Ally McBeal aus der Vergangenheit

Hans-Jörg Uther kompiliert Kompilationen merkwürdiger Literatur

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man verzeihe die Popkulturreferenz, aber daran lässt sich immer alles so gut illustrieren. Also. Es gibt diese eine "Futurama"-Folge. Es geht darum, dass Aliens sich eine Anwaltsserie im Stil von "Ally McBeal" anschauen, die dann unvorhergesehen unterbrochen wird, kurz bevor herauskommt, ob die einsame, schöne Anwältin jetzt jemanden heiratet oder nicht. Die Aliens sind stinksauer und kommen angeflogen, um die Erde auszuradieren.

Nun ist es ja tatsächlich so, dass unsere Erde ununterbrochen Funksignale abstrahlt, die theoretisch auch von Außerirdischen aufgefangen werden könnten. Zum Beispiel Fernsehen. Aus Angst vor einem möglicherweise falschen Erdbild der Aliens, wenn ihre einzige Quelle unser Fernsehen bleibt, schickte die NASA mit Voyager I und II gleich noch goldene Schallplatten mit der offiziellen Version der Menschheit mit.

Und da haben wir doch schon die schönste Analogie. Denn aus unserer Vergangenheit ist uns vieles überliefert, all die großen Werke, quasi die goldenen Voyager-Schallplatten der Vergangenheit, eigentlich unzählbar wichtiges Zeug. Die offizielle Top Ten der Jahrhunderte 16 bis 18 ist angefüllt mit Leuten wie Kopernikus, Shakespeare, Michel de Montaigne, Martin Luther, Bach, Descartes, Mozart, Newton und Kant. Da kann man sich entweder friedlich zurücklehnen, sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und Sachen sagen wie: "Wie sind schon eine tolle Menschheit." Oder man kann sich fragen, ob es eigentlich auch normale Menschen gegeben hat, solche, die einfach Spaß daran hatten, auch mal vor banalen Kulturprodukten zu versumpfen. Etwas, das uns als Fernsehsignale aus der Vergangenheit anstrahlt und uns etwas darüber erzählen könnte, wie die Mehrheit unserer Vorfahren ihre Abende verbracht hat.

Das ist eine Möglichkeit, Hans-Jörg Uthers 28.000 Seiten merkwürdiger Literatur aus den Jahrhunderten 16 bis 18 zu lesen. Eine gute Möglichkeit, andere ergeben sich nur, wenn man zufällig Literaturwissenschaftler ist.

Bei der merkwürdigen Literatur handelt es sich meist um zusammengestellte Bücher zu allen Themen auf Gottes grüner Erde, von der Existenz von Geisterwesen über Bauernregeln bis zu einer Kulturgeschichte des Tabaks. Kurz gesagt, es geht um Literatur, die versucht, alltäglichen Merkwürdigkeiten auf den Grund zu gehen, Dingen, mit denen die Menschen sich früher in ihrem Alltag befassen mussten. Das ist interessant, auch, weil es damals Bücher waren, die zum Verkauf bestimmt waren und es sich deswegen nicht erlauben konnten, in hochgeistigen Sphären umherzuschweben, sondern darauf eingehen mussten, was das Publikum wollte. Und das Publikum wollte das volle Programm, von Enthüllungen über einen Hexenkonvent, blutigen Anekdoten über die Herrscherhäuser, Scherzfragen, einem Erziehungsratgeber mit dem schönen Titel "Das lehrreiche Exempelbuch" bis hin zu regelrecht aufklärerischen Büchern, die sich bemühen, wenigstens den gröbsten Aberglauben auszuräumen.

All das strahlt in unsere Zeit hinüber, nicht mit dem starken Signal, das zum Beispiel Kant immer noch produziert, aber es sind schwache Signale, die wir betrachten können wie Aliens, die unser Fernsehprogramm mit den Voyager-Schallplatten abgleichen. Dadurch, dass die Zusammenstellung so umfangreich ist, ergibt sich ein leicht gestörtes, aber auch eindeutiges Bild. Es ist recht beruhigend und erzählt eben von dem normalen Menschen der Vergangenheit, der das Banale liebte, wie wir es heutzutage auch tun.

Das alles ist natürlich auch lehrreich, nicht nur, wenn man sich auf der Abstraktionsebene bewegt und dann irgendwann weiß, wie die Menschen damals tickten. Viele der Zusammenstellungen beinhalten auch Lexika oder genaue Beschreibungen von Geisterwesen, was natürlich nützlich sein kann, wenn man es denn mal braucht.

Dass alles in diesem putzigen, alten Deutsch geschrieben ist, das gleichzeitig erhaben und lächerlich wirkt, kann man in diesem Fall als eine Art Bonus betrachten, mit dem es noch ein wenig mehr Spaß macht, zum Beispiel darüber zu lesen "Wie man sich selbst und seine Schwachheiten erkennen und dieselbe mit, bei und von sich habenden Mitteln, als der Mumien, des Geblüts, Fell und Haut, Zähnen, Nabel, Hirnschalen etc. kuriren und seine Gesundheit zu erhalten, oder die verlorne wieder zu bringen lernen solle."

Das ist, nebenbei gesagt, nicht etwa aus einem Buch entnommen, sondern der Titel eines Buchs, was eine weitere schöne Eigenart der meisten kompilierten Bücher in "Merkwürdige Literatur" ist: Diese Buchtitel, die nie enden wollen. Wieder etwas, was wir auf dem Weg verloren haben, genau wie das Wissen über Hexenmeister. Gut, dass Hans-Jörg Uther sich die Mühe gemacht, das alles wieder hervorzukramen. Wenn das alles in Bibliotheken verstaubte, wäre die Welt ein ganzes Stück weniger merkwürdig. Und wir wüssten nicht, dass wir Aliens sind, die Ally McBeal schauen.


Titelbild

Hans-Jörg Uther (Hg.): Merkwürdige Literatur. Eine Anthologie des Abseitigen.
Directmedia Publishing, Berlin 2005.
28.000 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3898535118

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