Die chinesische Gefahr

Warum man sich Informationen lieber bei Le Monde Diplomatique holt als bei Österreichs neuer Außenministerin Karin Kneissl

Von Astrid LipinskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Astrid Lipinsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das deutschsprachige Chinabild ist das einer „gelben Gefahr“– aber neu ist das nicht. Schon 2012 (2011 im englischsprachigen Original Red Alert) hat Gregory Dorsey in seinem Buch mit dem gleichnamigen Titel im Untertitel davor gewarnt, „wie Chinas Gier nach Rohstoffen unseren Lebensstil gefährdet“. Karin Kneissls Buch Wachablöse: Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung kopiert sogar Dorseys Cover mit einem riesigen Drachen auf rotem (rotes China) Hintergrund.  Das von Hansen und Le Monde diplomatique  herausgegebene Buch Chinas Aufstieg. Mit Kapital, Kontrolle und Konfuzius hat stattdessen – ein weiteres Klischee, aber aus der entgegengesetzten Ecke der sozialistischen Masse – die Vielzahl  zur Faust geballter gelber Hände.

Beide besprochenen Werke unterscheiden sich nicht im Titel, der in beiden Fällen tendenziös ist – oder, modern ausgedrückt, „catchy“, sprich: verkaufsfördernd. Auch die Kürze von gut 100 Seiten motiviert den eiligen Leser bei Kneissl zum Kauf. Chinas Aufstieg. Mit Kapital, Kontrolle und Konfuzius ist mit 112 Seiten im  Umfang ähnlich – weil allerdings Le Monde diplomatic A4-Format hat, ist das Buch letztlich doppelt so lang, wobei aber hier großformatige Bilder und Grafiken den eigentlichen Text auflockern und kürzen.

Kneissls Werk hat zwar Buchform, ist aber nicht nur wegen seiner Kürze und einer Minimalzahl von „Belegen“ vorwiegend aus dem Internet, sondern auch wegen des Vorwortes eher eine journalistische Kampfschrift. Das Vorwort ist von Werner Reichel, einem Journalisten, der für anti-sozialdemokratische Zeitschriften wie „eigentümlich frei“ schreibt, wo vor allem FDP und AfD ausführliche Berichterstattung finden. Karin Kneissl, von der rechten FP als Außenministerin Österreichs nominiert, passt insofern zum Verlag Frank&Frei, den Reichel vertritt, und wo sich neben der „Chinesischen Gefahr“ Bücher gegen den „Genderismus“, gegen islamistische Überfremdung oder gegen die SPÖ finden.

Werner Reichel setzt mit seinem knapp dreiseitigen Vorwort den Tonfall des Buches, der sich als Ansammlung von mit ungenauen Attributen wie „oftmals“ oder „weitgehend“ vorgeblich bewiesenen Behauptungen zusammenfassen lässt. Sie werden mit positiven Attributen für alles Chinesische („zukunftsfähig“) sowie mit Abstrichen Russische (Lob für Vladimir Putin) und negativen für den Rest der Welt (EU, USA und Österreich) unterfüttert. Damit  erreicht das Buch die „richtige Beurteilung“ der historischen und politischen Entwicklungen.

Um zur „richtigen Beurteilung“ zu kommen, endet Wachablöse in „Empfehlungen“ für österreichische und europäische Politik. Deren Ausrichtung ist klar: Das Buch beginnt mit einem Zitat des chinesischen Staats- und Parteipräsidenten Xi Jinping und endet mit einem Zitat eines seiner Vorgänger im chinesischen Regierungsapparat, Zhou Enlai. Allein die  Umschrift von Zhou (hanyu pinyin wie in China ausschließlich korrekt) als „Chou“ (die unter anderem in Taiwan verwendete und klassisch sinologische Wade-Giles Umschrift) zeigt das geringe China-Fachwissen Kneissls. Die Autorin ist Arabistin und spricht Arabisch. Chinesisch dagegen spricht sie nicht und durch besondere China-Expertise hat sie sich bisher nicht ausgezeichnet. Deshalb ist das Buch auch keines über China, sondern über die unzureichende Wahrnehmung Chinas von außerhalb. Etwas über China erfährt der Leser im letzten Kapitel, das gleichzeitig alle vorher geweckten Erwartungen an der chinesischen Realität von rapider Alterung und extremem Männerüberhang der Bevölkerung zerplatzen lässt.

Das Buch ist nicht zu empfehlen. Denjenigen, die es trotzdem lesen möchten – und viele werden das tun, schließlich ist die Verfasserin eine prominente Politikerin – wird auf jeden Fall geraten, von hinten mit „Vom chinesischen Paradoxon und dem Risiko des Zerfalls“, dem letzten von 18 Kapiteln, zu beginnen. Im Rest des Buches erhält China eine Reihe von ausschließlich positiven und bewundernden Attributen: made in China, chinesische Wissenschaftsmacht, Experimentierfreudigkeit und unternehmerischer Gründergeist (im Gegensatz zum regulierten Europa), die (chinesische) Neuerfindung der Finanzindustrie,  Regionalhegemon China, chinesische Balance, Bewahrung und Neuordnung, Chinas überlegene Zivilisation und Xi Jinping als Wegbereiter (der Zukunft). Die China-Bewunderung mündet, wie ersichtlich, im Personenkult.

Seit 2012 hat sich China unter Xi Jinping sehr verändert, zuletzt unter der gesetzlichen Einschränkung  der Tätigkeit von ausländischen Nichtregierungsorganisationen in China, die am 1. Januar 2017 in Kraft trat. In Kneissls geopolitischem Szenario haben sie – die NGO – allerdings ohnehin keinen Platz, ihre zu vermeidende Rolle ist „fragwürdig“ und „emotional“, und dazu zählt sie „Studentenrevolten“ – dass  China die letzte auf dem Tian‘anmen-Platz am 4.6.1989 gewaltsam zum Verstummen gebracht hat, wird nicht erwähnt. Dafür thematisieren von den übrigen Kapiteln drei die von Kneissl hochgelobte chinesisch-russische Allianz.

Einen kritischeren Blick auf Chinas tatsächliche Intentionen und negative Folgen für Russland wirft Wladislaw Inosemzew von einem Moskauer Forschungszentrum im China-Heft von Le Monde Diplomatique mit dem Titel Chinas Aufstieg. Wer sich unter Einbeziehung der sinologischen Expertise, aber doch so kurz und bündig wie aktuell und vielstimmig über China informieren will, der greife zu Chinas Aufstieg. Mit Kapital, Kontrolle und Konfuzius, dem Heft von Le Monde Diplomatique, das Beiträge von 28 Autorinnen und Autoren aus allen Ländern der Welt, universitärer Chinawissenschaftler, Vertreter von China-Thinktanks und Journalisten versammelt. Artikel werden aus dem Englischen, Französischen, Italienischen oder Russischen übersetzt. Vor allem die französische Chinaforschung wird umfasssend vorgestellt.

Das Editorial von Sven Hansen zeigt, dass Chinas Aufstieg so wie Kneissls Buch von chinesischer Dominanz ausgeht, aber innerchinesische Folgen werden neben die globalen Auswirkungen gestellt und in den historischen Kontext seit dem 7. Jahrhundert vor Christus gerückt. In der Langzeit-Perspektive, wie sie auch China bevorzugt verwendet, werden Öffnung, aber auch Abschottung nachgezeichnet und, ganz im Sinne Kneissls, auch Eroberung und Beeinflussung. Die geopolitische Verortung von Chinas aktueller Politik gibt in Chinas Aufstieg den asiatischen Gegenübern Indien und Japan gleichberechtigt Raum und ist deshalb in der Gesamtschau weniger westlich- oder eurozentristisch.

Chinas Aufstieg versammelt seit 2013 bereits anderswo erschienene Artikel, die sich, ergänzt mit aktuellen Zahlen und Grafiken, nach wie vor als korrekte Schlussfolgerungen erweisen. Die Auswahl der Artikel erweist sich im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen – Einflussnahme Chinas auf westliche Medien und Regierungen; Verschärfung der Lage der Uighuren in der chinesischen Provinz Xinjiang – als hellsichtig. Der Titel des Heftes, Chinas Aufstieg, wird einerseits anhand der chinesischen Präsenz in allen Ecken der Welt objektiv nachgezeichnet, aber andererseits wird auch analysiert, wie sich nicht die Zielländer, sondern China selbst den „Aufstieg“ vorstellt und umsetzt. Die Lektüre ist empfehlenswert! Man kann auch in Teilen lesen, was gerade interessiert.

Titelbild

Karin Kneissl: Wachablöse. Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung.
Frank & Frei, Wien 2017.
112 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783950434842

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Sven Hansen / Le Monde diplomatique (Hg.): Chinas Aufstieg. Mit Kapital, Kontrolle und und Konfuzius.
taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin 2018.
112 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-13: 9783937683690

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