Nur ein Stich in der Seele
Katharina Hackers Roman "Die Habenichtse" über die Armseligkeiten und Sehnsüchte einer Generation
Von Heike Hermann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJakob und Isabelle, beide Mitte dreißig, begegnen sich nach 10 Jahren zufällig in Berlin wieder, ausgerechnet am 11. September 2001. Jakob hielt sich einen Tag zuvor noch in New York auf und entkam damit nur knapp dem Terrorangriff auf das World Trade Center. Sie beschließen zu heiraten, weil es so "passend" ist und ziehen gemeinsam nach London, da Jakob die Möglichkeit erhält, für ein bis zwei Jahre als Rechtsanwalt in einer dortigen Kanzlei zu arbeiten. Isabelle will ihre Tätigkeit als Grafikdesignerin für eine Berliner Agentur von London aus fortsetzen.
Doch was für andere ein aufregendes Lebensabenteuer bedeuten würde, ist für das frisch verheiratete Paar eine Selbstverständlichkeit. So wie vieles im Leben der beiden ohne große Gefühlsregungen vonstatten geht. Emotionen machen sich als kurze Stiche bemerkbar, die schnell vorübergehen und nicht weiter verfolgt werden. Wichtige Lebensereignisse wie ihre Hochzeit oder die tödlich endende Erkrankung von Isabelles Arbeitskollegin Hanna werden nur matt und beiläufig erlebt. "Bei Euch stehlen sich selbst die Toten unauffällig davon", bringt es Andras, ein ungarischer Arbeitskollege Isabelles, auf den Punkt. Aber nicht nur die fehlenden Rituale verdeutlichen ein unbeteiligtes Leben, auch die äußere Erscheinung der Hauptfiguren passt ins Bild. Isabelle jedenfalls hat sich, seit sie zwanzig ist, nicht verändert. Ihr Gesicht ist glatt und unschuldig, ihr Körper kindlich, sogar ohne Schamhaar. Das Leben hinterlässt keine Spuren, es erscheint "wie ein Geburtstagspäckchen, das auszupacken man noch keine Lust verspürt hatte".
Auch die latente Bedrohung durch den beginnenden Irak-Krieg, die in London durch die Beteiligung Großbritanniens noch unmittelbarer zu spüren ist, vermag die beiden nicht aufzurütteln. Jedenfalls wird die Aufforderung im "Guardian", sich mit Decken, Kerzen und Konserven einzudecken, nicht allzu ernst genommen. Jakob lacht sogar darüber.
Den Gegensatz bilden zwei Londoner Figuren, die in jeweils eigenen Erzählsträngen begleitet werden: Sara, ein unscheinbares Mädchen aus dem Nachbarhaus, das nicht wächst und von ihren Eltern vernachlässigt und misshandelt wird, und Jim, eine Gelegenheitsdealer, der von einem beschaulichen Leben auf dem Land träumt, dem es jedoch nicht gelingt, dem kriminellen Milieu zu entfliehen. In wechselnden Erzählperspektiven im jeweiligen Sprach- und Denkstil der Figuren gelingt Katharina Hacker eine eindringliche Darstellung der unterschiedlichen Lebenswelten und persönlichen Tragödien. Während Saras traumatisches Schicksal bei Isabelle wenig Anteilnahme hervorruft, fühlt sie sich von Jims kalter, bedrohlicher Art angezogen. Auch in Jakobs zunächst zaghafter, dann immer dringlicher werdenden Schwärmerei für seinen charismatischen, homosexuellen Chef Bentham zeigen sich unterschwellige Sehnsüchte und beginnende Veränderungen. Bis beide, jeder für sich, von der vorgezeichneten Bahn abzugleiten drohen.
Katharina Hacker beschreibt eine Generation, die vergessen hat, was das Leben ausmacht. "Die Habenichtse" ist ein Gegenwartsroman, der uns die Lebenswirklichkeit der Mittdreißiger vor Augen führt, die die Welt zuweilen so distanziert betrachten, als sähen sie einen Film, der sie nichts angeht. Homoerotische Neigungen sind für sie kein Tabuthema mehr, jedoch fehlt es an Kontur, an Betroffenheit und Mitgefühl, an Spuren und Zeichen, die "eingeritzt" werden "in die so leichte Oberfläche der Zeit". Katharina Hacker ist damit ein sehr lesenswerter und wichtiger Roman gelungen.
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