seine Vorgesetzten, gegen die er nicht ermitteln kann, auf Gestapo und SS, die beiden Konkurrenzunternehmen der Nationalsozialisten, die ihm das Leben sehr schwer machen können, auf den amerikanischen Pater Malecki, der vom Vatikan beauftragt wurde, die Stigmatisierungen und Weissagungen von Mutter Kazimierza zu untersuchen.
In einem weiteren Fall, im Buch "Kaputt mundi", muss Bora 1944 den Tod der deutschen Botschaftssekretärin Magda Reiner aufklären, die aus dem Fenster stürzt. Auch das ist ein heikler Fall, denn unter ihren Liebhabern sind sowohl der Generalsekretär der "Camera dei Fasci e delle Corporazioni" als auch ein hoher SS-Offizier. Bora macht sich in Rom schnell mächtige Feinde, außerdem sind die Alliierten bereits in Italien, Monte Cassino wird heftig umkämpft, und ständig gibt es Attentate von italienischen Widerstandskämpfern. In beiden Bänden gibt es immer wieder Zusammenstöße mit der SS und anderen NS-Stellen.
Obwohl "Der Tod der Äbtissin" der erste Band einer Serie von Ben Pastor ist, ist der vierte Band "Kaputt Mundi" in Deutschland zuerst erschienen. Es ist gar nicht einmal so sehr eine klassische Krimiserie, sondern erinnert mehr an einen über mehrere Bände ausgewalzten Entwicklungsroman: Man bekommt peu à peu mit, welche Erziehung der Held genossen hat, und kann Schritt für Schritt und aus einer inneren Perspektive mitverfolgen, wie er sich in Extremsituationen verhält. Die gibt es im Krieg genug, äußerlich sowieso, aber für Bora auch innerlich: Bora ist ein Mann, der zwar das Schema Befehl und Gehorsam verinnerlicht hat. Aber seine klassische, humanistische Ausbildung hat doch noch einen Rest von Reflektionsfähigkeit und Abstand übriggelassen. Von einem gedankenlosen Nationalsozialisten und freudigen Soldaten (selbst für die falsche Sache) wird er zum Zweifler. Das geht nun nicht so weit, dass er zum Widerstand wechselt oder desertiert. Martin Bora bleibt Offizier bei einer unmenschlichen Armee unter dem Oberbefehl eines Monsters.
Pastor erzählt von einem an sich zweifelnden Mann, der einem Verbrecherregime dient. Langsam entwickeln sich seine inneren Widersprüche, in Polen erlebt er Massaker mit, die die deutsche Armee an polnischen Bauern und Juden verübt. Er versucht, die Massaker zu dokumentieren, und scheitert. Einmal wird er sogar zusammengeschlagen.
Ben Pastors Romane sind eine interessante Studie ohne Happy End und eindeutige Moral. Ihr Vorbild für diese zerrissene Figur war Graf von Stauffenberg. Achja: ihr. Ben Pastor ist nämlich eine Frau, eine italienische Autorin, 1950 in Rom geboren, Tochter einer Jüdin und Enkelin eines Antifaschisten. Sie studierte Archäologie und lebt seit über dreißig Jahren in Amerika. Pastor hat vor, mit ihrer Serie "jene Angehörigen der deutschen Wehrmacht zu ehren, die den Mut hatten, moralische Entscheidungen zu treffen".
Doch dann wird es sehr wackelig. Denn nicht nur, dass die Krimihandlungen sich schnell zur Nebensache entwickeln und so mancher Fall, manche Aufklärungsverwicklungen und viele Nebenerzählungen sehr breit ausgewalzt werden und vor allem in "Kaputt mundi" über lange Strecken arg konstruiert wirken. Auch Pastors Bewertung der Männer des 20. Juli ist fragwürdig. Natürlich gab es moralische Männer auch in der deutschen Wehrmacht. Das wird niemand bestreiten. Allerdings wurden die Offiziere des 20. Juli erst widerständig, als der Krieg verloren war. Andere Menschen haben diesen Mut, den Pastor so toll findet, schon vorher besessen, manche bereits 1933.
Auch Bora ist kein Supernazi, kein SS-Killer. Er ist zwar nicht im Nationalsozialismus aufgewachsen, aber sein Stiefvater ist Offizier, und auch von ihm selbst wurde nie etwas anderes erwartet. Und da man als Offizier der Wehrmacht nicht einfach seinen Job wechselt, wenn die Herren wechseln, bleiben Stiefvater und Stiefsohn auch der nationalsozialistischen Armee treu. Natürlich ist es nicht fein, wenn man einen neuen Eid schwören und Adolf Hitler persönlich seine Treue geloben muss. Aber das nimmt man dann anscheinend einfach in Kauf. Und als es dann Krieg gibt, sind sie sowieso alle dabei, schließlich ist das ihr Beruf und manchmal auch ihre Berufung. "Right or wrong - my country." Und so entscheidet sich auch Bora oft aus ganz persönlichen Motiven, sich einzumischen, als z. B. im März 1944 über 300 Italiener erschossen werden sollen und sein Kollege, Polizeikommissar Sandro Guidi, mit liquidiert werden soll. Dabei stellt er das Regime selbst nie in Frage. Es sind immer einzelne "Auswüchse", die er bekämpft. Von da bis zur Haltung "Wenn das der Führer wüsste", ist dann nur ein kleiner Schritt. Aber auch das scheint für Pastor nicht wichtig zu sein. Sie hat immer ihren Helden im Blick, der moralisch zu bleiben versucht und sich aus der unmoralischen Gruppe, zu der er gehört, nicht zu lösen vermag: Immerhin macht er hier Karriere.
Eine große Unsicherheit durchzieht deswegen das Buch. Dazu kommen die häufigen Perspektivenwechsel, in "Kaputt mundi" noch mehr als im ersten, durch die man die Welt mit immer wieder neuen Augen sehen soll. Die vielen Zeitsprünge mit ihren Tagebuchdaten-Kapitelüberschriften verschaffen dem Roman immerhin ab und an ein ziemliches Tempo. An vielen Stellen allerdings gerät der Erzählfluss auch mal sehr zäh, alles dreht sich um sich selbst, es geht, trotz allem Tempo in der Erzählhaltung, nicht recht weiter. Und natürlich, das gehört zum Krimigenre wie zur Kriegs- und Partisanensituation dazu, trägt zur allgemeinen Unsicherheit noch bei, dass die Personen häufig nicht das sind, was sie zu sein scheinen. So ist Mutter Kazimierza alles andere als eine Heilige, die italienische Partisanin ist käuflich und unmoralisch, der SS-Offizier Dollmann ist ein eleganter und gebildeter Schwuler.
Hinter mancher Oberfläche schlummert ein richtiger Mensch, das scheint das Fazit der Romane zu sein. Ein doch recht zweifelhaftes Ergebnis. Pastor versucht, ein menschliches Beispiel in einer Zeit der Unmenschlichkeit zu präsentieren. Es ist ein interessanter, aber literarisch doch ziemlich gescheiterter Versuch.