Kein drittes Buch über Achim

Uwe Johnsons zweiter Roman in der Rostocker Werkausgabe

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Publikation von Johnsons zweitem Buch ist ebenso wie dessen Rezeption auf allen Ebenen untrennbar mit der Zäsur des Mauerbaus verknüpft.“ Die nun vorliegende Werkausgabe des Johnson-Romans leistet allerdings sehr viel mehr, als es dieses Zitat aus dem Nachwort erahnen lässt. Bis kurz vor seinem Erscheinen Ende August 1961 war nicht abzusehen gewesen, dass Das dritte Buch über Achim zu dem Roman des Mauerbaus schlechthin werden würde, hatte die Arbeit an dem Text doch bereits am 14. September 1959 begonnen.

Das Nachwort der nun vorliegenden Ausgabe liest sich beinahe so spannend wie der Roman selbst. Der Leser wird zum Zeugen des Schreibprozesses und gleichzeitig mit den historischen Hintergründen des Romangeschehens vertraut gemacht. Diese erstrecken sich nicht nur auf die unmittelbare Gegenwart der damaligen DDR, sondern darüber „hinaus hat Johnson seinem Roman auch die deutsche Geschichte seit 1929 und insbesondere den Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR eingeschrieben“.

Mehr als ergänzt wird das Nachwort durch den Sachkommentar. Er verdeutlicht, mit welcher Akribie Johnson seine so kunstvoll gestaltete Prosa mit der damaligen politisch-historischen Lebenswirklichkeit ebenso verknüpft wie mit der jüngeren deutschen Geschichte. So etwa wenn von dem „Mädchen, das nicht dazugehörte“ die Rede ist. Sie wird von Achim und seinen Freunden umworben, von einem Spaziergang gemeinsam mit Achims Eltern existiert noch ein Foto: „Achim steht etwas entfernt von seinen Eltern und hält sie an den Schultern vor sich, er lacht mit allen Zähnen, sie blickt ernsthaft in die Kamera und ist bemüht seine Hände zu halten wo sie sind.“ Wenige Zeilen später heißt es über dieses Mädchen: „Dann war sie verschwunden. Dann hat keiner sie beschützt.“ Der Kommentar verweist auf das „‚Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden‘ vom April 1939“, Johnson erläutert einem seiner Leser die Szene mit den Worten „‚Das war die Exmittierung einer jüdischen Familie‘“. Über die vertriebene Familie des Mädchens heißt es im Roman abschließend: „Besonders das Kopfschütteln seiner Mutter machte sie so unauffindbar verschwunden als hätte es sie nie gegeben, und es gab sie auch nicht mehr.“

Der textkritische Kommentar gewährt „einen Einblick in die Entstehung des Textes und dessen Überarbeitungsstadien vom Typoskript zum Buch.“ Ergänzt wird der Band durch ein Emendationsverzeichnis, ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister.

Uwe Johnson wollte seinen zweiten Roman Beschreibung einer Beschreibung nennen, doch sein Verleger Siegfried Unseld beharrte auf dem Titel Das dritte Buch über Achim. Aus mehreren Gründen wollen wir dem Autor in seiner Skepsis recht geben, vor allen Dingen deshalb, weil dieses dritte Buch ja nie, wie es der Romantitel doch verspricht, zustande gekommen ist; und weil Johnson in seinem Roman nichts anderes tut als zu beschreiben, warum es nicht geschrieben werden konnte. Die Neuausgabe dieses zweiten Romans von Uwe Johnson, der damals gerade einmal siebenundzwanzig Jahre alt war, ermöglicht es nun seinen Leserinnen und Lesern, nachzuvollziehen, welch bedeutsames Kunstwerk uns nunmehr „in einer verlässlichen Textausgabe zugänglich“ gemacht wird.

Titelbild

Uwe Johnson: Das dritte Buch über Achim. Roman.
Rostocker Ausgabe. Herausgegeben von Katja Leuchtenberger und Friederike Schneider. Mit einem Nachwort von Sven Hanuschek, Katja Leuchtenberger und Friederike Schneider.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
632 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783518427033

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch