Johannes Bobrowski – der Sprachmagier

Zur April-Ausgabe 2017 von literaturkritik.de

Von Stefan JägerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Jäger

Schon seit längerem besteht das Vorhaben, bei literaturkritik.de einen Schwerpunkt zu Johannes Bobrowski zu machen. Der bevorstehende 100. Geburtstag des Autors ist der geeignete Anlass, sich wiederholt – oder auch ganz neu – mit Leben und Werk dieses Ausnahmeschriftstellers zu beschäftigen. Nicht nur die Lyrik Bobrowskis, sondern auch seine beiden Romane sowie die Erzählungen gehören sicher zum eindrucksvollsten, was in den Nachkriegsjahrzehnten in der deutschsprachigen Literatur erschienen ist. Unverwechselbar sind seine hochpoetische, oft dunkel timbrierte Sprache in den Gedichten sowie der sich stets in das Geschehen einmischende und hochgradig mit diesem verstrickte Erzähler in seiner Prosa. Kein Wunder also, dass sein verhältnismäßig schmales Œuvre, das keine millionenfache Verbreitung fand, dafür aber von Kennern sehr geschätzt wurde und noch immer wird, so illustre Autoren wie Günter Grass, Christa Wolf, Sarah Kirsch, Volker Braun, Günter de Bruyn, Reiner Kunze, Ingo Schulze und viele andere beeinflusste. Intensiv und durchaus kritisch setzte sich auch Paul Celan mit dem Sprachmagier Bobrowski auseinander.

Geboren am 9. April 1917 in Tilsit, heute Sowetsk (Kaliningrad), ließen ihn das Gebiet und vor allem die Landschaft sowie die Menschen nahe der deutsch-litauischen Grenze zeitlebens nicht mehr los. Selber als Soldat unter dem Hitlerregime in Polen, Frankreich und der Sowjetunion stationiert, setzte sich Bobrowski nach mehrjähriger sowjetischer Kriegsgefangenschaft in seinen Werken intensiv mit der „deutschen Verschuldung“ im Zweiten Weltkrieg sowie dem „Verhältnis der Deutschen zu den Nachbarvölkern“, vor allem den östlichen, auseinander. Eng verbunden damit war sein Anliegen, „Neigungen zu erwecken zu den Litauern, Russen, Polen usw.“; ihm kam es darauf an, mit seinen Texten eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Bobrowskis Literatur ist deshalb engagierte im besten Sinne, ohne dass sie dies auf aufdringliche Art und Weise ausstellt. In gewissem Sinne wird unser Schwerpunkt in der März-Ausgabe, in dem es um „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945 ging, in diesem Monat fortgeführt, findet sich doch bei Bobrowski Vergangenheit und Gegenwart in vielerlei Hinsicht verquickt. Gerade in Zeiten wiedererstarkender Nationalismen ist seine versöhnende Haltung „Fremden“ gegenüber aktueller denn je. So heißt es hellsichtig am Ende eines seiner Gedichte: „Heiß willkommen die Fremden. / Du wirst ein Fremder sein. Bald.“

Besonders erfreulich ist, dass sein Werk nie vollständig vom Buchmarkt verschwand. Erschienen bereits 2015, zum 50. Todestag des Autors, einige Titel von oder zu Bobrowski, so setzt sich das zum 100-jährigen Jubiläum in diesem Jahr glücklicherweise fort. Vor allem die vierbändige Ausgabe seines Briefwechsels wurde mit besonderer Spannung erwartet, aber auch das Erscheinen der Gesammelten Gedichte oder eine Auswahlausgabe der Erzählungen sind erwähnenswert. Gelegenheit gibt es also genug, sich vom Sprachsog Bobrowskis erfassen zu lassen.

Erfreulich ist nicht zuletzt, dass sich auch die literaturwissenschaftliche Forschung immer wieder mit Bobrowski auseinandersetzt. Das war besonders bei der Planung des Schwerpunktes immer wieder zu spüren.

Da derzeit noch nicht alle Artikel vorliegen, werden weitere im Laufe des Monats folgen. Das gilt auch für den zweiten, kleineren Schwerpunkt, der dem Werk und der Rezeption Franz Kafkas gewidmet ist. Zu seinen Lesern und Bewunderern gehörte, wie ein Beitrag im ersten Schwerpunkt hervorhebt, nicht zuletzt - Johannes Bobrowski.

Eine anregende und erkenntnisreiche Lektüre wünscht

Stefan Jäger