Mailodram im Internet

Daniel Glattauers Roman "Gut gegen Nordwind"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Meg Ryan und Tom Hanks im Kinofilm "E-Mail für Dich" mehr oder weniger anonyme elektronische Post über das Internet austauschten, ist auch der breiten Öffentlichkeit bekannt, dass aus den neuen Kommunikationsformen herrlich-komische Konstellationen entstehen können.

Eine ähnliche Konstellation entwirft nun auch der Wiener Autor Daniel Glattauer in seinem Roman "Gut gegen Nordwind". Emmi Rothner, nach eigenem Bekunden glücklich verheiratet, will ein Zeitschriften-Abo kündigen, doch ihre Mail landet bei Leo Leike, der gerade dabei ist, eine ziemlich stressige Beziehungsgeschichte zu meistern. Ein "e" zuviel im Adressfeld löst eine Schreiblawine aus. Statt beim "Like"-Magazin landet Emmis Post beim Sprachwissenschaftler Leike.

Der 46-jährige Daniel Glattauer, der seit 1989 als Gerichtsreporter und Feuilletonist für die Wiener Tageszeitung "Der Standard" tätig ist, hat mit viel Sprachwitz einen ellenlangen Briefroman verfasst. Ellen und Leo tauschen nach dem "Irrläufer" zunächst nur Belanglosigkeiten aus, doch im Schutz der Anonymität erwächst aus der virtuellen Zufallsbekanntschaft eine Schreibmanie. Mehr als 200 Mails werden geschrieben, die Dialogpartner offenbaren sich, tauschen Ängste und Sehnsüchte aus.

Ellen und Leo zieren sich jedoch vor einem persönlichen Kennenlernen, die Angst vor einer Enttäuschung, die das Ende dieser virtuellen Beziehung bedeuten könnte, treibt beide um. "Wer ein Abenteuer sucht, erlebt gerade keines. Stimmt's? [...] Und wenn ich einfach nur gerne ihre Stimme gehört hätte? Und wenn ich nur gerne vielleicht einen Hauch vom Geruch Ihrer Haare und Ihrer Haut inhaliert hätte?", schreibt Leo.

Autor Glattauer beweist ein feines Gespür für Sprachnuancen. Mal gerät der Schriftwechsel ausschweifend und langatmig, dann wieder im E-Mail-typischen Stenostil, gerade so, wie es die Gefühlslage und die Zeit zulässt. Das unpersönliche emotionale Niemandsland des Internets wirft seine unsichtbaren Fesseln aus. Emmi und Leo können nicht voneinander lassen, es entsteht ein geistiges Abhängigkeitsverhältnis mitsamt Eifersuchtsregungen und gegenseitigen Vorhaltungen.

Trotz des kuriosen Handlungsfundaments und der teilweise überaus humorvollen Dialoge zielt dieser elanvoll geschriebene Roman viel tiefer. Emmi und Leo (das offenbart der elektronische Briefwechsel) sind zwei Figuren, die mit ihrem bisherigen Leben nicht ins Reine gekommen sind und die sich im Schutz der Anonymität trauen, ihre bisher unausgesprochenen Sehnsüchte zu artikulieren. Zwei Suchende im Internet - ein spannendes Mailodram.


Titelbild

Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006.
218 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3552060413

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