Und immer wieder ein überraschendes Land

Paul Ingendaay schafft mit seiner „Gebrauchsanweisung für Spanien“ ein tieferes Verständnis für die iberische Halbinsel und seine Bewohner*innen

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Land Spanien als Ganzes existiert zwar geographisch gesehen, doch so wenig einheitlich es sich abseits des Festlandes mit seinen zahlreichen großen und kleinen Inseln gestaltet, so vielfältig ist es sowohl landschaftlich als auch sprachlich und kulturell beschaffen. Und nicht nur in diesen Bereichen können seine Besucher*innen manchmal den Eindruck gewinnen, während einer Rundreise gleich in mehreren Ländern zu Gast zu sein.

Paul Ingendaay versucht mit einer Auswahl der bestehenden Unterschiede zwischen einzelnen Landesteilen ein besseres Verständnis für die Einwohner*innen Spaniens herzustellen, ohne dass dies letzten Endes überhaupt möglich wäre, da der Spanier oder die Spanierin als solche nicht existiert. Seine Auswahl beschränkt sich dabei nicht nur auf die Regionen, die für ihr Streben nach Unabhängigkeit bekannt sind, sondern auch auf zumindest beim typischen Urlaubsreisenden weitgehend unbekannte Gebiete wie Aragonien oder Extremadura. 

Sensibel und wo immer möglich basierend auf historischen Fakten, aber auch eigenen Beobachtungen und Gesprächen vermittelt Ingendaay Einblicke in ein Land, das eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat, die häufig angesichts von Urlaubserinnerungen unter der spanischen Sonne in Vergessenheit geraten dürfte.

Der Humor bleibt in dem kurzweiligen Buch, das erstmals im Jahr 2004 aufgelegt und hier in einer überarbeiteten Version herausgebracht wurde, nicht auf der Strecke. So berichtet der Autor zum Beispiel über den Ort Lepe an der andalusisch-portugiesischen Grenze als spanischem Ostfriesland und zitiert folgenden Witz, der über dessen Einwohner*innen kursiert: „Warum schauen die Leute in Lepe um drei Uhr nachmittags und um neun Uhr abends immer in den Himmel und lächeln? Weil sie auf das Foto des Wettersatelliten kommen wollen.“ Den schlechten Ruf des Ortes kann er auch nach eingehenden Gesprächen mit Einheimischen nicht erklären, wohl aber die Sehnsucht, die ihn beim Hören oder Lesen von Ortsnamen ergreift, die er bisher nicht kannte, denn diese haben stets einen Klang, der Reisewünsche weckt bzw. das innere Bedürfnis, diese Orte kennenzulernen, auch aufgrund der bisher schon gemachten positiven Erfahrungen. Obwohl in den spanischen Dörfern vielerorts Armut und darüber hinaus ein Mangel an Bewohner*innen und vor allem Frauen herrscht, bewertet der Autor den gleichzeitig vielerorts vorzufindenden Zusammenhalt als etwas, dass es auch abseits der Poesie zu bewahren gilt. 

Beeindruckend gelungen ist auch die Beschreibung des den Spanier*innen eigenen Wunsches nach Immobilienbesitz. Auch wenn hierzulande Spanien oft andere Attribute zugewiesen werden, so zählt das eigene Haus oder zumindest die eigene Wohnung doch zu den ureigensten Zielen der Iberer*innen. Dieser Wunsch wird in der überdimensionierten Kunststadt Seseña, einer als Vorort von Madrid angelegten, künstlichen Neubausiedlung im trockenen Nichts von La Mancha, als Beispiel haarsträubender städtebaulicher, aber auch finanzieller Fehlplanung präsentiert. Solche katastrophalen Projekte finden sich als Ausdruck der Gier einzelner Bauherr*innen, aber auch eines zum Volkssport geratenen Immobilienhypes, der auf Pump, Spekulation und anderen, nicht immer legalen Intentionen beruht, im ganzen Land. 

Abseits solcher Auswüchse und der schwierigen Geschichte des Landes zeichnet Ingendaay jedoch das Bild von einem Land und seinen Menschen, die nicht nur liebenswert, sondern auch gastfreundlich und herzlich sind sowie eine sehr eigene Lebensweise an den Tag legen. So bietet ein Besuch in Spanien die Möglichkeit zu spontanen Begegnungen, weil trotz aller wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen das Persönliche nach wie vor den wichtigsten Stellenwert einnimmt. Dem Autor gelingt es durch seine persönliche Note ein Bild zu zeichnen, das nachhaltig ist und Lust darauf macht, sofort seine Koffer zu packen. Für wie lange? Das bleibt den Reisenden schließlich selbst überlassen. Genug Abwechslung findet sich für ein ganzes Leben.

Titelbild

Paul Ingendaay: Gebrauchsanweisung für Spanien.
Piper Verlag, München 2021.
224 Seiten , 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783492277518

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