Ein roter Faden im Leben

Gespräch mit Felix Scharlau und Linus Volkmann, Betreiber des Hörspielpodcasts „Ausnahme der Rose“

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Seit einigen Monaten betreiben die beiden ehemaligen Redakteure der legendären Pop-Zeitschrift INTRO, Linus Volkmann und Felix Scharlau, den Hörspiel-Podcast Ausnahme der Rose. Hier widmen sich die Popkultur-Archivisten (bisher) den großen Hörspielklassikern aus den 1980er Jahren. Die einstündigen Folgen bestehen jeweils aus einem Gespräch zwischen Volkmann und Scharlau, das von feinsinniger Ironie, aus wahrem Fantum geborener Retro-Glückseligkeit und den Ergebnissen akkurater historischer Recherche lebt. Es gibt also nicht nur viel zu lachen, wenn Volkmann und Scharlau die Begegnung mit der Mörder-Mumie nachempfinden oder den heute fast vergessenen Funk-Füchsen auf der Spur sind, sondern auch interessante Hintergrundinformationen. Sascha Seiler sprach mit Volkmann und Scharlau über den ungebrochenen Reiz von Hörspielen, Nostalgie nach den 1980er Jahren sowie über die alles entscheidende Frage, ob nun die grünen oder die rosa Folgen der Gruselserie die besseren seien.

literaturkritik.de: Was ist denn für euch heute immer noch so faszinierend an Hörspielen?

Felix Scharlau: Mich fasziniert die Kompaktheit dieses Genres. Ich bin immer noch jemand, der hin und wieder Hörbücher hört, und es gibt auch Zwischenstufen, Szenische Lesungen, also im Prinzip ein Hörbuch mit ein bisschen Musik etc., aber nichts kann mich emotional so bewegen und in eine Geschichte hineinziehen wie diese Einheit von Musik, vor allem aber Geräuschen, und Stimmen. Das finde ich total einzigartig und das löst mehr in mir aus als Filme. Die fehlende Visualität ist für mich eher ein Gewinn und die Geschichten kommen so besser rüber. Das ist heute immer noch so, auch wenn sich natürlich die Inhalte ein wenig verändert haben.

Linus Volkmann: Ich höre gerne Podcasts und ich finde mich in diesen neuen Audiomedien wieder. Mir macht es auch Spaß, was Neues zu entdecken, aber damit einher geht ja auch eine ziemliche Überforderung. Es gibt so viele Möglichkeiten. Man hat den einen Podcast verfolgt und bei dem anderen sind schon wieder fünf neue Teile erschienen. Dahingegen ist die hermetische Situation von abgeschlossenen Hörspielsachen aus der Vergangenheit etwas ganz anderes. Hier werden die Synapsen eher gestreichelt und ansonsten muss man nichts machen, außer sich erinnern. Dieses Regressive, Anachronistische hat natürlich nichts Heroisches, aber von dem großen Erinnern lasse ich mich gerne abholen. Das gefällt mir gut.

literaturkritik.de: Wie habt ihr euch in eurer Kindheit und Jugend neben dem intensiven Hören von Hörbüchern noch mit ihnen beschäftigt? Wie wichtig ist euch alles, was auch drumherum ist, was die Europa-Chronik z.B. ja auch abbildet?

Volkmann: Ich finde es toll, wenn es auch eine Story zu einem Kulturprodukt gibt. Wenn man neben dem Konsum auch eintauchen kann und sich freuen kann über Zusatzinformationen, über Behind-the-Scenes, Sachen, die man vielleicht gar nicht unbedingt wissen sollte, oder Fehler. Ich finde es gut, wenn damit eine ganze Welt verbunden ist. Diese sollte dann aber nicht so ausufern wie der digitale Diskurs oder die Podcast-Welt. Hier würde man ja überhaupt nicht mehr hinterherkommen. Sich Zusatzinformationen zu erschließen, gerade bei abgeschlossenen Serien, das ist dann sehr sinnstiftend.

Scharlau: Ich kann mich auch daran erinnern. Als Kind hat man mit seinen Freunden über Hörspiele geredet, aber dann nicht mit der Diskurstiefe wie über Popmusik ein paar Jahre später. Aber da gibt es sicherlich Analogien. Früher gab es ja auch Phasen, in denen man gesammelt hat, nicht nur weil wir diese Kulturprodukte so geschätzt haben – da ging es sicherlich auch um etwas Haptisches, vielleicht eine Kassette einlegen –, sondern einfach, damit man sie hören konnte. Das ist heute viel weniger ein Thema. Aber das war dann doch ein roter Faden im Leben. Ich hab in meiner Jugend, genauso wie Linus, auch mal versucht, ein Hörspiel selber zu machen mit einfachsten Mitteln und später habe ich versucht, in das Feld auch beruflich reinzukommen, zum Beispiel in Form von einem Praktikum bei WDR3 Hörspiel. Ich habe auch eine Magisterarbeit über Hörspiele geschrieben, im Zuge dessen ich mich mit der Geschichte des Mediums auseinandergesetzt habe. Deutschland ist zum Beispiel das Hörspielland der Welt, was man schnell vergisst. Das ist ein Genre, das es vermutlich in 150 Ländern dieser Welt überhaupt nicht geben wird und in anderen Ländern ist es nur teilweise vertreten: Skandinavien, Italien, England und eventuell noch Frankreich. Jedoch ist es nirgends so groß geblieben wie in Deutschland, was einerseits mit EUROPA zu tun hat, andererseits mit dem Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk – beides eigentlich komplett konträre (End-)Gegner. Beide sind dafür verantwortlich, dass das Genre noch lebt. In anderen Ländern gab es nicht diese Zufälle und dann existiert das Genre dort auch nicht so stark wie hier.

literaturkritik.de: Linus hat im Podcast auch gesagt, dass die rosa Folgen wirklich spannender waren als die grünen, das entspricht ja auch der Wahrheit…

Volkmann: Ja, das habe ich schon behauptet, aber meiner Meinung nach waren doch die Grünen die Spannenderen. Ich fand den Pakt mit dem Teufel ganz furchtbar gruselig, die eine Szene mit den flammenden Spuren und die Insel der Zombies. Das sind für mich die Highlights der Gruselserie. Die waren beide grün.

literaturkritik.de: Ja, das stimmt. Es ist faszinierend, dass ihr euch auch mit dieser Frage beschäftigt habt, welche denn nun die spannenderen waren – als wäre die Farbeinteilung beabsichtigt gewesen bei der Erstellung damals. Um noch einmal auf den Spotify-Vergleich einzugehen: Heute hören Kinder und Jugendliche Hörspiele, wenn sie sie hören, über Spotify, wobei das haptische Erlebnis komplett wegfällt. Wie wichtig ist eurer Meinung nach dieses haptische Erlebnis in der Kindheit gewesen im Vergleich zu dem, was man aktuell über Streaming-Dienste erfährt?

Scharlau: Das Haptische hat dadurch einen Wert gehabt, weil man die Kassetten normalerweise nicht im Übermaß hatte. Man hat für eine Kassette sparen müssen oder hat eine geschenkt bekommen und dann hat man sie eine ganze Zeit lang gehört und sie sich sehr genau angeschaut, weil man die Zeit hatte. Das ist natürlich eine ganz andere Form der Auseinandersetzung, die da mit einherging. Das kann man mit Schallplatten, Popplatten, vergleichen, mit dieser Zeiteinheit und Unterteilung in Seiten, egal ob bei Vinyl oder MC, die macht etwas aus und hat früher gut in den Alltag gepasst. In den 20–25 Minuten, die eine Seite hatte, wusste man was mit sich anzufangen. Jetzt läuft das eher so durch. Das stimmt schon. Generell ist mir das haptische Erleben nicht mehr so wichtig wie früher. Zumal ich früher viele Radiohörspiele gehört habe, die man sich dann selber aufnehmen musste, da gab es dann nie ein „Finished Product“, wie man früher gesagt hat. Das hat sich gedanklich entkoppelt bei mir.

Volkmann: Ich habe da direkt ein Zitat von Jonathan Meese im Kopf und zwar: „Material ist geil.“ Ich finde diese kleinen Kassettenboxen und die Zeichnungen darauf gehören zu dem Erlebnis mit dazu. Das hat einfach einen Mehrwert, der bei Spotify überhaupt nicht mitgetriggert wird, was eigentlich sehr schade ist.

literaturkritik.de: Was sind denn eure Lieblings-Hörspielreihen früher wie heute?

Volkmann: Ich höre gerne John Sinclair. Von den alten, vergangen Serien finde ich Larry Brent sehr toll, auch Macabros. Larry Brent hat mittlerweile auch wieder Reboots erlebt, da gibt es wieder neue Folgen, aber die Klassiker waren natürlich in den 80er Jahren. Das wurde nicht weitergeführt, weil es sich für das Label nicht mehr gelohnt hat. Da die Folgen ab 12 Jahren waren, ging das dann wohl stellenweise zu weit und das konnte sich nicht durchsetzen. Von diesen abgebrochenen Serien gibt es noch Relikte. Und TKKG finde ich als Vermächtnis der westdeutschen Bundesrepublik vor der Wende immer noch sehr stabil.

Scharlau: Ich bin schon mit dem EUROPA-Kanon aufgewachsen und war ein Die Drei ??? Fan von den frühen Folgen – man macht da ja einen Cut bei Folge 40 ungefähr –, danach ist für mich auch nicht mehr ganz so viel Tolles passiert. Es gibt zwar noch ein paar ganz gute Folgen, aber das interessiert mich nicht mehr so. Wenn ich dann doch mal in eine neue Folge reinhöre, bin ich meistens enttäuscht. TKKG habe ich auch sehr gerne gehört und die Atmosphäre von Fünf Freunde finde ich immer noch sehr faszinierend, obwohl die auch alle mehr oder weniger dieselbe Musik benutzen – die gleichen Geräusche – aber hier gibt es für mich nochmal einen Unterschied, vielleicht auch weil sie so oft draußen sind in der Heide. Und ich hatte früher auch Einzel-Hörspiele, die heute glaube ich kaum noch jemand kennt, Als die Autos rückwärts fuhren und Der geheimnisvolle Graf zum Beispiel. So etwas gibt es heute auch nicht mehr. Irgendwann hat sich dann alles auf Folgen kapriziert, damit man es besser vermarkten konnte.

literaturkritik.de: Werden Larry Brent und Macabros denn auch bald vorkommen in eurer Serie?

Volkmann: Auf jeden Fall, wir wollen von Macabros ‚Konga, der Menschenfrosch’ nehmen. Die Folgen wurden 2000 alle wieder aufgelegt. Im Original gibt es eine ganz gruselige Szene, in der dem Insektenforscher von dem Frosch die Zunge rausgeschnitten wird. Das gibt es so nicht mehr, also müssen wir schauen, wo wir das Original auftreiben können.

Scharlau: Ich habe die alle komplett digital. Also kann ich euch die gern zuschicken.

Volkmann: Viele Dinge – zum Beispiel auch Szenen über die Zerstücklung des Frauenkörpers – würden heute einfach nicht mehr gehen. Als Jugendhörspiel wäre nicht mehr viel übrig, wenn man alles schneiden würde.

literaturkritik.de: Was an eurem Podcast besonders auffällt, was natürlich auch in der Natur der Sache liegt, ist, dass ihr diese Hörspiele erneut hört und die ganzen Dinge mit 30 Jahren Abstand und viel kulturellem Background-Wissen beurteilt. Zum Beispiel geht es, wie bereits erwähnt, um die Kompaktheit des Storytelling, aber auf der anderen Seite auch um Plotlöcher in manchen Folgen. Sich diese Sachen retrospektiv, im Guten wie im Schlechten, noch einmal anzuschauen: Ist es das, was euch besonders fasziniert?

Scharlau: Genau, viele Folgen lassen sich einfach keine Zeit und dann werden Personengruppen, wie die Chinesen in der Folge Der grüne Geist von Die Drei ???, einfach seltsam und übertrieben dargestellt und eher auf rassistische Art nachgeäfft. Die Folge und somit der Fall beginnt unmittelbar nach den ersten paar Minuten, ohne dass dort groß Smalltalk wäre am Anfang, wie es bei den neueren Folgen der Fall ist. Die Zeit hatten sie damals nicht und das macht auch so atemlos, was bei einigen Folgen richtig gut funktioniert. Das fasziniert dann, hat jedoch auch etwas Zufälliges. Dadurch dass die Folgen so kurz sein mussten, wurde eben vieles, was zum weiteren Verständnis beigetragen hätte, weggelassen. Hier entstehen diese Plotlücken, in die wir dann bewusst den Finger legen. Wir wollen neben unserem offensichtlichen Interesse für das Genre trotzdem kein Fan-Podcast sein. Ich finde es viel interessanter zu schauen, an welchen Stellen es rassistisch wird oder schlecht gemacht ist, denn das gab es eben genauso.

Volkmann: Dafür haben wir uns ja auch den popjournalistischen Hintergrund über Jahrzehnte angeeignet, den man dann darauf streuen kann. Und als Fan ist man auch der größte Kritiker von allem. Die, die die nerdigsten Fragen stellen, das sind dann eben wir. Bei anderen Hörspiel-Podcasts gibt es gar nicht diesen journalistischen Anspruch, das muss auch nicht sein, aber dadurch ist es sehr affirmativ und man bekommt den Eindruck, dass es nur darum gehe, alles gut zu finden. Das hat dann wiederum auch keinen Mehrwert für den Zuhörer.

literaturkritik.de: Würdet ihr sagen, dass ihr mit einer Kombination aus Recherche und Fan-Wissen arbeitet?

Scharlau: Es ist eine Mischung aus Erinnerung – wobei wir auch die Fälle haben, bei denen einer von uns das Hörspiel gar nicht kennt, was sehr spannend ist – und Recherche. Wir haben auch eine Art Fahrplan, an den wir uns halten. Wir wollen, dass es etwas Gesteuertes ist, wobei man die Leute nicht langweilt, indem man nur über früher redet, sondern es sollen auch Nerd-Facts dabei sein oder Dinge, die man als Fan vielleicht noch nicht weiß und zwischendrin soll es dann freier sein. Wir haben zum Beispiel auch nicht die Dichte wie andere Hörspiel-Podcast, die jede einzelne Folge einer Serie durchgehen.

literaturkritik.de: Linus, bei dem besonderen Interesse für TKKG – Begeisterung und Kritik – existiert da eine gewisse Hass-Liebe?

Volkmann: Ja, das ist für mich auch das Tolle an Pop, dass man nicht von allem begeistert sein muss, sondern, dass man sich so gut auskennt, dass man auch über die Schwächen Bescheid weiß und verfolgt, wie mit ihnen umgegangen wird. TKKG ist so ein breites Feld. Damit kann man beispielsweise ganz Westdeutschland erklären. Das wird dann für einen Podcast ein bisschen viel.

literaturkritik.de: Felix, wie ist deine Meinung zu TKKG?

Scharlau: Ich habe es auch gern als „Guilty Pleasure“ gehört. Schon als Kind mag man die Figuren eigentlich nicht. Man konnte sich aber sehr gut hineindenken, in diese anti-eskapistische Welt, die Westdeutschland und somit die eigene Lebenswelt widergespiegelt hat.

Volkmann: Ich möchte noch kurz erwähnen, dass ich mal ein Skript geschrieben habe für eine TKKG-Folge, die dann aber leider nie umgesetzt wurde. Die Folge heißt TKKG und der Unglücksrabe, der aus der Kälte kam.