Aquatische Befreiung

Christian Kortmanns Einhandsegler will nicht zurück

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da segelt einer allein unablässig gen West. Die Routine der Segelmanöver, der Wetterbeobachtung und der Kontrollgänge, polyphasischer Schlaf, Essenmachen und Hygiene, die grandiose Natur und die Weite des Meers füllen die Buchseiten: das Schiff, sein Skipper und der Ozean als Protagonisten. Ein Seglerbuch also? Sicher, der Roman geht auf große Fahrt, frönt dem Segeln und kartiert die Wasser der Südhalbkugel. Aber vor dieser Kulisse agiert ein Solist, der die Reise seines Lebens unternimmt und seinen Kompass neu ausrichtet.

Fünf Logbucheinträge registrieren die Alltagsgeschäfte an Bord, die Schiffsbewegung durch Raum und Zeit und die Gedankenspiele des Seglers. Dessen ursprünglicher Plan: Mit seiner auf den Namen ‚Kate Moss‘ getauften Yacht „von Hamburg nach Hamburg. Allein nonstop um die Welt, Kurs Südsüdwest – an den drei großen Kaps vorbei: Kap Hoorn, Kap Leeuwin, Kap der Guten Hoffnung.“ Der gesamte Törn gegen den Wind, was dem Segler, der „immer schon zum Kreuzen“ neigte, ganz recht ist. Am 100. Tag der Reise setzt das Tagebuch ein, Kap Hoorn voraus, ozeanischer Rock ’n’ Roll. Für den Segler kein Grund zur Unruhe, denn in seiner Yacht fühlt er sich geborgen, ‚Kate‘ ist ihm die „schwimmende Junggesellenhöhle“. Diesem Mann, geschätzt Mitte 40, ist der „Kontinent zu klein“ und das „Landrattenleben kein Leben“. Er singt das Hohelied auf die Einhandsegler, diesen „Orden der Individualisten“, diese „Rastlosgeister“, die die „Gefahr, an Land zu bleiben, höher einschätzen als Schiffbruch vor Kap Hoorn“, die die Angst, „als der falsche Mensch zu leben und zu sterben“, umtreibt und die alles auf sich und ihr Schiff setzen. Wem diese Bipolarisierung – hier das Meer, die Einsamkeit und das Abenteuer, dort das Land, die Gemeinschaft und das Leben nach Plan – abgedroschen klingt, gedulde sich bitte.

Der Segler kennt sich mit seiner Yacht so gut wie mit den Annehmlichkeiten des modernen Lebens an Land aus. Intensives Training befähigt ihn zur Meerfahrt, während die jahrelange Anstellung in einem Unternehmen sie ermöglicht hat und den Vergleich beider Lebensformen provoziert: derjenigen allein auf See und derjenigen an Land. Dandyhafte Züge trägt der Segler, für den Eggs Benedict, Crémant und Friedrich Guldas Mozart-Sonaten an Bord selbstverständlich sind; Seemann ist er aber auch, und zwar durch und durch, jeder Griff sitzt, auch wenn es noch so stürmt. Der Segler ist ein Stereo-Typ (ein Mann allein auf See, sein Schiff ein Jungentraum vom Modell Kate Moss), aber viel mehr noch ein selbstkritisches Individuum, dem bewusst wird, dass ihn „die Jahre verändert haben“, der weiß, „dass das, was ich mir früher für später vorgenommen habe, nicht eingetreten ist.“ Deshalb jetzt die Reise, dieses offene Abenteuer.

Als Fahrt mit Rückkehr geplant, verändert die Weltumrundung den Mann, dass er am Ende entscheidet: „Ich mache kein Nord in Richtung Elbe. Ich mache West und segele weiter um die Welt.“ Was wie das nächste Klischee anmutet – der Solist segelt der Sesshaft(igkeit) davon in die ewige Bewegung unter weitem Himmel im Offenen –, wird in existentialistischen Gedankenläufen nachvollziehbar, die den Sinneswandel des Mannes widerspiegeln. In einer Mehrstimmigkeit von Selbst- und Zwiegesprächen, Träumen, Visionen und tatsächlichen Dialogen mit ‚Kate‘, dem Großvater und bekannten Einhandseglern, mit einer Sirene, Meeressäugern und polynesischen Bootsfahrern, mit einer alten Freundin und einer morsetastennahen Unbekannten auf einem Kreuzfahrtschiff reift die Einsicht, dass „Freiheit ein Lehrberuf ist. Im Takt der Trommel marschieren müssen wir und salutieren, wenn das Schiffshorn des Dickschiffs erklingt.“ Dagegen sei die Yacht, diese Chiffre für persönliche Unabhängigkeit, die das Alleinsein einschließt.

Das Buch erleidet keinen Schiffbruch, weil es mit den Selbstzeugnissen von Weltumseglern, Globetrottern und Aussteigern herzlich wenig gemein hat. Kortmann gelingt mit dem Selbstachtsamkeitsthema (Solist nonstop um die Welt und weiter) und dem plakativen Titel Einhandsegeln Alleinstellung. Literarisch anspruchsvoll lotet er ein Ich aus unserer Mitte aus, mit Segelei und ozeanischer Weite als meisterhafter ‚Kulisse‘, einer funktionierenden Schiffs-Metaphorik (das Dickschiff als Sinnbild für die Zwänge des Mannschaftsbetriebs in der Gemeinschaft) und originellen Räsonnements des Seglers. Der Spracheinsatz und die Syntax sind klar mit Tendenz zu Lakonie und Sprachspiel, während die Beschreibungen des seglerischen Tuns und der Außenwelt gekonnt mit der Selbstbefragung und Positionierung parallel geführt werden. Die Geschichte mag autofiktional angetrieben sein, denn einiges lässt die Nähe zwischen Kortmanns beruflichem Hintergrund (Journalismus, kreatives Texten) und der des Seglers vermuten, dem ehemaligen Büroarbeiter und „überlebendem Textbrüchigen“, dem die Wörter der „letzte Rest von Rückenwind“ sind.

Das Buch ist ein Nebelhorn: Bevor es zu spät ist und einen die „festländische Überfülle“ der Regulierungen ganz auf Grund setzt, den Anker lichten und lossegeln. Natürlich muss man sich diesen Schritt auch leisten können. Das ist dann Teil des individuellen Vermögens und der Entschlusskraft, dem Dickschiffbetrieb zu entkommen. Aquatische oder terrestrische Freiheit, ganz gleich, welche Distanzierung vom ‚Betriebssystem des Wachstum‘ man wählt, ist immer radikal, aber wo kein Risiko, auch keine echte Veränderung. Kortmanns Solist erscheint in der letzten Szene wie ein Odysseus unbound, dem „die Meerjungfrauen, die Musen und die Seelen der toten Einhandsegler“ zurufen. Es ist zu hoffen, dass er – „so sehr mit sich allein und doch nie mehr einsam“ – auf Kurs bleibt.

Titelbild

Christian Kortmann: Einhandsegeln.
Dörlemann Verlag, Zürich 2021.
160 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783038200970

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