Sibylla Schwarz: Dichten über Gattungsgrenzen hinweg

Der zweite Band der Kritischen Werkausgabe ist im Verlag Reinecke & Voß erschienen

Von Ulrich KlappsteinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Klappstein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter dem Titel „Frauenlob und Wissenschaft“ wurde schon der 1. Band der Kritischen Ausgabe der Werke, Briefe und Dokumente der Barockdichterin Sibylla Schwarz rezensiert. Nun ist der abschließende Band erschienen. Die bewährte bibliophile Gestaltung der Hardcover-Ausgabe wurde beibehalten, so dass sich diese Edition – wie schon früher beschrieben – auch in diesem Punkt von den anderen Textausgaben unterscheidet.

Der 2. Band der Werkausgabe bietet alle erreichbaren Texte der Dichterin sowie alle „Paratexte“also auch die „Widmungs- und Ehrengedichte“ anderer Autoren, die nach der ersten gedruckten Ausgabe von 1650 erschienen sind. Die Ausgabe wird ergänzt um Zeugnisse zu Leben und Werk der Dichterin, z. B. ihren Eintrag in das Stammbuch ihres Lehrers Samuel Gerlach – übrigens das einzige erhaltene Autograph der Dichterin. Weiterhin die aus dem Lateinischen übersetzte Rede des Rektors der Universität Greifswald, Balthasar Rhaw, die anlässlich der Trauerfeier zum Gedenken an die „hervorragende, hochbegabte und keusche junge Frau“ gehalten wurde sowie ergänzend weitere zeitgenössische Würdigungen.

Das erläuternde Nachwort, das über 80 Seiten umfasst, klärt umfassend über Anlage und Absicht der Ausgabe auf. Dem Herausgeber Michael Gratz ging es darum, keinen Nachdruck der Originalausgabe zu liefern, sondern eine kritische, in allen Teilen buchstaben- und satzzeichengetreue, aber nicht (leer-)zeichengetreue Ausgabe des „Werks“, anstelle eines Reprints, der bereits seit 1980 als Faksimile vorliegt. Der Herausgeber hat sich für eine Anordnung der Texte entschieden, die das Werk der Dichterin in angemessener Form präsentiert. In der Originalausgabe von 1650 fehlte ein solches Ordnungsprinzip, denn die Autorin hatte keinen Einfluss auf die Edition ihrer Texte mehr nehmen können, von denen nur wenige eine eindeutige Datierung gestatten; auch sind alle zeitgenössischen Vorlagen verloren gegangen, die etwa eine chronologische Anordnung möglich gemacht hätten. Übrig blieb eine „pragmatische“ Herausgeberentscheidung: Ausgangspunkt war die Platzierung der Sonette, also der bis heute am häufigsten in Anthologien und Periodika nachgedruckten Gedichte von Sibylla Schwarz. Wenn Texte der Dichterin heute außerhalb der Fachwelt rezipiert werden, dann vor allem diese Textgattung, so Gratz. In der Erstausgabe waren diese Sonette schwer zu finden, im ersten von Gerlach herausgegebenen Band war unter den 32 Gedichten kein einziges Sonett.

Konsequent folgen in Gratz’ Neuausgabe die Texte einer Zweiteilung gemäß den Gattungsbezeichnungen, die die Dichterin selbst verwendet hatte, und zwar als „Termini“ in der Opitz’schen Tradition. Abgedruckt wurden also zuerst die „Lyrischen Stücke“, dann die „Heroischen Stücke“ und schließlich alle Formen außerhalb dieser Zweiteilung, also die Sonette, die Kirchenlieder, die Fretowdichtung, die Epigramme und Kurzgedichte, eine pindarische Ode, die „Bindel“- oder „Anbindbriefe“, die erzählenden Texte und das einzige Drama SusannaEine Anordnung, die nach Auffassung des Herausgebers den eigenständigen Kunstcharakter der Einzeltexte am besten wahrt. Durch ein ausführliches Register im Anhang wird für fachkundige Leserinnen und Leser die „Rekonstruktion“ des Originals gleichwohl ermöglicht – Vorlage war das Greifswalder Exemplar der Ernst-Moritz-Arndt-Universiätsbibliothek, das beide Werkteile in zusammengebundener Form beinhaltet. Dessen Datierung, Schriftbild, Seitennummerierung einschließlich der Ausstattung samt Benutzungsspuren werden im Nachwort ausführlich beschrieben, ebenso wird eine kursorische Beschreibung anderer erhaltener Exemplare (Wolfenbüttel, Berlin, Kopenhagen) geleistet. Es folgen Ausführungen zur Schreibung von Substantiven und Namen, was auch deshalb wichtig ist, weil zumindest der erste Teil der Gerlach’schen Ausgabe nicht unbearbeitet publiziert wurde, sondern wahrscheinlich vom Setzer eigenmächtig „berichtigt“ worden war. Erhellend sind auch die Erläuterungen des Herausgebers zur Strophenform des 17. Jahrhunderts, soweit sie die „Poetizität“ von Sibylla Schwartz’ Dichtung tangieren.

Sibylla Schwarz war eine erstaunlich gut vernetzte Schriftstellerin. Ihre Verbindungen reichten weit über die Familie, die Freundes- oder Kirchenkreise hinaus, da sie vielfältige Kontakte mit zeitgenössischen Dichtern ihrer Generation und mit Mitgliedern der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ und des „Pegnesischen Blumenordens“ pflegte.

Den Abschluss dieser verdienstvollen Publikation bilden mehrere Register und Verzeichnisse, die besonders für Forschungszwecke notwendig erscheinen, einschließlich der Dokumentation sämtlicher erreichbarer, aktuell vom Herausgeber noch einmal abgefragter Internetquellen. Ergänzend werden auch sämtliche Errata zu den verschiedenen Ausgaben von Band 1 aufgeführt. Beide Ausgaben, also sowohl die Hard- wie auch die Softcover-Ausgabe, sind text- aber nicht seitenidentisch.

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Sibylla Schwarz: Werke, Briefe, Dokumente. Kritische Ausgabe Band 2 (1621-1638).
Verlag Reinecke & Voß, Leipzig 2022.
308 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783942901451

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