"Ein Volk, ein Reich, ein Führer - und vier Krematorien."

Tadeusz Borowskis Erzählungen "Bei uns in Auschwitz" wurden neu aufgelegt

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein alter Mann im Frack mit einer Armbinde wird herbeigeschleift. Sein Kopf schlägt auf den Kies auf, auf den Steinen, er stöhnt und wiederholt monoton: 'Ich will mit dem Herrn Kommandanten sprechen.' [...] Er wird auf den Wagen geworfen, von jemandem zu Boden getreten, fast erstickt, aber er röchelt noch immer: 'Ich will mit dem ...' - 'Mann, sei endlich still', ruft der junge SS-Mann ihm lachend zu. 'In einer halben Stunde wirst du mit dem obersten Kommandanten sprechen. Vergiss nur ja nicht, 'Heil Hitler!' zu ihm zu sagen.' Zwei andere tragen ein Mädchen herbei, das nur noch ein Bein hat; sie tragen es an den Armen und dem einen Bein. Tränen laufen ihm über das Gesicht, kläglich flüstert sie: 'Meine Herren, es tut weh...' Man wirft sie zu den Leichen. Sie wird mit ihnen verbrannt, bei lebendigem Leibe."

Auschwitz. Die Rampe. Aber Auschwitz war nicht nur die große Tötungsmaschine der Deutschen. Auschwitz war auch eine Maschine der Entwürdigung, der Entmenschlichung. An der Rampe standen nicht nur SS-Leute, sondern auch andere Häftlinge: Juden, "Politische" und "Kriminelle", die der SS zur Hand gehen mussten. So wie Henri und Tadeusz: "Es ist eine idyllische Rampe, wie man sie von abgelegenen Provinzbahnhöfen kennt. [...] Etwas abseits, an der Straße, duckt sich eine winzige Holzbaracke, hässlicher und schludriger als die hässlichste und schludrigste Bahnhofsbude, und dahinter große Stapel Schienen, Eisenbahnschwellen, Massen von Brettern, Barackenteile, Ziegel, Steine, Brunnenringe. Von hier wird alles nach Birkenau gebracht: Material zum Ausbau des Lagers und Menschen für das Gas. Ein gewöhnlicher Arbeitstag: Lastwagen fahren vor und laden Bretter, Zement und Menschen...". Ein gewöhnlicher Arbeitstag, zwei gewöhnliche Arbeiter. Beide strengen sich an, schließlich wollen sie nicht versagen. Und schließlich wollen sie ja auch, müssen sie für sich sorgen. Also, wenn es geht, etwas Essen, was zu Trinken, etwas Kleidung klauen und ins Lager schmuggeln. Kein Geld, sagt Henri, "denn es könnte eine Leibesvisitation geben. [...] Nimm keinen Anzug, das erweckt Fluchtverdacht."

Dann geht die Arbeit los: "Riegel knarren, Waggons werden geöffnet. Frische Luft wogt hinein, trifft die Menschen wie ein Schlag, als wäre es Kohlenmonoxid." Sie müssen alle Sachen abgeben. Als sie fragen, was mit ihnen passiert, sagt man ihnen nicht die Wahrheit: Die Jungen und Gesunden gehen nach rechts, die Frauen, Kinder und Alten nach links. Rechts geht es ins Lager, links direkt in die Gasöfen. Alles wird notiert, die Menschen gezählt, die Listen abgestrichen. Es ist eine Fabrikatmosphäre. Nur dass es um Menschen geht: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer - und vier Krematorien. In Auschwitz wird es bald sechzehn Krematorien geben, die täglich fünfzigtausend verbrennen können." Wir wissen alle, was passiert ist, auch wenn wir es nicht fassen und beim Lesen kaum aushalten können.

Was auch immer noch schockiert, ist das, was Tadeusz Borowski in "Bei uns in Auschwitz" erzählt. Denn die Vernichtungsmaschine bediente sich auch immer der Opfer und machte sie zu Tätern: In Auschwitz wie auch in anderen Lagern und Ghettos gab es eine strenge Hierarchie. Es gab Lagerälteste, die für Ordnung sorgen mussten, es gab Arbeiter wie Henri und Tadeusz, die an der Rampe helfen mussten. Sie waren gezwungen, andere in den Tod zu schicken, wenn sie nicht selbst sterben wollten. Am besten haben es die Kapos und andere Privilegierte, zu denen auch Tadeusz gehört. Sie haben die Aufsicht, sie treiben die anderen Häftlinge an, sie bekommen dafür auch mehr zu essen. "Es arbeitet sich gut, wenn man zum Frühstück ein Viertel Speck mit Brot und Knoblauch gegessen und eine Dose Kondensmilch getrunken hat."

Es herrscht ein brutaler Kampf ums Überleben in den Lagern. Man bestiehlt sich gegenseitig, man denunziert sich, man kämpft gegeneinander. Wenn es heißt, dass es eine "Auslese" geben wird, machen sich alle sauber und versorgen ihre Wunden, reißen sich die Verbände herunter und bespritzen sich mit Wasser, um nur ein wenig frischer auszusehen. Der Hass wird allgemein: Das ist eine der Nebenwirkungen des Lagers. Jeder, der etwas hat, wird beneidet, um seinen geringen Besitz, um sein bisschen Position. "Mit zehn Jahren Lager hat er sich diese Machtfülle über Menschen verdient", heißt es einmal sachlich und etwas zynisch bei Borowski über einen Kapo, der den Nachschlag Suppe austeilt: Bedient werden aber nur die Kräftigen, die Schwachen gehen sowieso bald ins Gas.

Borowski beschreibt in 28 Erzählungen mit harten, klaren Worten das Leben im Untergrund und im Lager, den Terror, die Unberechenbarkeit und die schreckliche Berechenbarkeit, mit der es ins Gas geht. Oft vergleicht er selbst die Insassen mit Tieren, mit Ungeziefer, spricht vom "Zyklon, das Läuse in Kleidern genauso einwandfrei vergiftet wie Menschen". Der Stacheldraht ist so dicht, dass "kein Mensch, keine Laus (sich) untersteht, sein Tor zu durchqueren". Es sind, wie Imre Kertész einmal festgestellt hat, "klare, selbstquälerisch gnadenlose Erzählungen". Sein literarischer Trick besteht darin, dem Zynismus der Deutschen einen hilflosen Zynismus der Überlebenden entgegenzusetzen. Wie auch soll man sich sonst vor den Gefühlen retten? Manchmal wird er allerdings auch poetisch, beschreibt die Schönheit der Welt, diskutiert mit seiner Geliebten Maria über die Poesie, nur sie könne "den Menschen zeigen, wie er ist. Ich meine, den ganzen Menschen".

Aber es ist keine Zeit für Poesie: In der Erzählung "Bitte, die Herrschaften zum Gas" berichtet er schonungslos von der Mutter, die bei der Selektion ihr Kind verleugnet, er berichtet von der Arroganz der alteingesessenen Häftlinge gegenüber den Neuankömmlingen, er leugnet jegliche Moral: Hier ist jeder sich selbst der Nächste. Einmal gerät Maria in eine Razzia, sie ist verloren. Der Ich-Erzähler schließt mit den Worten: "Ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte. Wie ich später erfuhr, wurde Maria als arisch-semitischer Mischling mit einem Judentransport in ein berüchtigtes Lager am Meer gebracht, in einer Kammer des Krematoriums vergast, und aus ihrer Leiche hat man wahrscheinlich Seife gemacht."

Im Schöffling Verlag wurden Borowskis harte Erzählungen neu übersetzt jetzt wieder herausgegeben. Zwar gibt es sehr brauchbare Worterklärungen, aber leider informiert uns kein Nachwort über Borowski (er brachte sich 1951 um), über den Stellenwert seiner Erzählungen, über diese einzigartige Mischung aus Zynismus, sensibler Poesie und ohnmächtigem Leiden, über die Reihenfolge oder Übersetzung oder dass dies bereits die vierte deutsche Ausgabe ist (nach 1963, 1970 und 1999).


Titelbild

Tadeusz Borowski: Bei uns in Auschwitz. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Polnischen von Friedrich Griese.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
320 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3895613290

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