Ein Leben in zersprungenen Stücken
Bertrand Badiou legt ein umfassendes Text/Bild-Mosaik zu Paul Celans Leben und Schreiben vor
Von Ulrich Klappstein
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMehr als 50 Jahre ist es her, dass der Dichter Paul Celan sich in Paris das Leben nahm. Die Forschung der letzten Jahre hat sich mit vielen Aspekten der Dichtung Celans befasst, mit einem Werk, das auf Leserinnen und Leser eine ungebrochene Faszination ausübt und das zu den meist interpretierten seit 1945 zählt. Vor allem ein Thema bestimmt dieses Werk: der Verlust der Heimat Czernowitz. Das damit verbundene Gefühl einer Ruhelosigkeit schlug sich in den Gedichtsammlungen nieder, die nach vielen Lebensstationen, dem Aufenthalt in Bukarest, dem halben Jahr in Wien und der anschließenden Übersiedlung nach Paris entstanden sind.
Celans letztes Lebensjahrzehnt war geprägt von einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands, was zu zahlreichen Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken geführt hat. Auch Deutschland gehörte zum Resonanzraum seiner Dichtungen, was sich in den Konflikten mit der Gruppe 47 und der zögerlichen Aufarbeitung der Folgen des Dritten Reiches spiegelte, vor allem im Sprechen über Auschwitz.
Ein tieferes Verständnis des Werks ist bislang schon durch die Einsicht in die zahlreichen Korrespondenzen des Dichters möglich geworden – die Briefwechsel mit seiner Ehefrau Gisèle Lestrange, mit den Dichterinnen Ingeborg Bachmann und Nelly Sachs oder mit Peter Szondi, dem Berliner Literaturwissenschaftler und Verfasser berühmter Celan-Studien. Aber auch die über ihn verfassten Biografien – vor allem die seiner zeitweiligen Weggefährten Israel Chalfen und Jean Bollack – haben das Bild gerundet.
Im Berliner Suhrkamp Verlag ist nun eine großformatige Bildbiografie erschienen, die über Celan detaillierte Auskunft gibt. Auf 550 Seiten gelingt dieser Dokumentation, die aus vielen privaten Archiven schöpfen kann, ein annähernd komplettes Bild seines Lebens. Aus den noch immer unveröffentlichten Tagebüchern Celans wird zum ersten Mal umfänglich zitiert, und ein Essay des Berliner Wissenschaftlers Michael Kardamitsis über Celans schwieriges Verhältnis zum Autorenporträt beschließt den Band.
Das zusammengetragene Bildmaterial illustriert Celans nicht immer einfaches Verhältnis zu fotografischen Darstellungen seiner Person und seines Wirkens – der Autor ließ sich nur ungern fotografieren oder mit seinem Abbild konfrontieren, wie Bertrand Badiou in seinem Geleitwort zum Ausdruck bringt. Badiou muss es wissen, denn er ist nicht nur Leiter der Pariser Paul-Celan-Arbeitsstelle, sondern betreut auch gemeinsam mit Eric Celan, dem Sohn des Dichters, dessen Nachlass und hat Werke und Briefe des Autors in Deutschland und Frankreich herausgegeben.
In den Textteil des Bildbands sind zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen eingeflossen, so auch mit Gisèle Celan-Lestrange und dem Sohn Eric, die dem Werk einen durchaus essayistischen Charakter verleihen. Ansonsten ist der Band wie ein Bild-Text-Puzzle gestaltet. Neben zahlreichen Fotografien gibt es Reproduktionen von Zeitungsseiten, die Celans Werk und seine Person zeitgeschichtlich begleitet haben, Abbildungen von Kunstwerken (darunter viele seiner Ehefrau Gisèle) und von von Briefen Celans an Freunde und seine Familie. Die Fotos der Umschläge seiner Gedichtbände, die Faksimiles seiner Widmungen und Auszüge seiner frühen Werke und Tagebuchblätter, aber auch seiner Handexemplare und anderer persönlicher Dokumente werden den Texten zur Seite gestellt. Die Dokumentation des Urheberrechtsstreits mit Claire Goll und Zeugnisse aus seinem Familienleben und von seinen zahlreichen Affären mit anderen Frauen werden kommentiert und erläutert.
Die biografischen Abschnitte sind den vier unterschiedlich langen Perioden in Celans Leben zugeordnet: Czernowitz vom Herbst 1920 bis zum Frühjahr 1945, dann die zwei Jahre von 1945 bis 1957 in Bukarest, der ‚kurze‘ Aufenthalt in Wien, der vom Dezember 1947 bis zum Juni 1948 dauerte und dann die Zeit in Paris, vom Umzug bis zum Freitod am 20. April 1970. Die einzelnen Abschnitte umfassen im Schnitt 20 bis 30 Seiten, die langen Pariser Jahre werden in 16 Abschnitte unterteilt und machen den größten Teil der Biografie aus.
Besonders hier weisen die titelgebenden Überschriften auf die Vorgehensweise des Herausgebers hin, das Ineinander von Leben und Schreiben aufzuzeigen: „Aufhellung nach schwierigen Stunden“, „Schwefliges wie Unterschwelliges“ und „Apologien der Dichtung“. Dann aber folgen vier Abteilungen, die mit dem Wort „Wahnabfall“ kombiniert werden und ein schwieriges Dichterleben über acht Jahre bis zum endgültigen Ende nachzeichnen. So folgt der Band Celans Schreibprozessen in Form einer zersprungenen Biografie, besser: einer „Biografie in Stücken“ der ganz unterschiedlich geprägten Lebensphasen, wie es im Geleitwort heißt. Die Vielfalt der gebotenen Materialien erlaubt differenzierte Einblicke in das literarische Schaffen des Autors und regt zum begleitenden (Wieder-)Lesen der Dichtungen Celans an.
Sie mögen aber auch, wie es Badiou formuliert hat,
durchaus Anlass zu Reflexionen geben, die von jenen Bedeutungen, die Celan ihnen beigelegt hat, abweichen. In diesem Sinne können (und sollen) Celans Überlegungen den Leser und Betrachter dieser Bildbiographie zwar zum Nachdenken über das Verhältnis zwischen Wort und Sache anregen, niemals aber als Anleitung verstanden werden, die keinen Raum ließe für Vorstellungen neben den seinen.
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