Wie lernen angehende Schriftstellerinnen und Schriftsteller das Handwerkzeug des Schreibens?

Die Pionierstudie von Paul Klambauer analysiert die konkrete Ausbildungspraxis von Studienanfängern im Bereich des literarischen Schreibens

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahrzehnten boomt die Zahl der universitären Schreibschulen, Studiengänge und Absolventen, die im Bereich der Literaturproduktion auf akademischem Niveau ausgebildet werden wollen. Jedoch fehlen evidente Angaben über die curriculare und methodische Ausgestaltung entsprechender Studiengänge, respektive deren Qualität und Wirksamkeit. Insofern leistet die Studie von Paul Klambauer Pionierarbeit, indem sie die konkreten Schritte in der universitären Ausbildungspraxis zum Kreativen bzw. Literarischen Schreiben im Bereich der Anfangssemester detailliert nachzeichnet und analysiert.

In seiner kompakten, rund 270 Seiten füllenden Dissertation setzt Klambauer bei einem Desiderat an, nämlich der Frage, was das „Neue Kreative Schreiben“ ausmacht: Wenngleich seit Jahrzehnten das kreative Schreiben in Schule und Hochschule in Mode ist und der Erwerb von elaborierten (Schreib-)Kompetenzen im universitären Rahmen durch Institutionen wie das Deutsche Literaturinstitut Leipzig, das Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft in Hildesheim, das Institut für Sprachkunst in Wien oder die Universität der Künste in Berlin in akkreditierten Studiengängen ermöglicht wird, stellt sich die Frage nach dem konkreten „Wie“ der Ausgestaltung entsprechender Lehr-Lern-Szenarien als Teil eines konkreten produktionsästhetischen Prozesses. Der Autor verweilt dazu nicht lange bei der Frage nach dem „Ob“, sondern konstatiert bereits einleitend zum „Wie“:

Die Debatte darüber, ob literarische Fertigkeiten erlernbar sind, wird zunehmend von der Frage verdrängt, wie diese Fähigkeiten vermittelt werden können. Da die Schreibentwicklungsforschung sich nur zögerlich mit elaborierter Schriftkompetenz im Erwachsenenalter auseinandersetzt, leisten die deutschsprachigen Schreibinstitute mit ihren Unterrichtsmethoden hierbei immer noch Pionierarbeit.

Am Beispiel eines konkreten Studiengangs, der an der Universität Hildesheim angeboten wird und an dem der Autor als Lehrender beteiligt ist, wird nachgezeichnet, wie das Ziel der Studierenden, als Schreibende den eigenen, unverwechselbaren Ton zu finden, methodisch angebahnt wird. Aus Gründen des Forschungsdesigns beschränkt sich die Analyse auf Einführungsseminare in das Elementare und Kreative Schreiben am Hildesheimer Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft. Entsprechende Seminare werden als literarische Lehrwerkstätten konzipiert, in denen

anhand von Referenztexten ästhetische Praxen studiert und in die Textproduktion der Studierenden übersetzt werden. Zu diesem Zweck formuliert die Seminarleitung Schreibaufgaben, die die Studierenden innerhalb einer Woche umsetzen. In der darauffolgenden Unterrichtseinheit besprechen die Teilnehmenden die entstandenen Texte in angeleiteten Diskussionen mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen und der Seminarleitung.

Theoretisch bildet unter anderem Roland Barthes` Konzept der écriture ein wichtiges und stimmig berücksichtigtes Paradigma, da es nach den Ausführungen der Studie darum gehe, eine „Synthese aus individuellem Stil und ästhetischem Formbewusstsein“ zu kreieren, die im Studium durch die Auseinandersetzung mit Eigen- und Fremdtexten entwickelt werde. Bei dieser Synthese spielt eine spezifische Form der (Literatur-)Kritik eine Schlüsselrolle: Quasi als „Risikokommunikation“ angelegt, werden in den studentischen Textwerkstätten literarische Produkte einer kritisch-wohlwollenden, auf Prozessorientierung angelegten Musterung und Diskussion unterzogen.

Als Basis der Arbeit fungiert das dabei entstandene Korpus von 34 studentischen Schreibaufgaben, das ein für die Schreibforschung instruktives Arsenal bildet, da es zwischen 2014 und 2016 entstandene Texte zu gleichen Schreibaufforderungen enthält, was Vergleichsanalysen begünstigt.

Inhaltlich gliedert sich die ambitionierte und in Gänze gut lesbare Studie, die dank ihrer terminologischen Prägnanz um Allgemeinverständlichkeit bemüht ist, in fünf Kapitel. Nach der konzisen Einführung in die Geschichte der Schreiblehre und die Grundlagen des Kreativen Schreibens an Hochschulen wird stringent das romantische Geniekonzept von der amerikanischen Tradition des Creative Writing, der New Rhetoric und der Narratologie abgegrenzt und sodann das Forschungsdesign der Arbeit vorgestellt. Bereits das zweite Kapitel ist der Beobachtung und Analyse studentischer Arbeiten aus dem Bereich des Elementaren Schreibens gewidmet. Dieses Kapitel stellt mit 100 Seiten den umfangreichsten Teil der Studie dar. Darin werden detailliert Textphänomene im Übergang vom „personalen Schreiben zum Schreiben mit literarischem Anspruch“ untersucht und mit einer eigens entwickelten Systematik kategorisiert, um bei Studienanfängern den Prozess der Entwicklung einer genuinen „literarischen Brille“ und einer produktionsästhetischen Schreibhaltung in Ansätzen zu erfassen. Das vom Autor zahlreich zitierte authentische Textmaterial lässt interessante Einblicke in entsprechende erste Versuche von Studierenden zu, sowohl in ihr Gelingen als auch ihr Scheitern.

Das dritte Kapitel weitet dies auf das komplexere Feld studentischer Prosaskizzen. Hier finden sich prägnante Beschreibungen und Analysen zu dramaturgischen, narratologischen und poetologischen Aspekten des Schreibens. Referenztexte aus dem literarischen Kanon dienen als Ausgangspunkt für die Entwicklung und Anwendung von Beobachtungskategorien für die studentischen Arbeiten und dokumentieren erste Schritte bei der Genese einer literarischen Schreibhaltung.

Die teilweise von Klambauer neu entwickelten Begrifflichkeiten und Thesen der bisherigen Kapitel werden im vierten Teil zum Beschreibungsinstrumentarium für eine weitere Kategorie von Studierendentexten herangezogen. In sich abgeschlossene und frei konzipierte Kurzprosaarbeiten werden dazu eigens analysiert: „Bei ihrer Betrachtung steht […] die Frage im Vordergrund, wie die Studierenden die bislang erfassten Schreibstrategien in Eigenregie anwenden, sie modifizieren, kopieren oder negieren.“

Das abschließende fünfte Kapitel fasst etwas knapp auf zehn Seiten die Ergebnisse der ambitionierten Untersuchung zusammen. Der Fokus ist zunächst auf die Bestimmung zentraler Begriffe und Positionen gerichtet, die – teilweise im Kontrast zu feinteiligen narratologischen Analysekategorien germanistischer Provenienz – praxeologisch wirkmächtige Aspekte des konkreten Schreibens repräsentieren. Mit dem Ziel, zu einer fachlich fundierten Weiterentwicklung des Kreativen Schreibens an der Hochschule zu gelangen, konturiert Klambauer dabei posthermeneutisch wesentliche Größen des literarischen Schreibens als Praxis, unter anderem etwa Darstellungsweisen wie „Echo und Detail“ im Bereich des elementaren Schreibens, aber auch komplexere Formen der ästhetischen Praxis wie „Psychogramme“ und den Einsatz einer „Reflektorfigur“ oder der sogenannten motivierten Wahrnehmung.

Resümierend betrachtet verdient die Studie von Paul Klambauer sowohl in der Schreibdidaktik als auch der Hochschuldidaktik große Aufmerksamkeit, darüber hinaus bietet sie auch Anknüpfungspunkte für schulische Überlegungen, um literarisch-gestaltendes Schreiben wieder in den Deutschunterricht zu integrieren. Gerade die Ausführungen zum sogenannten Elementaren Schreiben belegen eindrucksvoll, wie interessierte Schreibende beim Verfassen partiell angeleiteter Texte an der Sprache arbeiten, mit ihr ringen, sie umformulieren und optimieren können. Klambauers wesentliche Leistung ist es sicherlich, wieder ins Bewusstsein der Fachöffentlichkeit zu rufen, dass Sprache und Literatur vermehrt zusammen gedacht werden müssen. Geht es doch gerade in diesem Feld darum, eine Sprache für etwas zu finden, einen Gegenstand, eine Idee oder eine Beobachtung, die Partizipation an vielen anderen Dingen ermöglicht – sei es das kulturelle Leben oder sei es die produktive Gestaltung eigenen (ästhetischen) Erlebens. Insofern verwundert es nicht, dass der Autor bescheiden konstatiert, es sei ihm darum gegangen, „nur einen örtlich, zeitlich und kontextuell begrenzten Teilbereich der weitläufigen Terra incognita des Neuen Kreativen Schreibens“ zu erforschen.

Titelbild

Paul Klambauer: Schreiben lernen. Die literarische Profilbildung von Studienanfängern des Kreativen und Literarischen Schreibens an der Universität Hildesheim.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2022.
276 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783849817831

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