Kein Symposium mit meinem Namen

Die Filmuniversität Babelsberg feierte Herbert Achternbusch mit einer Tagung

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

„Die Förderung seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft haben wir nur des Mottos wegen bekommen“, scherzte eingangs Claus-Michael Ort (Kiel). Es lautete „Du hast keine Chance, aber nutze sie“ und ist zugleich Sammeltitel der Werkausgabe gewesen, die zwischen 1986 und 1991 bei Suhrkamp erschienen war. Die paradoxe Formulierung dürfte auf Kubas Guerillero Che Guevara zurückgehen, der seit den sechziger Jahren zu den berühmtesten Ikonen unserer Populärkultur gezählt werden muss.

Claus-Michael Ort gab in seiner Einführung die Perspektiven vor, die für die Tagung gelten sollten: Aspekte der „Tradition, Avantgarde, Subversion“, die Achternbuschs „mehrdeutige Position im literarischen und filmkünstlerischen ‚Feld‘ (Bourdieu) zu bestimmen“ vermögen; zweitens „die Funktionen von Selbstreflexivität, Konzepte von Autorschaft und Werkstiftung“ sowie die werkimmanente Kritik an Kulturindustrie und Massenmedien; drittens das Spannungsgefüge von „Heimat“ und „Fremde“, „Exotik“ und „Migration“, „Kolonialismus“ und „Regionalismus“ im Werk; viertens das grundlegende Verhältnis von „Religion, Theologie und Mythologie“ im Œuvre des „Religionskomikers“; fünftens schließlich „Geschichte / Politik / Ökonomie“ in ihren Wechselbeziehungen, etwa hinsichtlich der Achternbusch’schen Kapitalismus-Kritik und der werkspezifischen Geschichts- und Erinnerungspolitik.

Den Eröffnungsvortrag hielt Josef Früchtl (Amsterdam), der auf ein älteres Programm zurückgriff, das philosophisch über Achternbusch hinauszielte. Ging es ihm doch darum, die dürftige Empirie der Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer zurückzuweisen und das Tagungsmotto als (mögliches) Gedankending der „unverschämten Person“ zu erweisen, die sich im kolloquialen „Du“ einer paradoxalen Programmatik verbirgt und zugleich manifestiert. Achternbuschs Film „Die Atlantikschwimmer“ (1976/1978) sei der Versuch gewesen, im Bereich des Fiktiven „selbstwidersprüchliche Dinge“ bzw. „Undinge“ in Szene zu setzen und sie damit gegen alle Widerstände zu realisieren: „Das letzte Bild, das wir sehen, zeigt Herberts kleinen Kopf in der grauen Wassermasse.“ Was Achternbusch hier gereizt habe, so Früchtl, sei „nicht einfach das Unmögliche“ gewesen, sondern „das Fiktive“, und zwar „als Unding noch mehr denn als Gedankending.“ Und folgerichtig fragte sich der Referent, „wie es möglich“ sei, dass ein Satz, der „den Tatbestand des Unsinns und der logisch-semantischen Paradoxie“ erfülle, in einen „allgemeinen, breit akzeptierten Sinnzusammenhang integriert“ werden konnte, so zwar, dass dieser Satz in eine repräsentative Werkpolitik der ‚alten Bundesrepubblik‘ einmündete und Adornos Wort (aus den „Minima Moralia“) einfach aushebelte, das da lautete: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.“

Mit dieser Überlegung und Frage war eine weitere Stoßrichtung des ersten internationalen Achternbusch-Symposiums an der Filmuniversität Babelsberg vorgegeben. Die Perspektive, die sich hier weiland eröffnet habe, so Früchtl weiter, sei zwar „desperat“, aber nicht „verzweifelt“ gewesen: sie sei als „Komik demokratischen Scheiterns“ fassbar.

Da es bei Achternbusch von Paradoxien nur so wimmelt, ließ sich dem paradoxalen Tagungsgegenstand gut beikommen, und ließ sich der erweiterte Horizont, der die bloß lebensweltliche Perspektive hinter sich ließ, in etwa abstecken. Der Referent konnte zeigen, wie sich damals alle Emanzipation im „Dazwischen“ vollzog. Politisch und gesellschaftskritisch gesprochen: zwischen Personen wie Konrad Adenauer und Friedrich Zimmermann, zwischen Institutionen wie der Dienststelle Blank und dem Frankfurter Institut für Sozialforschung (ideengeschichtlich zwischen der Gesellschaftstheorie Theodor W. Adornos und der Kultursoziologie Georg Simmels), zwischen Phänomenen wie der Studentenrevolte und der Friedensbewegung. Im Dazwischen reifte die konservative zu einer modernen Nachkriegsgesellschaft, in der sich ein „differenziertes Verhältnis des Neben-, Mit- und Gegeneinander von Subjektivitätsformen“ entwickeln konnte.

Zu diesem „Eigensinn“, auch das wirkt paradox, trug der Freistaat Bayern nicht wenig bei, der mittels seiner Institutionen Schule und Kirche dem angehenden Künstler und werdenden Vater Achternbusch manches zugemutet hat – sich im Gegenzuge aber auch vieles vom späteren Maler, Autor und Filmemacher gefallen lassen musste: eine verquere Komik (sogar im Angesicht des Holocaust), einen anarchischen Witz (etwa auf Kosten der CSU), einen bitteren Abgesang auf den bairischen Katholizismus und seine Würdenträger und Krasses mehr. Doch stand der Allrounder in der bewährten Tradition und Nachfolge Walter Benjamins („Immer radikal, immer konsequent“), Karl Valentins („Man soll die Dinge nicht so tragisch nehmen, wie sie sind“) und Helmut Fischers („A bissel was geht immer“), und das wappnete ihn gegen eine ganze See von Plagen.

Von nicht untypischen Begegnungen erzählte Uwe Schütte (Birmingham). 1997 war von Achternbusch im Münchener Carl Hanser Verlag „Der letzte Schliff“ erschienen, und der Herausgeber der Edition Akzente, Michael Krüger, wollte Autor und Buch bei „Ludwig Beck am Rathauseck“ vorstellen. An diesem Abend freilich kollidierten „Dichtung und Wahrheit“ in der edlen Lounge unter dem Dach des Edelkaufhauses, wo der Maler seine Bilder zeigen durfte und wohl auch sonst wohlgelitten war (sein Film „MixWix“ wurde 1989 auf dem Kaufhausdach gedreht). Achternbusch rastete aus und ließ Krüger und seine Gäste ohne Lesung stehen: Der Grantler und Tourettler hatte sich wieder einmal als unberechenbar erwiesen.

Ist die Person Achternbusch, so fragte Uwe Schütte mit Jörg Drews, als „Erkenntnisinstrument“ ihres bzw. seines Werkes brauchbar? Denn wie viele andere Autoren auch, scheint Achternbusch eine rote Linie zwischen „sich“ und „Ich“ zu ziehen und jede wissenschaftliche Beschäftigung mit seinem Werk radikal abzulehnen. Sie kommt ja auch beinahe einer Vivisektion gleich und verfehlt das „Dazwischen“, jedenfalls, wenn man – wie der Verfasser – freimütig bekennt, dass man das Werk des Künstlers, Autors und Filmemachers am „Lebensleitfaden“ des Autobiographischen lesen wolle. Es könne keinesfalls so gelesen werden, so fast einhellig die Meinung der anderen, denn Achternbusch arbeite mit Mitteln der Autofiktion und Aspekten der Differenz – und daher seien die Kriterien Lejeunes („Der autobiographische Pakt“) hier irrelevant.

Uwe Schütte jedenfalls nahm das Schreiben als den „Kern des Gesamtkunstwerkes“, um auf „intermediale Kombinationen“ von Text, Bild und Film zu schließen. Als „Gesamtkunstwerk“ stehe Achternbusch in der Tradition der „Art brut“ als der „rohen Kunst“ der Autodidakten, Laien und Primitiven. Selbst seine Wohnung in der Münchener Burgstraße, die zum repräsentativen Alten Hof führt, sei ‚primitiv‘ ausgemalt und erinnere an das Zimmer des Psychiatriepatienten und Art brut-Malers August Walla. Und so entwarf Schütte das Projekt einer Holographie, die aus der „Radikalsubjektivität“ des Künstlers heraus die „holistische Bindung“ an das mit der Person identische Werk behaupte, als „zwischen Identifikation und Eigensubjektivität oszillierende Beziehung“.

Manfred Loimeier (Heidelberg) betrachtete Ovids „Metamorphosen“ als „Wegweiser“ durch die „Wandlungen“ in Achternbuschs Werk. Denn als Achternbusch seine beiden Theaterstücke „Susn“ und „Kuschwarda City“ für die Münchener Kammerspiele überarbeitete und miteinander kombinierte, fand er auch ein Bild für diese Verschränkung zweier Texte: Von erheblicher Relevanz ist aber das Ende dieses neuen Konglomerats: Zum Finale des Theaterabends hin pflanzt nämlich Kuschwarda City eine Lärche, wobei seine Jugendliebe Susn ihn überrascht. Im Dialog bezeichnet Susn sich als Aphrodite, und Kuschwarda City entgegnet: „Wenn du der Frühling bist, Aphrodite, dann bin ich der Winter. […] Wie könnte uns beiden geholfen sein? […] Mit Schnee! Er ist mein Element und hüllt dich wärmend ein!“ Es beginnt zu schneien, und am Ende steht an einem einsamen Gehöft eine Lärche im Schnee. Vollendet ist das Philemon-und-Baucis-Bild.

Als „Verwandlung“ wird bekanntlich auch die Änderung des Bühnenbildes bezeichnet, und die Filme ebenso wie die Theaterstücke Achternbuschs stecken voller Verwandlungen in dem einen oder anderen Sinne. Im „Gespenst“ steigt Jesus als Schlange vom Kruzifix herunter und fliegt am Ende als Blindschleiche davon – im Schnabel der Oberin, die sich in einen Adler verwandelt hat. „No animals were harmed“, möchte man murmeln, wenn man der zahllosen Tiere gedenkt, die Achternbusch für seine Filme rekrutiert hat: Gekreuzigte Frösche, die wie Jesus, Dismas und Gestas am Kalvarienberg hängen; oder Entenküken, die in seinem Film „Die Föhnforscher“ ihrer Mutter entzogen werden und in einer Mütze landen. Was hat das mit Ovids „Metamorphosen“ zu tun? Achternbusch, so Loimeier, begreife die Metamorphose als Form des „Sich-weg-Fantasierens“, der Künstler versuche, „ein Ideal der klassischen Antike“ auf die Gegenwart zu übertragen: „Die Metamorphosen im Werk dienen damit natürlich keinem Selbstzweck, sondern sie sichern die Erinnerung an ein Ideal von Leben, dem im realen Alltag Erfüllung nicht gegönnt ist.“

Dem Dramatiker Achternbusch widmete sich Andreas Englhart (München) und stellte in seinem Vortrag die Frage nach dem Verhältnis von Avantgarde und dramatischer Tradition. Schnell wurde evident, wie sehr Achternbusch auch und gerade für einen Theaterwissenschaftler eine Herausforderung darstellt. Während die „Theatralität“ der Stücke selbst durchaus in Frage gestellt werden darf, lohnt ein Besuch der (nicht wenigen) grandiosen Inszenierungen, die mit ihrer herausgestellten Körper- und Sprachkomik pures Zuschauervergnügen bedeuten. Aber bedienen sich diese Stücke traditionell dramatischer Formen? Oder sollten sie besser unter „experimentelles Theater“ subsumiert werden? Unter Autorentheater, absurdem oder postdramatischem Theater firmieren? Oder sind sie ein gefundenes Fressen für ein Regietheater, das sich des Textes lediglich bedient? Achternbuschs Theaterstücke, so die These, seien zu sehr „an Ursprüngen interessiert“ und zu sehr „im Lokalen verankert“, als dass sie widerspruchslos einem auf Repräsentationskritik, Dekonstruktion und Entzug von Bedeutungszuweisung zielenden postdramatischen Theater zugerechnet werden könnten. Denn sie machten Deutungsangebote im Überschuss, ohne durch Umkehr von Bedeutungszuweisungen „im endlosen Regress der Bedeutungsauflösung“ zu landen und zu stranden. Der Ansatz Karl Valentins, wonach jede Sinnstiftung per se wieder verunsichert werde, sei in dieser Radikalität bei Achternbusch nicht zu vermuten und zu beobachten.

Willem Strank (Kiel) demonstrierte am Beispiel von „MixWix“ (1989), wie sich „Grenzerfahrungen des Kapitalismus“ auf die Schippe nehmen lassen – und zwar direkt auf dem Dach eines börsennotierten Kaufhaus-Unternehmens am Münchener Rathausmarkt, quasi im Herzen des Realkapitalismus. Der Kaufhaus-Eigner, gespielt von Sepp Bierbichler, kämpft um einen Erweiterungsbau, und Hartmut Geerken spricht im Off den Erzähler als Hintergrundstimme: „Gott [habe] Auschwitz nicht verhindert, er möge auch die Erhöhung des Kaufhauses um ein achtes Stockwerk nicht verhindern.“ Ein gelber Farbfilter liegt über dem Streifen und taucht die dargestellte Welt in das Non olet-Urin der Geldwirtschaft: die gelben Säcke mit Verpackungsmüll, das Lama-Gelb des Buddhismus, das Bier aus dem Zapfhahn. Der Film, so der Referent, drücke „eine Poetologie des Verstummens“ aus – und die Hauptfigur in Gestalt des Unternehmers MixWix entziehe sich am Ende: ein Kapitalist, der aufgibt. „MixWix geht ins Zeichennirwana, und das Nirwana ist ein Raum ohne Zeichen und damit das Gegenbild des Künstlers.“

Ivo Ritzer (Bayreuth) las einen „cinephilen Essay“ Herbert Achternbuschs als „rein deskriptive“ Würdigung Akira Kurosawas. „Das Mumienherz“, zuerst 1976 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschienen, biete keinerlei Interpretation von Kurosawas Film „Ikuru“ (1952) und habe keinen „hermeneutischen Impetus“. Zu dieser These scheint auch Achternbuschs Lektüre zu passen, ein Tagebucheintrag Oskar Schlemmers (vom 9. Februar 1943): „Zu ahnen und zu befördern / Das reinste Gefühl / Die reinste Empfindung / Den reinsten Gedanken Das reinste Herz / ebenso: Das Ureigenste…“ Rein bleibt der Reine nur im bloßen Selbstbezug, der hier reiner Fremdbezug ist: „Artikulation purer Begeisterung am Detail“ von Kurosawas Bildersprache.

Andreas Rauscher (Siegen) verfolgte ein physisches und ein metaphysisches Interesse. Auf der physischen Ebene entwarf er eine aus dem Werk erschließbare „geographische Landkarte“ um das Münchner Filmmuseum herum – quasi einen Locus amoenus (et rancidus), der eine Art Seelenlandschaft ex negativo beschrieb. Spannend hier, wie eine reale Topographie Münchens (der Hofgarten, die im Bau befindliche Staatskanzlei am vormaligen Armeemuseum, das Hofbräuhaus, recte: „Hofbrauhaus“) durch eine literarische Topologie quasi „semantisch erweitert“ wurde: durch Ovids Metamorphosen, durch eine Inversion der Orpheus-Sage, durch „Genre-Kollision“ mit Hollywood-Streifen (wie „Die Mumie“ von Karl Freund, 1932) oder Neuer Volksmusik (à la Attwenger) etcetera. Auf der metaphysischen Ebene wies Rauscher den Teilnehmern den Weg zur „Meta-Ebene“ des Œuvres – so betrachtete er „Selbstreflexivität als künstlerische Subversion“ und folgte Achternbusch auf mehreren Routen durch dessen performatives Spiel mit Situationen: „Näherte ich meine Phantasie dem Hofgarten, bog sie ab und verschwand.“ War damit eine Erkundung der Stadtlandschaft (ein „Dérive“) und ein Herleiten der Ethnographie der Orte intendiert, eine psychographische Vermessung der Stadt, oder ging es vielmehr um eine „Flucht aus dieser Wirklichkeit“, wie Manfred Loimeier meinte, eine Flucht als „Überlebensmöglichkeit“ auch?

Moira Paleari (Mailand) wandte sich nach diesen filmisch-plurimedialen Ausführungen dem „Erzählwerk zwischen Kunst- und Selbstreferenz“ zu. Ihr Interesse galt den Modalitäten der Erzähltechnik, dem Spiel des Autors mit literarischen Gattungen und dem Erzählsubjekt, das nicht „geschlossen“ sei: die Ich-Figur werde bei Achternbusch als der „leerste“ Mensch beschrieben. Die thematische Grundlage jedes Textes sei das „geschriebene Ich“, das sich „vielfältig darstelle“ und die „Selbstreflexion des Schreibprozesses“ zum Programm erhebe. Insgesamt ergebe sich ein „Konglomerat aus autobiographischen und fiktiven Elementen“, wobei die „Grundlage des Autobiographischen“ Ausflüge und „Absprünge ins Fiktive“ erlaube.

Nach ihrer Vorrednerin nutzte Sabine Kyora (Oldenburg) ihre Chance, Text-Bild-Relationen bei Achternbusch zu beobachten und zu kommentieren. Seit „Die Stunde des Todes“ (1975) begleiten Fotos die Prosatexte und Filmdrehbücher des Autors, seien es „Standbilder aus den Filmen“, ‚private‘ Schnappschüsse oder Aufnahmen eigener Gemälde und Plastiken. Während die Standfotos kommentarlos eingefügt sind, ist dies bei den ‚privaten‘ Aufnahmen anders: Der Erzähler rekurriert auf sie, kommentiert sie und ordnet sie in bestimmte Kontexte ein. Auf diese Weise „werden sie Teil seiner Geschichte“ und stellen Verbindungen her zwischen dem „sprechenden Ich“ und den Fotos. Eine Bildunterschrift lautet: „Ich stehe zwischen den Kirschbäumen meiner Kindheit und Jugend.“ Eine andere: „Das ist der Falkenstein, auf dem Ich nach der Katastrofe gelebt habe.“ Weitere Foto-Text-Korrelationen kreisen um die „Stilisierung“ der Künstler- und die „Reflexion“ der Schriftstellerexistenz: „Die Sätze entgleiten mir, die mich trugen, wie das Wasser den Frosch.“ Besonders „Wind“ (1984) kann hier überzeugen: Farbfotos von Freunden und Kindern sind in eine Dystopie eingebettet, der verlorene „Moment des Fotografierens“ wird miterzählt, eine „Reflexion über das Medium der Fotografie“ schließt sich an.

Der prominente Kartographietheoretiker Robert Stockhammer (München) untersuchte den topographisch-topologischen Heimat-Begriff bei Achternbusch, der sowohl „erschrieben“ wie „zerschrieben“ werde: „Heimat sei dir Heimat nur in der Heimat.“ Heimat werde nicht zuletzt im permanentes Ringen um Sprache deutlich („Dialekt ist meine Sprache“), denn Sprache und Raum seien eng aufeinander bezogen: daher der Umgang mit räumlich differenten Idiomen, daher die an Hugo Schuchardt erinnernde Sprachspaltung und Sprachmischung im endlosen Regress.

An dieses schlüssige Heimat-Konzept schloss sich der Vortrag von Angela Krewani (Marburg) organisch an, ging es ihr doch darum, die „Hybridisierung“ zweier Begriffe, nämlich Exotismus und Heimat, näher zu beschreiben. Achternbusch, so ihre These, arbeite als „Ethnologe seiner eigenen Kunst“ und als „filmischer Ethnologe seiner eigenen Kultur“. Dabei sei es oft zu beobachten, wie „das Fremde“ in die geordnete bairische Welt einbreche, darunter „Osiris, der altägyptische Gott der Schlafmützen“. Im gleichen Zuge werde die „ästhetische Unsicherheit des deutschen Kinos nach 1945 zur Schau gestellt“ (als Beispiele nannte die Referentin Alexander Kluge, Hans Jürgen Syberberg, Werner Herzog und Rainer Werner Faßbinder). Angela Krewani wörtlich: „Ich rede über die Sperrigkeit – warum macht der Autor es nicht besser?“ Achternbusch sei eben „auf der Suche nach einer ästhetischen deutschen Filmidentität“, und er begreife zugleich den Film als „ethnologisches Medium“. Essayfilme wie die von Peter Greenaway wären demgegenüber zu perfekt, zu poliert. Achternbusch polemisch: „Ich habe nicht nur diese völkische Einfachheit weit hinter mir gelassen, sondern auch meine Kollegen [wie Werner Herzog], denn während ich Film mache, spielen sie sich im Trab Puppentheater vor.“

Clemens Pornschlegel (München) warf die Frage nach der „politischen Theologie“ bei Achternbusch auf und nahm speziell „Das Gespenst“ (1982) in den Blick. Den Autor in die Tradition des „Hyperchristentums“ zu stellen, liege nahe: „Titel wie ‚Die Stunde des Todes‘, ‚Der junge Mönch‘ oder ‚Das Buch Arschi‘ verweisen ganz offen und ungeniert auf religiöse, christliche Kontexte – was in Bayern auch nur schwer zu vermeiden ist. Art. 131 der Bayerischen Verfassung hält fest: ‚Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen.‘“ Der Begriff „hyperchristlich“ zielt nun, in Pornschlegels Lesart (und in Anlehnung an die „atheistische“ Theologie Batailles), auf eine restlos „verallgemeinerte Inkarnation“ Gottes durch den Menschen. Der Begriff ist gut gewählt, denn Achternbusch macht von – profanierter – christlicher Mythologie freien Gebrauch. Die Frage ist nur: Weshalb tut er das? Warum ist er nicht längst fertig mit dem Christentum? Wie kommt es, dass sich die „Ablösungsbewegungen“ vom Religiösen, „hinein ins undogmatische Denken“ mit der „schönsten Regelmäßigkeit“ wiederholen: „Warum hört das nicht auf?“ Und mit Blick auf Achterbuschs Film „Das Gespenst“ lautet die Frage dann ganz einfach: Warum wird 1982 einmal mehr – „wenn doch der Osterhase längst mausetot ist“ – diese „profanierende Kontrafaktur“ der Jesus-Figur ins bewegte Bild gesetzt? Warum erst den Herbert-Zarathustra als Jesus „durch Bayern gespenstern lassen“, warum ihn nicht gleich „mit Adler und Schlange“ ins nietzscheanisch „Kommende des Übermenschen aufbrechen“ lassen? Antwort: Weil eben das Christentum in den „diversen Ablösungs- und Überwindungsbewegungen“ nicht verschwindet, weil es darin letztlich „affirmiert und aktualisiert“ wird. Sodass die Aufgabe bleibt, „die infame, theologisch unhaltbare politische Inanspruchnahme des christlichen Herrgotts“ zurückzuweisen. Christentum verschwindet weder im Atheismus noch in christlich-sozialer Staatsvergottung; ja, unsere Kultur hat keine andere ernstzunehmende mythologische Alternative. Daher muss die Inanspruchnahme Christi seitens einer „politischen Theologie“ des Parteienstaats bekämpft werden; Achternbusch ist dies mit seinem Film eindrucksvoll gelungen.

Auch Marcus Stiglegger (Berlin) wandte sich der Kontroverse um „Das Gespenst“ zu. Anders als Pornschlegel jedoch stellte er die Frage nach der Wirkungsästhetik. Wurde damals, 1982, in den Aufführungen des Filmes gelacht? Stigleggers überzeugende These: Bei Trashfilmen lacht man, bei Achternbusch nicht – das Intellektuelle stellt sich gegen das Lachen. Der Film sei „so in sich verdreht“, dass er als „verkopft-schwierig“ wahrgenommen worden sei. Die Frage drängte sich auf: Ist hier ein Amateur oder ein armer Tor am Werk? Ein Dilettant oder einer, der den „Dilettantismus als Methode“ betrieb? Immer jedenfalls drängte sich Reflexion in die Rezeption – und deshalb wurde im Kino nicht gelacht.

Judith Ellenbürger (Hamburg) entdeckte in Achternbuschs Œuvre die Haltung eines „meditierenden Weisen“; so in „Wohin?“ (1988), dann auch in „MixWix“ (1989) sowie in „Ab nach Tibet!“ (1994). Aber auch „jenseits dieser offensichtlichen Bezugnahmen“ wiesen sowohl frühere als auch spätere Filme „in ‚Metaphern der Meditation‘ Spuren der Religion“ des Buddhismus auf. Gemeinsam sei ihnen, dem (einstigen?) ‚Katholiken‘ Achternbusch ebenso wie dem Buddhismus, die „besondere Affinität“ zum Nirwana als der existenzielle[n] „Leere“, die positiv gewertet werde (siehe das weltanschaulichen „Nichts“, „Nil“, „nihil“ in dem Sammelband „Das Haus am Nil“, 1981). Das Nirwana sei als zeichenlose Welt für den Künstler, der notwendigerweise immer Zeichen setze, besonders relevant: „Das ist für mich ein schöner Gedanke, eine schöne Vorstellung. Das kann man sich gar nicht vorstellen: Da gibt’s keine Zeichen und trotzdem ist es fast existenziell.“ Als Opfer einer ruhelosen „Verstandestätigkeit“ sehnt sich der Künstler nach einer Ruhephase, auch nach einem „höheren Selbst“, das in der Lage ist, sich auf Zeit vom (diskursiven) Denken zu dispensieren. Aber kann man seine Gedanken auf „Formlosigkeit“ und „Unendlichkeit“ konzentrieren? Kann man zur „Trance im Fluiden und Formlosen“ finden? Eine Traumbildästhetik in einigen Filmen scheint dies nahezulegen, dort, wo Formen und Farben in Fluss geraten, in der Schwebe bleiben, dahintreiben: „Dadurch lösen sich feste Formen oder auch Umrisse vor dem Auge des Zuschauers auf, was wiederum eine Trance-artige Wirkung zeitigt.“ Am deutlichsten manifestiert sich diese Ästhetik in einigen „Wasser-Sequenzen“, wie sie in „Hades“, „MixWix“, „Wohin?“, „Ab nach Tibet!“ oder „Die Föhnforscher“ zu beobachten sind: „Achternbusch fängt diese transformierende Qualität des Wassers mit Vorliebe in Slow Motion ein und unterstreicht damit bildlich die fließenden Bewegungen bzw. die Veränderungen im Fluss der Zeit.“

Von dieser Sehnsucht nach Ruhe und Meditation fand Martin Schierbaum (Bremen) in einer Pendelbewegung zum Terminus der „Hinundherphantasiererei“, den er dem Prolog zu Achternbuschs Film „Heilt Hitler“ (1986) entnommen hatte. Der Prolog, der filmisch nicht realisiert wurde, stellt am Ende die Frage nach einer Heilungsoption für Hitler. Schon im ‚Dritten Reich‘ gab es bekanntlich die These einer psychischen Störung des ‚Reichskanzlers‘, die behandelt werden müsse: „Heil Hitler!“ – „Heil ihn selbst.“

Nicht weniger krank aber sei in Achternbuschs Lesart die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger und politischer Erbe des ‚Dritten Reiches‘: „Der Prolog geht von einer Kontinuität des Nationalsozialismus […] aus, das Wirtschaftswunder erscheint als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Hitler ist der Pate des Aufschwungs.“ Damit widerspricht Achternbusch einer These Richard von Weizsäckers, der in seiner berühmten Rede im Bundestag vom 8. Mai 1985 argumentiert hatte, dass wir „allen Grund“ hätten, im Kriegsende auch „das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen.“

Wann aber endete dieser „Irrweg“ wirklich, und wann endete die „Nachkriegszeit“? Endete sie überhaupt schon? Diese Fragen haben sich, neben Achternbusch, nicht wenige Schriftsteller gestellt, und viele sahen hier eher Kontinuitäten als Brüche walten. So auch Achternbusch: Die „satirische Überblendung“ vom „Stalingrad der Vergangenheit“ mit dem „München der Gegenwart“ ermöglichte es ihm, auf die Kontinuitäten und die „Verdrängung“ des Krieges zu deuten; denn selbst durch „routinierte Vergangenheits- und Gegenwartsdeutungen“ würden die „unbewältigten Probleme“ Nachkriegsdeutschlands nicht beseitigt. Der Unfähigkeit zu trauern stellt Achternbusch „die Unfähigkeit, Kunst zu würdigen“, entgegen.