Wie lange wollen wir noch über Inhalte reden?
Uffa Jensen konstatiert Zorn in der Politik – und fragt nur zaghaft nach Auswegen
Von Christophe Fricker
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Wahllokale waren kaum eine Stunde geschlossen, der Erfolg der AfD stand auf allen Bildschirmen und in vielen Gesichtern, da kehrte Angela Merkel zu ihrem Mantra zurück: Wir müssen über Inhalte reden, wir müssen Probleme lösen, wir müssen besser erklären und argumentieren, dann werden die Menschen zu den Parteien der Mitte zurückkehren. Es ist das Mantra der Technokratie, für das Politik im Wesentlichen in der Optimierung von Kennzahlen besteht.
Dieses Politikverständnis hatte am 24. September 2017 einen schweren Stand. In vielen Wahlkreisen, zumal in Ostdeutschland, hatte eine große Zahl von Wählerinnen und Wählern sich für eine Partei entschieden, von der sie sich nach eigener Aussage zwar so manches versprach, aber nicht das Reden über Inhalte, die Lösung von Problemen, das bessere Argument. Es handelte sich um Wählerinnen und Wähler, denen jahrzehntelang – erst von ganz links und nun von rechts – eingeredet wurde, dass sie abgehängt und vergessen worden seien, und die sich nun für einen neuen Weg entschieden, den so aufgebauten Dampf abzulassen.
Uffa Jensen charakterisiert die Emotion, die hier am Werk ist, als Zorn – und nicht als Wut, da sie anders als die vage Wut gegen bestimmte Ziele gerichtet sei, spezifisch nach Genugtuung verlange und ein aktives „Moment der Selbstermächtigung“ enthalte.
Jensen plädiert in Zornpolitik dafür, Emotionen als Teil des politischen Prozesses zu betrachten und sie gerade in Krisenzeiten genau zu untersuchen, um sie beantworten zu können, und zwar eben nicht nur mit dem Reden über Inhalte, sondern mit eigenen Gefühlen. Ausdrücklich weist Jensen darauf hin, dass populistische Politiker Emotionen nicht nur hervorrufen und lenken, sondern dass sie auch selbst von ihnen ergriffen werden. Das gilt, jedenfalls im Grundsatz, natürlich auch für Politiker der Mitte; die beiden Vorgänger Angela Merkels im Amt des Bundeskanzlers sind gute Beispiele dafür. Die positive emotionale Antwort auf negative politische Emotionen muss also, so darf man schließen, von emotional kompetenten Politikern kommen.
Jensens Buch leistet eine Bestandsaufnahme des Zorns, wie er sich auf der politischen Rechten heute in Deutschland findet, und er ordnet ihn auf zweierlei Weise ein: einerseits, indem er ihn von anderen Emotionen unterscheidet, sodass sich eine Art Typologie der politischen Gefühle ergibt; und andererseits durch eine historische Kontextualisierung, die Parallelen vor allem im wilhelminischen Kaiserreich aufsucht, aber auch in der jüngeren Geschichte, beispielsweise die Walser/Bubis-Debatte oder die Sarrazin-Debatte. Diese Vorgehensweise ist plausibel und nachvollziehbar. Nur wird nicht immer deutlich, warum sich bestimmte Emotionen als Ausdrucksformen einer persönlichen oder überpersönlich geteilten Wahrnehmung oder Empfindung in einer bestimmten Lage ‚anbieten‘ (dieses unscharfe Wort füllt mehrmals die entsprechende Stelle im Gang des Arguments).
Sehr deutlich vertritt Jensen die Ansicht, dass das problemorientierte Reden über Inhalte klare Grenzen habe: Der Zornige empfinde die rationale (unemotionale) Antwort als Verachtung (seiner Emotion beziehungsweise seiner für ihn aktuell konstitutiven Emotionalität); dem Hochmütigen, beispielsweise dem rechtslastigen Verschwörungstheoretiker, gehe es vor allem um „die Hinwendung zu seinem verabsolutierten Selbst“ und gerade nicht um die Auseinandersetzung mit Fakten. Außerdem „wäre es ein Fehler, die Kränkungen, auf welchen das Ressentiment basiert, als objektive Fakten zu verstehen. Gerade das Ressentiment ist konstitutiv ungerecht – und man sollte deshalb nicht vorschnell von einer tatsächlichen Ursache ausgehen“.
Wie sieht also eine emotionale Antwort auf die politische Emotion aus? Zwei Antworten bietet Jensen an: neue Gemeinschaftsbilder und die Komik. Ein bisschen Witz vermisst man in der Tat im Umgang mit dem bierernsten Altbürokraten Alexander Gauland. Was die Gemeinschaftsbilder angeht, ist allerdings nicht ganz einzusehen, dass Jensen sie nur „wegen ihres appellativen Charakters“ offenbar für die schwächere Option hält. Denn wie sollte eine Politik aussehen, zumal eine emotionale, die ohne Gemeinschaftsbilder auskommt? Um diese Frage geht es doch heute: In welcher – oder genauer: in wessen – Gemeinschaft wollen wir leben? Jensens historisch und phänomenologisch grundierte Typologie der negativen politischen Emotionen ermahnt den politisch interessierten Leser immerhin indirekt, fühlend und handelnd an der Entwicklung neuer Gemeinschaftsbilder mitzuarbeiten. Das ist ein wertvoller Ansatz und für Menschen und Parteien der Mitte sicher erfolgversprechender als die Flucht in die Technokratie.
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