Der unwürdige Brecht-Forscher

Jan Knopfs Erkundungen zu Bertolt Brechts Erfolgsprojekt „Dreigroschenoper“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Jan Knopf ein streitbarer Geselle ist, haben alle jene zu spüren bekommen, die sich gegen seine Neubegründung der Bertolt-Brecht-Forschung gewandt haben, die er mit der Fertigstellung der Großen Berlin-Brandenburger Brecht-Ausgabe als zwingend geboten sah und sieht. Nun kann der Literaturwissenschaft ein wenig Streit ganz gut tun, nicht zuletzt damit sie aus ihrer bequemen Nische, in der sie sich zum Zwecke ästhetischer Wahrnehmung zurückgezogen hat, schnell wieder vertrieben wird. Allerdings wird der Verdacht nicht zu entkräften sein, dass sich der Streit um Petitessen entzündet – und eben nicht um die Rettung der Welt, die proletarische Weltrevolution oder was auch immer in den glorreichen 1970er Jahren auf der Agenda stand.

Im Falle Knopfs wird freilich immerhin das Bild verhandelt, das man von einem der wichtigsten und einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts zeichnet. Zwar ist auch an Brecht die Zeit nicht vorübergegangen. Obwohl Knopf nicht müde wird, den anhaltenden Erfolg der Marke Brecht und vor allem der Dreigroschenoper immer wieder zu betonen, ist selbst bei Brecht zu bemerken, dass das eine oder andere von dem, was er literarisch getrieben hat, ein wenig verstaubt wirkt.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb Knopf seine kleine Sammlung von Studien um die Dreigroschenoper  mit einer kleinen, politisch und genderinkorrekten Einleitung eröffnet, nämlich mit einem Prolog über Pollys Hintern, der, wenn man Knopf folgen will, den Dreigroschen-Stoff fundiert. Und in der Tat, wenn man denn genau hinblickt, dann steckt die Handlung des vom jungen wilden Brecht mithilfe seines Partners Kurt Weill höchst erfolgreich inszenierten Singspiels um den Wechsel des Kriminellen Mackie Messer ins Bankfach voller sexualisierter Provokationen – „das Schwein“, um einen der Songs der Oper zu zitieren. Das Stück steckt voller Objektivierung und Instrumentalisierungen, nicht zuletzt etwa der jungen Polly, die zu den wichtigsten Investitionsgütern ihres Vaters Jonathan Peachum gehört. Einen solchen Hintern verschleudert man nicht, wie er seiner Frau vorwirft.

Aber, und da ist Knopf sicher zu folgen, das Stück macht ja gerade dies zum Thema, sehr lustvoll und hinterhältig, aber eben doch offen genug und als vergnüglich-sinnliche Frühfassung dessen, was man episches Theater nennen würde. Im Vergleich zu vielem, was Brecht eben später an Theater und was ihn groß gemacht hat, ist die Dreigroschenoper sicherlich unpolitischer und ineffektiver, aber eben doch allemal zu bevorzugen. Man sehe mir das nach.

Auch wenn es unstrittig ist, dass die politischen Absichten des Autorenpaars Brecht/Weill grandios verfehlt wurden, weil das Publikum sich im falschen Leben so richtig sauwohl fühlte. Es gibt gute Gründe dafür, warum gerade der Kanonensong der Eisbrecher für den Publikumserfolg gewesen ist. Brechts Größe bestand sicherlich darin, zwar den politischen Misserfolg vermerkt, das fröhliche Einverständnis der Massen mit ihrer eigenen Verblendung aber nicht unterbunden zu haben. Immerhin hat Brecht Aufführungen der Maßnahme verboten und nicht die der Dreigroschenoper.

Das betrifft auch den Film, den Brecht, wie er betont hat, durch seine Urheberrechtsklage zum Gegenstand eines Experiments habe machen wollen. Dass er insgeheim das Ziel seiner Klage, der sich auch Weill angeschlossen hat, in der Aufmerksamkeit gesehen hat, die er damit generieren konnte, scheint plausibel. Die Behauptung, dass der Urheber dieses künstlerischen Werkes von der Filmindustrie enteignet werde – die Brecht auch für nicht geleistete Dienste bezahlte – erscheint ein wenig abgehoben. Im System Brecht aber widersprechen sich antikapitalistische Haltung, persönliches Gewinnstreben und Kreativität überhaupt nicht. Knopf weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Regisseur des Films, G. W Papst, eben nicht nur zahlreiche Schauspieler aus dem Umkreis Brechts und Weills engagierte, sondern auch die grundlegenden Ideen Brechts übernahm, also genau das tat, was die Filmfirma angeblich verweigert habe. Unter den Mitspielerinnen und Mitspielern waren neben anderen Ernst Busch als Bänkelsänger und Lotte Lenya, die damalige Frau Weills: Lenya spielte im Film die Hure Jenny, eine Rolle, die sie berühmt machte, spätestens seitdem sie – im Film – von Polly die Ballade der Seeräuber-Jenny übernommen hatte.

Allerdings scheint es, als ob Knopf die Rolle Brechts auf Kosten Weills auszubauen versucht: Immerhin für zwei der Songs weist er Brecht als Komponisten der Musik aus und nicht Weill. Brecht ist für Knopf offensichtlich der aktivere Teil.

Dass Knopf für seine Ausarbeitung des Dreigroschen-Stoffs bis weit in die frühen 1920er Jahre vorstößt, hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass er die Konsequenz, mit der Brecht an der Ausformulierung seiner Marke arbeitete, hervorheben will. Die Bedeutung von Mann ist Mann (1925ff) ist dabei nicht zu vernachlässigen, dennoch ist Knopf weit entfernt von einer stringenten Abhandlung und Argumentation. Es geht ihm anscheinend vor allem darum, die Weitläufigkeit von Brechts Ansatz zu präsentieren, bis hin zu der antikapitalistischen Stoßrichtung, die dieser dem Stoff dann im Dreigroschenroman von 1934 gab.

Nun ist es wohlfeil, gegen die angebliche oder tatsächliche Systemnotwendigkeit von Banken zu wettern, wie Knopf in den Teilen des Bandes, in denen er sich um die Aktualisierung Brechts bemüht, wenn deren Tätigkeit – der Nachvollziehbarkeit halber – lediglich als kriminell vorstellbar ist. Die Bankenkrise, die durch nicht bedienbare Immobilienkredite in den USA angestoßen wurde, geht sicherlich auf die Betriebsblindheit, Zahlenfixierung und vielleicht auch Geldgier von Bankmanagern zurück. Aber Knopfs Aktualisierungsversuche, die den Dreigroschen-Stoff mal eben so mit den ökonomischen Krisen und Manager-Gehaltsdiskussionen der letzten Jahre kurzschließt, sind nicht belastbar. Schimpfen aufs System hilft nicht, wenn das System offensichtlich unzulässig als kriminell banalisiert wird. So einfach ist es eben nicht, ins Bankfach zu wechseln, und ebenso wenig für eine Bank, kriminell zu sein. Und so einfach ist dem Kapitalismus in seiner gängigen Form nicht beizukommen.

Titelbild

Jan Knopf: Bertolt Brechts Erfolgsmarke. Dreigroschen für Fressen & Moral.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017.
128 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783476045706

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