Der Märchenerzähler als Netzwerker

Ulrich Kittstein stellt Wilhelm Hauffs kurzes Leben und reiches Werk vor

Von Karin S. WozonigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karin S. Wozonig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Leserinnen und Leser, die über Wilhelm Hauffs Leben noch nichts wissen, beginnt Ulrich Kittsteins Buch mit einem Spoiler, nämlich mit einem Briefzitat aus dem Jahr 1827 und gleichzeitig mit dem Blick auf das Ende. Denn 1827 ist das letzte Lebensjahr des 24-jährigen Hauff, der sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seines beruflichen Erfolgs und seines privaten Glücks befindet und im November des Jahres an einer mysteriösen Krankheit sterben wird. Und so ist gleich klar: Was in diesem schmalen Band auf 132 Seiten dargestellt wird, ist ein reiches Werk in einem kurzen Leben. Es folgt der klassische Biografie-Anfang: Geburt, Vorfahren und Familie. Der frühe Tod des Vaters zerstört die Kindheitsidylle, Wilhelm wird in der Bibliothek des Großvaters zum Vielleser. Für seine Biografie verwendet Kittstein Briefzitate und Auszüge aus den „autobiographisch gefärbten“ Phantasien im Bremer Ratskeller, aus denen hervorgeht, dass das Erzählen in den geselligen Kreisen an der Universität Tübingen geübt wurde, in denen Hauff seine ersten literarischen Versuche vortrug. Gesellschaftlichen Schliff bekam der Dichter im Haus von Ernst Eugen Freiherr von Hügel, wo er als Hauslehrer arbeitete; und dort lernte er offenbar auch, dass Networking zum literarischen Geschäft gehört. Er entwickelt „bei der Anknüpfung nützlicher Kontakte eine erstaunliche Gewandtheit“, erfahren wir.

Schon bei seinem ersten Publikationsprojekt stellt sich Hauff geschickt an und nimmt in die Anthologie Kriegs- und Volks-Lieder (1824), als Herausgeber anonym bleibend, eigene Gedichte auf. 1825 erscheint der Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 für Söhne und Töchter gebildeter Stände, der gemeinsam mit den beiden folgenden Bänden für die Jahre 1827 und 1828 den bleibenden Ruf Hauffs begründet. 1825 erscheinen aber auch die Mitteilungen aus den Memoiren des Satan und der Roman Der Mann im Mond oder der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme, der mit der Verfasserangabe „H. Clauren“, dem Pseudonym des Erfolgsautors Carl Heun, publiziert wird, womit Hauff und sein Verleger Franckh eine veritable Literaturbetriebsaffäre anstoßen. Kittstein dröselt diesen „kalkulierten Skandal“ auf, indem er knapp und übersichtlich Rezeptionsgeschichte, Textanalyse und -interpretation sowie biografische Informationen präsentiert.

Im dritten Kapitel des Buchs wird der wichtige Beitrag zur „Entwicklung des fiktionalen historischen Erzählens in Deutschland“ dargestellt, den Hauff mit seinem Roman Lichtenstein (1826) leistete. Mit dem in den 1840er Jahren von Hauff-Leser Graf Wilhelm von Württemberg errichteten Schloss Lichtenstein südlich von Reutlingen wird hier auch ein Zeugnis für die „Rückwirkung fiktionaler Literatur auf die reale Lebenswelt“ aufgeführt und auch abggebildet wie überhaupt gelegentlich eingestreutes Bildmaterial dieses Buch bereichert.

Überraschend wenig Freude machten Wilhelm Hauff offenbar seine Märchenalmanache, für die er immerhin so bekannte Figuren wie Zwerg Nase und den kleinen Muck schuf. Sie waren dem Geschichtenerzähler keine Herzensangelegenheit, nur willkommene Einnahmequelle. Die beiden erwähnten Figuren gehören zu den Märchen im engeren Sinn in Hauffs Almanachen, die, wie Kittstein in seiner systematischen Darstellung zeigt, auch Gespenster- und Abenteuergeschichten, Sagen und satirische Erzählungen enthalten. Im Detail weist der Autor nach, dass Hauffs Charaktere bürgerliche Figuren sind, motiviert nicht von der Sehnsucht nach der blauen Blume der Romantik, sondern vom Streben nach Verbesserung der Lebensumstände.

In einem weiteren Kapitel widmet sich Kittstein der Reisetätigkeit Hauffs und seiner Arbeit als Redakteur in den Jahren 1826 und 1827. Hier erfahren wir, dass sich der Besucher aus der schwäbischen Provinz in der Großstadt Paris schnell zurechtfand, dass er bei Josephe Stolberg abblitzte, der er trotz aufrechter Verlobung mit seiner Cousine (und späteren Frau) einen Heiratsantrag machte, und dass er in Berlin, Leipzig und Dresden glücklich Kontakte knüpfte, die ihm für seine literarische Karriere dienlich erschienen.

Anfang 1827 begann Hauff als Redakteur bei Cottas Morgenblatt, landete damit im Zentrum des literarischen Lebens und sah seine Chance, den geänderten Publikumsgeschmack zu bedienen. Dass Hauff sich gut auf die (Selbst-)Vermarktung verstand und tiefe Einsicht in die Umbrüche des Buchmarkts (neue Leserschichten, neue Technologien, Aufstieg der Prosa) hatte, demonstriert Kittstein überzeugend anhand Hauffs Literatursatiren und der Skizze „Die Bücher und die Lesewelt“, 1827 im Morgenblatt veröffentlicht. Kittstein stellt uns einen Akteur vor, der weiß, wem er es – neben dem eigenen Talent – verdankt, dass er vom Schreiben leben kann und der die Bemühungen, auf dem literarischen Markt Fuß zu fassen, die Anpassungen und Zugeständnisse, die damit verbunden sind, durchaus selbstkritisch sieht.

Zwei Aspekte gesellschaftspolitischer Natur, nämlich Hauffs Erzählung Jud Süß als Text der antijüdischen Stereotypenbildung und Hauffs lokal-patriotische Haltung, werden in dem Buch zwar nur angerissen, aber so mit Werkanalysen verwoben, dass eine Orientierung in der komplexen Materie möglich ist. Abgeschlossen wird der Band aus der Reihe „Meteore“ mit einer kurzen Nachbetrachtung zum Tod und zum Nachleben Hauffs, die in der Beobachtung mündet, dass Hauffs Programm, Anspruch und Unterhaltung in der Literatur zusammenzuspannen, Beachtung verdiene „angesichts des zählebigen deutschen Vorurteils, dass Unterhaltsamkeit und Verkaufserfolg mit literarischer Qualität unvereinbar“ seien.

Die übersichtliche, wenngleich auch etwas glatte Darstellung Ulrich Kittsteins ist eine Erinnerung daran, dass außer den Märchen auch noch anderes aus dem Œuvre des früh verstorbenen Überfliegers Wilhelm Hauff lesenswert ist.

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Ulrich Kittstein: Wilhelm Hauff.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2018.
135 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-13: 9783865256126

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