Am Ende entsteht es in den Köpfen der Leute

Im Gespräch mit der Live-Hörspielgruppe „Mienenspiel“

Von Laura HarffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laura Harff

Mienenspiel ist eine Live-Hörspielgruppe aus Mainz. Ursprünglich wurde das Ensemble 2013 als Theatergruppe an der Johannes Gutenberg-Universität gegründet. 2016 entschieden sich die Mitglieder jedoch dazu, einen etwas anderen Weg zu gehen. Live-Hörspiele standen fortan auf dem Programm, die das Ensemble mittlerweile auch auf andere Mainzer Bühnen trägt, darunter das Kulturzentrum Mainz (KUZ). 2020 kam der Podcast Mikroversum hinzu. Im Gespräch mit literaturkritik.de erzählen die Ensemble-Mitglieder Philipp Neuweiler (Autor, Sprecher, Regie und Grafik), Simone Nowicki (Geräuschemacherin), Andreas Reinhart (Autor und Sprecher) und Anika Schilling (Autorin und Produktion), wie aus einer Idee ein Live-Hörspiel für die Bühne wird, was für sie den Reiz eines Hörspiels ausmacht und wie es ihnen in der Corona-Pandemie ergangen ist.

literaturkritik.de: Eure Hörspielgruppe Mienenspiel gibt es seit 2013 und ihr habt nicht immer Hörspiele gemacht, sondern ursprünglich mal mit klassischem Theater angefangen. Wie kam die Idee mit den Hörspielen überhaupt zustande?

Philipp Neuweiler: Wir haben uns damals überlegt, dass wir auf dem Campus gerne mal etwas machen würden, was es so vorher noch nicht gab. Damals haben wir uns eine Kurzgeschichte geschnappt, ein schauerromantisches Stück von Robert Louis Stevenson, The Body Snatcher (dt. Der Leichenräuber). Wir fanden das eine super Möglichkeit, ein bisschen Hörspielgrusel auf die Bühne zu bringen und das Format für uns erstmal kennenzulernen. Und irgendwie haben wir uns jetzt eingeschossen auf Hörspiele, Podcasts und vor allen Dingen auf Live-Hörspiele.

literaturkritik.de: Was macht für euch den Reiz von Hörspielen aus im Vergleich zu anderen Formaten?

Andreas Reinhart: Ich glaube, die Faszination ist für mich in erster Linie, dass erstmal alles möglich scheint. Wir haben den Zweiten Weltkrieg erzählt. In aktuellen Produktionen wird aufs Meer hinausgefahren oder tief in Schächte hinabgestiegen. Es gibt bestimmte Grenzen einfach nicht, was vor allem auch an unserer Geräuschemacherin Simone liegt, die es schafft ziemlich grenzenlos alles darzustellen, was man leichtfertig ins Skript hineinschreibt.

Anika Schilling: Live-Hörspiele sind etwas wahnsinnig Irrationales. Wir sehen zwar Simone, wie sie beispielsweise Kokosnüsse aufeinander klappern lässt, aber wir sind uns sicher, wir hören ein Pferd. Diese Verschiebung, die stattfindet, zwischen dem, was ich tatsächlich wahrnehme, und dem, was in meinem Kopf stattfindet – das finde ich einen ganz spannenden Punkt. Weil man sich dauerhaft in so einer Art Selbstbetrug befindet und im Kopf ganz absurde Dinge entstehen mit teilweise sehr banalen Mitteln.

Philipp Neuweiler: Ich glaube ansonsten ist der große Reiz, dass man in verschiedenste Figuren schlüpfen kann. Wenn man viele kleine Rollen hat, muss man denen auch immer eine andere Klangfarbe oder ein anderes Charakteristikum mitgeben. In den letzten Hörspielen, die wir gemacht haben, war es so, dass es eine oder zwei Figuren gab, die die Haupterzählerparts übernehmen. Die müssen das Stück erzählen und auch eine etwas andere Haltung zum Publikum einnehmen, während Sprecher*innen, die für Nebenfiguren gecastet wurden, manchmal mehr ins Extrem gehen können. Gerade wenn Figuren vielleicht nur kurz auftauchen, kann man da auch mal dick auftragen. (lacht)

literaturkritik.de: Wie bereitet man sich als Sprecher*in auf ein Stück vor, im Gegensatz zu Schauspieler*innen in einem Theaterstück?

Andreas Reinhart: Wir haben Sprecher*innen, die sich ganz wenig aufwärmen. Wir haben Leute, die sich geradezu manisch aufwärmen. Die eine Person summt irgendeine Filmmusik, die andere Person sagt 20.000 Mal „Tomatensalat“, das alles ist durcheinander und dabei laufen die meisten quer durch den Raum mit halbgesenktem Kopf. Ich glaube für Außenstehende könnte das ganz schön seltsam wirken. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ich mich überhaupt nicht aufwärme, ich vielleicht eine Vorstellung bis zum Ende sprechen kann, aber nicht drei, wie das bei Lazarus der Fall war. Weil ein Live-Hörspiel ziemlich anstrengend für die Stimme ist. Man muss versuchen, sich bewusst zu schonen, gut aufzuwärmen, vielleicht ein bisschen Tee zu trinken, keinen Alkohol zu trinken, um das ein bisschen abzufedern.

Anika Schilling: Wir haben einige Leute dabei, die vom Schauspiel zu uns gekommen sind. Die haben oft erzählt, dass man eine ganz neue Sensibilität für die Stimme entdeckt und erst im Ausprobieren überhaupt versteht, was man damit alles machen kann. Im Schauspiel ist die Stimme eines von vielen Mitteln. Wenn man dir aber auf einmal alles andere wegnimmt – deine Requisiten, dein Kostüm, deinen Körper – und du nur noch die Stimme übrig hast, dann wird man viel sensibler und fängt natürlich an, auszuprobieren, was damit alleine alles möglich ist.

literaturkritik.de: Wie ist der Prozess von der Idee zum fertigen Hörspiel?

Philipp Neuweiler: Am Anfang ist man meistens alleine mit einer Idee, dann gibt es einen Schreibprozess. Und sobald die Fassung steht, sobald das Ensemble dazukommt, kommt für mich immer ganz viel dazu. Es beginnt dann mit Sprecherproben, das heißt, man sitzt zu viert oder zu fünft in einem Raum und liest es erstmal durch. Irgendwann kommt Simone mit ihren Geräuschen dazu. Ab dann ist es für mich eigentlich ein Hörspiel. Irgendwann kommt die Live-Musik hinzu und am Schluss, wenn man technische Proben macht, auch noch atmosphärische Einspieler für den Hintergrund, beispielsweise Regenprasseln. Das ist wie das Wasser, auf dem man schwimmt als Sprecher*in, aber auch ein Gestaltungsmittel, was von den Zuschauer*innen oft gar nicht bewusst wahrgenommen wird. Und ganz am Schluss kommt noch ein Lichtkonzept. Es wächst quasi, jedes Mal kommt etwas hinzu und am Schluss schafft man es, alles an einem Tag, an einem Ort zu bündeln und es entsteht etwas. Wobei letztlich entsteht es ja eigentlich erst in den Köpfen von den Leuten.

Andreas Reinhart: Ich denke da an Philipps Stück Operation A.H.A.B., das am 10. August im KUZ gespielt wird. Für mich hat die Geschichte mit einem Anruf von Philipp begonnen. Er hatte die Biographie eines Greenpeace-Gründers ausgegraben und dachte, daraus könnte man ein Live-Hörspiel machen. Und dann kriegt man mit, wie das Hörspiel Stück für Stück an der Pinnwand entsteht, ganz ähnlich wie ein Drehbuch oder auch ein Theaterstück. Die einzelnen Akte werden entworfen. Es gibt erste Szenen, die ausgeschrieben werden. Dann wird es neu zusammengewürfelt. Es gibt einen Lektoratsprozess. All das dauert, aber im besten Fall steht am Ende ein Skript, das so 50-60 Seiten umfasst. Das wird dann in die Gruppe geschickt. Für mich ist das der allerspannendste Moment. Jetzt kommt es darauf an, was die Leute sagen. Und wenn dann alle angezündet sind, beginnen die großen Terminumfragen für Proben. Das sind die Sprecherproben in einer ersten Phase, dann Koordinationsproben kurz vorher mit Geräuschen und Musik. Und eine Woche vor dem Stück ist die heiße Phase, wo alles zusammenläuft. Wo ganz viel schiefgeht. Und am Ende hoffentlich doch alles klappt.

literaturkritik.de: Wie viele seid ihr insgesamt und in welchen verschiedenen Bereichen seid ihr tätig in der Stückkonzeption?

Anika Schilling: Es gibt einen festen Kern, vielleicht zehn bis 15 Personen. Aber jeder von uns hat noch zwei bis drei andere Leute im Freundes- und Bekanntenkreis, die, wenn Bedarf ist, gut reinpassen, und die man dann dazu holt. Also irgendwas zwischen zehn und 25, würde ich sagen. Ansonsten haben wir auf der Bühne Sprecher*innen, Musiker*innen und Simone als Geräuschemacherin. Wir haben hinter der Bühne Tontechnik, Lichttechnik und Atmos, wir haben Produktion und Social Media und ein paar Leute, die eher im Lektorat tätig sind. Wir haben Autor*innen und Grafikdesign. Aber das sind alles Personalüberschneidungen.

literaturkritik.de: Wie viele Neuproduktionen gibt es im Jahr?

Anika Schilling: Zu nicht-Corona-Zeiten haben wir meistens eine neue Produktion im Jahr. Versucht. Meistens auch gemacht. Einfach, weil es wahnsinnig schwer ist, mit so vielen Leuten gemeinsam so viele Termine zu finden, sodass man so eine große Produktion auf die Beine stellen kann. Aber die alten Sachen sind dann nicht weg, die spielen wir dann einfach auf anderen Bühnen nochmal.

Simone Nowicki: Wenn jetzt ein Philipp Neuweiler im August sagt, er möchte gerne auf die See fahren, dann aber ein Andreas Reinhart im September schon sagt, er möchte bitte in den Bergbau – dann bedeutet das für mich zwei verschiedene Materialebenen, die zu bearbeiten sind. Das muss erst alles gesammelt werden und aufbereitet werden. Mittlerweile haben wir so ein kleines Repertoire an Stücken, die sind schon im Geräuschekeller mit inbegriffen, aber wenn neue Welten dazukommen, müssen die natürlich auch erstmal haptisch gesammelt werden. Das ist eine Sache, die immer mit eingeplant werden muss.

literaturkritik.de: Wie findet Ihr die passenden Gegenstände für eure Geräusche und was genau ist der Geräuschekeller?

Simone Nowicki: Ich habe einen Geräuschekeller und ich habe eine Geräuschegarage. Eigentlich habe ich ein ganzes Geräuschehaus, weil ich alles, was ich finde irgendwo abstellen muss und meine Eltern einfach damit belästige. (lacht) Man muss sich das so vorstellen: Andreas hat die Idee, dass es eine Bergwerkwelt werden soll. Ich schaue mir Filme an und überlege schon mal, wie was klingen könnte. Und dann fange ich an zu sammeln. Ich gehe viel auf Flohmärkte, in Hausauflösungen. Und ich bin auch immer freudig, wenn irgendwo Sperrmüll draußen steht. Man muss alles anfassen und dann überlegt man, was könnte das für ein Geräusch sein. Auf der einen Seite muss es auf der Bühne wirken und je ausgefallener etwas aussieht und je weniger man das mit dem Geräusch, das dann passiert, verbindet, desto besser ist es für die Bühne und desto mehr macht es auch mir Spaß. Wenn es nur auditiv ist, ist es nochmal was ganz anderes, dann muss es natureller klingen. Aber auf der Bühne geht’s darum, dass man dem Publikum etwas vorgaukelt. Dass etwas so klingt, aber das Objekt nicht so aussieht. Das ist eigentlich der größte Zaubertrick.

literaturkritik.de: Das heißt aber, es ist Eigeninitiative durch und durch. Du greifst nicht auf Vorschläge anderer zurück?

Simone Nowicki: Man guckt natürlich mal, was andere machen. Das gehört auch dazu. Aber oftmals ist es einfach so, dass man Dinge ausprobiert. Und ein bisschen auf die Suche geht. Das passiert dann nachts um drei, wenn man überlegt, wie könnte man einen Wal machen für den A.H.A.B. und dann überlegt man und man sucht überall. Weil es auch nicht so einfach ist, im Internet zu finden, wie ich einen Wal mit meinen Händen nachmachen kann. Und dann schaut man und googlet und guckt überall und findet heraus, dass es mit einer E-Gitarre ganz toll geht.

literaturkritik.de: Und auf der Bühne, wie ist es da? Man muss ja alle Gegenstände auf eine Art und Weise anordnen, dass man alles direkt findet. Gibt es auch Situationen, in denen man mal etwas nicht findet?

Simone Nowicki: Es ist geordnetes Chaos. Meistens versuche ich mit einem aufgeräumten Tisch anzufangen und je weiter das Stück geht, desto unordentlicher wird es. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nicht passieren würde, dass manchmal ein Geräusch fehlt. Aber mittlerweile sehr selten, früher war das viel schlimmer. Da vertraue ich dann aber auch den Sprecher*innen, dass sie genauso auf mich achten, wie ich auf sie. Wenn ich dann doch mal etwas nicht finde, dann ist es meistens ein kleiner Blickkontakt und der Sprecher oder die Sprecherin überspielt das.

literaturkritik.de: Wie probt man das? Wenn schon in der Probe, Sachen kaputt gehen, dann braucht man doch eine extreme Menge an Gegenständen, oder? Oder arbeitest du erst beim Auftritt mit allem?

Simone Nowicki: Das ist eine Sache, bei der ich mich mit Anika, also der Produktion absprechen muss, weil ich natürlich am Anfang ein Budget bekomme. Aber natürlich ist es so, dass ich erstmal zuhöre. Ich muss immer ganz genau wissen, wo die Sprecher*innen stehen und was sie machen. Erstmal gehen wir das Skript ganz genau durch, damit ich weiß, wo was ist. Und dann muss ich es in die Hand nehmen, weil ich sehr schnell wissen muss, wo was steht und so muss ich mir das im Probenbetrieb auch langsam einrichten. Weil das ja auch immer an ein Mikrofon gehalten werden muss. Das kommt dann noch später dazu und wird dann auch nochmal schwierig.

literaturkritik.de: Und dann darf niemand an den Tisch drangehen, weil dein geordnetes Chaos sonst wirklich chaotisch wird.

Simone Nowicki: Das ist eine sehr lange Einstellungssache, bis ich mich da dran wohl und zurechtfinde. Das wird auch immer wieder abfotografiert und immer weiter daran gefeilt. Und ja, viele Leute wollen mir dann immer helfen, aber die erste halbe Stunde brauche ich immer ganz in Ruhe für mich bis ich alles aufgebaut habe.

Anika Schilling: Aber wir haben auch alle wahnsinnigen Respekt vor dem, was Simone da macht. Und dementsprechend lassen wir sie da auch wirklich schalten und walten. So wie niemand auf die Idee käme während eines Konzerts an die Technik zu gehen und da am Pult einen Regler hochzuschieben, kommt auch niemand auf die Idee, an Simones Tisch zu gehen.

literaturkritik.de: Wie sucht ihr Stücke aus? Und wie schreibt man für die Hörspielbühne?

Philipp Neuweiler: Ich arbeite sehr gerne biografisch. Und dann ist es ein stückweit Übersetzungsarbeit, zu überlegen, wie kann ich das mit Sprache, mit Musik, mit Geräuschen ausdrücken.

Andreas Reinhart: Mir geht es oft so, dass ich ein Genre habe, das ich gerne erzählen würde. Jetzt für das Bergwerksstück im September kam der Anstoß ein bisschen von Simone, die meinte: „Mach mal mehr Grusel, irgendwas, wo auch Blut drin ist.“ (lacht) Und ich dachte mir: Cool, ja, ich überlege mal. Philipp wies mich dann darauf hin, dass eines der ersten Hörspiele, die es überhaupt gab, ein Stück über verschüttete Bergleute von der BBC war. Ich fand das faszinierend und dachte: Ich mache auch ein Stück über verschüttete Bergleute. Mit schauerromantischen Motiven.

Anika Schilling: Ich komme eher aus der komödiantischen Ecke. Da habe ich ganz vorsichtig angefangen mit einer Adaption von einem Kabarettstück, das an die 100 Jahre alt ist. Aus einem Theaterstück ein Hörspiel zu machen, war noch einigermaßen einfach. Von da aus bin ich weiter gegangen, habe mir behalten, dass es eine komische Situation braucht. Die steht für mich am Anfang und dann wird ausgelotet, in wie viele Richtungen man von hier aus absurd abbiegen kann.

Andreas Reinhart: Viele denken im ersten Moment: Hörspiel superpraktisch. Es scheint erlaubt zu sein, dass man Dinge, die da sein sollen, einfach in Dialog verpackt. Dass man sagt: „Oh, sieh mal ein Kirchturm.“ Ich glaube, man schreibt ein schlechtes Hörspiel, wenn man das Medium geringschätzt. Wenn Leute andauernd sagen, was sie tun, finde ich das unkreativ. Und ansonsten mache ich bei meinen Stücken manchmal ganz gerne Fassungen, die ich aufnehme, in denen ich alle Rollen spreche. (lacht) Wenn man sich das mit ein paar Tagen Abstand anhört, klingt es selbstverständlich ein bisschen seltsam, aber im besten Fall wird der Hörspieleindruck erweckt. Das gibt schon viel Aufschluss.

literaturkritik.de: Und dann geht man am Ende als Lektor*in dran und überlegt sich, was gut funktioniert hat und was nicht.

Anika Schilling: Ja, das wird in die Gruppe gestellt und jeder, der Zeit und Lust hat, gibt ein Lektorat dazu ab. Und ich glaube, wir alle achten beim Lektorieren auch auf unterschiedliche Sachen. Ich bin sehr auf der Wortebene, während Simone natürlich viel mehr bei der Frage ist, wie das klingt. Philipp hat ein extrem dramaturgisches Auge. Alle haben einen etwas anderen Fokus und erst wenn das alles geklärt ist, fängt die große Maschinerie an zu arbeiten: Wer macht überhaupt mit? Wo führen wir auf? An welchen Terminen?

literaturkritik.de: Die unausweichliche Frage: Die Corona-Zeit. Wie läuft es aktuell für euch?

Anika Schilling: Als Corona anfing, sind alle um uns eingefroren und wir haben erstmal richtig Gas gegeben. Weil wir diese Idee mit dem Podcast Mikroversum hatten. Unsere zwölf Podcast-Folgen sind in acht Wochen entstanden. Das war wirklich Wahnsinn, einfach, weil alle gerade Zeit hatten und wir dadurch schnell eine sehr gute Arbeitsstruktur hatten. Dann haben wir mit dem KUZ Mainz auch einen unterstützenden Partner gehabt, der uns Termine angeboten hat, die er, als klar wurde, die können nicht stattfinden, nicht abgesagt, sondern verschoben hat. Im letzten Corona-Sommer hatten wir die Möglichkeit, einen Abend draußen zu spielen. Im KUZ gab es die Aussicht auf einen zweiten Termin, der hat dann schon nicht mehr stattgefunden, im Winter gab es die Kooperation mit dem Unterhaus, was hoffentlich jetzt nächstes Jahr klappt. Es war unangenehm, weil man arbeitet, macht und tut und das Gefühl hat, es geht was und dann regelmäßig merkt: Geht doch nix.

Philipp Neuweiler: Wir haben auch einige lange Podcast-Formate im Studio aufgenommen, die jetzt aber noch in der Postproduktion schlummern. Dieses Jahr sind die zwei Open-Air Sachen am Wahrscheinlichsten. Da haben wir jetzt die Karten draufgesetzt und hoffen, dass das klappt im August und September. Tatsächlich muss man aber auch sagen, der Vorteil, dass wir alles ehrenamtlich machen, ist, dass wir natürlich nicht existentiell betroffen sind.

literaturkritik.de: Aber der Podcast ist aus der Corona-Zeit entstanden oder war das schon vorher eine Idee?

Philipp Neuweiler: Also es gab schon vorher Ideen, aber Auslöser war dann Corona.

Anika Schilling: Das haben wir damals im Social Distancing alles brav einzeln zu Hause aufgenommen (lacht) und bearbeitet. Dafür, wie schnell das alles ging, war das ein wahnsinniger organisatorischer Akt, das mit den Leuten, die teilweise über ganz Deutschland verteilt saßen, gemeinsam zu planen. Aber es passte auch in die Zeit, weil dadurch niemand so richtig ins Nichts fallen konnte.

literaturkritik.de: Was war euer Lieblingsprojekt bisher?

Anika Schilling: Ich glaube dadurch, dass viele Produktionen so unterschiedlich waren, ist es schwer zu vergleichen. Lazarus war eine Riesenproduktion, für die wir mehrere Monate geprobt haben und dementsprechend ist es sehr befriedigend, wenn das auf eine Bühne kommt. Die Sache im Sommer im KUZ war insofern besonders, weil man froh war überhaupt spielen zu dürfen. Der Podcast war super, weil man sich da so schön für anzünden konnte und da so für gebrannt hat. Und was am Hörspiel toll ist, was ich im Theater nicht so oft erlebt habe, ist, dass man ab und zu aus dem, was man macht, kurz rausfällt, sich umguckt und sich denkt: Was passiert hier? Hier schreit ein Typ eine Wand an, da drüben sitzt jemand und cruncht eine Paprika und dahinten spielt jemand Geige. Wo bin ich hier und was tue ich hier? Und das sind eigentlich die Momente, die mir am meisten Spaß machen, wenn man ab und zu einen Realitätscheck erlebt, kurz aus der Szene rausfällt, sich umguckt und sich denkt: Alter, sind die bescheuert, aber wie geil ist das hier gerade. Das mag ich eigentlich am meisten.

literaturkritik.de: Und ein Projekt, was ihr unbedingt gerne mal machen würdet?

Andreas Reinhart: Also ehrlich gesagt haben wir so viel auf Halde liegen, dass es ganz viele Projekte gibt, die wir unbedingt machen möchten. Wir haben alle möglichen Welten noch vor uns, die erkundet werden können. Die hohe See, das Bergwerk, den Luftraum irgendwann hoffentlich mit Antoine de Saint-Exupéry. Ich wäre jetzt gar nicht fähig zu großen Imaginationen, weil ich glaube, dass ganz viel schon da ist, wo wir hungrig drauf sind, das zu machen.

literaturkritik.de: Was war als Kind bzw. ist heute euer Lieblingshörspiel?

Andreas Reinhart: Ich bin sehr sprech- oder stimmgetrieben bei den Hörspielen, die ich mag. Ich habe als Kind auch mal TKKG gehört, aber ich fand zum Beispiel die früheren Asterix-Hörspiele ganz toll, weil der Obelix-Sprecher wahnsinnig gut ist. Das ist Douglas Welbat in einigen alten Hörspielen. Der hatte eine ganz besondere Stimme. Und dementsprechend folge ich dieser Maxime auch bei den heutigen Vorlieben, weil ich zum Beispiel die Sherlock Holmes-Reihe vom Maritim-Verlag total mag, weil die ein ganz starkes Holmes/Watson-Gespann haben – stimmlich. Deswegen würde ich mal das nennen.

Anika Schilling: Ich mache weiter mit dem Lieblingshörspiel meiner Kindheit, das ich bis heute ganz großartig finde. Der Holzwurm, der Oper erzählt: Carmen. Das ist eine ganz absurde Produktion, in der für Kinder Oper erklärt wird. Ich habe mit Oper nichts am Hut, bis heute nicht, aber man hört quasi dem Holzwurm und der Opernmotte dabei zu, wie sie das Stück Carmen schauen. Und hört im Hintergrund die Musik der Oper in Ausschnitten. Es ist so süß und so niedlich und gleichzeitig durch die Gewalt dieser Opernmusik auch sehr sehr beeindruckend. Das finde ich bis heute, also um Kindern Kultur näher zu bringen, super. Aber auch, wie es gearbeitet ist von der Produktion her, die Idee dahinter, finde ich alles ganz großartig.

Philipp Neuweiler: Tatsächlich bin ich gar nicht so ein Kassettenkind, sondern kam erst später mit der faszinierenden Welt der Hörspiele in Berührung. Aber ich kann mich gerade daran erinnern, dass ich mit meinem Bruder, als wir noch sehr jung waren, mal von Lego ein Abenteuerhörspiel über die Pharaonen gehört habe, und wir hatten das auch nachgespielt mit irgendwelchen Plüschtieren. Das hat auf jeden Fall ganz großen Spaß gemacht, aus diesem Stück nochmal was Eigenes zu machen.

Simone Nowicki: Ich glaube, was bei mir die Liebe für Sound Design erweckt hat, sind Filme von Wes Anderson. Ich komme von der Filmwissenschaft und das Signalgeräusch in Wes Anderson-Filmen, das beeindruckt mich jedes Mal. Da merkt man auch wieder diese Liebe der einzelnen Departements, die zusammenspielen. Und ich glaube, das hat mich damals als junge Filmwissenschaftlerin einfach absolut begeistert. Und vielleicht dahin getrieben, das auch mal ausprobieren zu wollen und vielleicht dann auch herauszufinden, dass das funktioniert.