Das Glück vom Wagnis

Erling Kagge schreibt eine kurzweilige „Philosophie für Abenteurer“

Von Lukas PallitschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lukas Pallitsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Abenteuer üben eine Faszinationskraft aus. Dabei scheint es ein eigenartiges Paradox zu geben, denn einerseits sind die höchsten Punkte bestiegen, die Welt umsegelt und die Pole erreicht, andererseits erlebt gerade die Abenteuerliteratur eine anhaltende Konjunktur. Erling Kagge, der norwegische Bergsteiger, Jurist, Autor, Verleger und Kunstsammler, der selbst als erster Mensch die drei Extrempunkte der Welt (Nordpol, Südpol, Mount Everest) erreicht hat, legt nach Büchern über Stille. Ein Wegweiser und Gehen. Weiter gehen. Eine Anleitung nun eine Philosophie für Abenteurer vor.

Auf die Leser seiner beiden Bestseller mag einiges motivisch ähnlich gelagert wirken. Denn in den Buchtiteln seiner beiden Erstlinge findet sich viel von dem, worum es in diesem Buch geht: „Unterwegs im ewigen Eis kommst du dem Geheimnis eines guten Lebens auf die Spur. Es geht um Konzentration auf die einfachen Freuden.“ Dieser Schlüsselsatz ist inhaltlich und formal symptomatisch, denn Stille, Weg und Gehen werden als die großen Nomen der ersten beiden Bücher aufgenommen und weitergeführt. Zudem steckt in den Sätzen die wohldosierte und subkutane Anweisung, damit „du dem Geheimnis auf die Spur kommst“. Obwohl dieses Buch weder als Anleitung noch als Wegweiser ausgewiesen ist, wird die Mischgattung aus philosophischer Trivialliteratur und anleitender Beschreibung formal beibehalten. Doch von Zeit zu Zeit stolpert man bei der Lektüre über dieses Personalpronomen. Erling Kagge geht es um sein lesendes Gegenüber.

In dieser Anleitung werden unterschiedliche Themen geboten, die auf ein gelingendes Leben weisen. Wer sein Leben als Abenteuer angeht, kann zwar scheitern, aber die Erfahrungen lassen sich in den Zusammenhang integrieren. Von daher kann auch im Klappentext etwas irreführend sein, wenn ein „erfolgreiches Leben“ perspektiviert wird. Denn als Attribut weckt „erfolgreich“ starke Assoziationen auf ein finanziell gesättigtes Leben – in der „Philosophie für Abenteurer“ rückt aber keineswegs eine saturierte Lebensführung, sondern vielmehr eine genügsame, naturverbundene und letztlich mit sich selbst verbundene in den Mittelpunkt. In siebzehn Anläufen wird sie eingekreist und entweder mit Theorie garniert oder mit den Erfahrungen des Abenteurers gesättigt.

Werden lebensphilosophische Töne angeschlagen, sind letzte Sätze von besonderem Interesse, bleiben sie doch besonders im Gedächtnis haften. Wie beschließt der Autor dieses Abenteuer? Mit welchen Worten lässt Kagge seine Anleitung ausklingen? Die letzten beiden Worte sind „Genau hier.“ Das klingt zunächst eigenartig. Doch Kagge nimmt am Ende nochmals Rekurs darauf, was es zu beachten gilt. Er beschließt das Buch mit dem Imperativ: „Denk nicht zu viel, wenn du weitergehst.“ Dann kommt er darauf zu sprechen, wofür es dankbar zu sein gilt: „Dem Regen, der fällt, deinem Fuß, der durchs feuchte Gras geht – und der Stille. Frag dich selbst: Wo bin ich jetzt?“ Die Worte „Danke. Genau hier.“ beschließen dieses Buch. Das Gehen spielt hier ebenso hinein wie die Stille, die er zunächst rhetorisch, mithilfe einer Aposiopese, einführt und die er dann wörtlich fasst. An diese zeitdeckend anmutende Szene, in die Kagge seine Leser hineinzieht, schließt eine Frage, die den Leser zu einer lokalen Antwort drängt. Die Antwort, die Kagge selbst gibt, ist allerdings zeitlich ausgerichtet.

Diese Schlusspassage enthält das Buch in nuce. Kontrastierend zum Imperativ der Ratgeberliteratur, die auf einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang abhebt, um dann zuweilen ein unterschwelliges „du sollst“ zu gebieten, erzeugt die Lektüre dieses Buches mit Hinweisen einen nachhaltigen Eindruck. Da sich die Abenteuer, von denen berichtet wird, entweder aus selbst Erlebtem oder aus Notizen großer Reisender speisen, sammelt sich mit fortschreitender Lektüre ein breiter Erfahrungsschatz. Aufmerksamen Lesern wird nicht entgehen, dass Kagge mit der Frage nach dem Glück ein großes Thema der antiken Philosophie aufgreift und dieses in postmoderne Weltverhältnisse übersetzt. Aus einem anderen Blickwinkel ließe sich vielleicht sagen, dass die Frage nach dem Glück vor dem Hintergrund des Abenteuers thematisiert und hinsichtlich einer kleinen Anleitung reflektiert wird. Die Frage nach dem Glück ist breit gefächert. Genauso wenig wie antiken Philosophen geht es Kagge um das Zufallsglück oder das Wohlfühlglück. Gerade ein Hervorstreichen des Puristischen hält dazu an, die Kapitel als entsprechende Reibefläche zu lesen. Die Kunst Kagges besteht allerdings nicht nur darin, Glück und Abenteuer miteinander zu verbinden und auch das Abenteuer in die heutige Zeit für das 21. Jahrhundert transparent zu machen, sondern letztlich darin, den Blick auf das Glück des Abenteuers im Alltag zu lenken.

Titelbild

Erling Kagge: Philosophie für Abenteurer.
Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg.
Insel Verlag, Berlin 2020.
200 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783458178408

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