Nie gehört
Eine Erinnerung an Joseph Marius von Babo
Von Klaus Hübner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMan kann auch in Bayern ein ganzes Literaturstudium absolvieren, ohne jemals mit Joseph Marius (von) Babo (1756–1822) in Berührung zu geraten. Dabei kommt dem in Ehrenbreitstein bei Koblenz geborenen Verfasser von zwei Dutzend recht anspruchsvollen Lust- und Trauerspielen für die Aufführungs- und Theaterpraxis der Goethezeit „eine ähnliche Bedeutung zu wie Schröder in Hamburg, Iffland in Berlin oder dem an unterschiedlichen Orten wirkenden Kotzebue“, schreiben die Herausgeber eines interessanten Kompendiums, das aus einer anlässlich des 200. Todestags des Dramatikers in Mannheim abgehaltenen Tagung hervorgegangen ist. In Mannheim war Babo seit 1774 an der Gründung des Nationaltheaters beteiligt, auf dem Friedrich Schiller mit den Räubern bald seinen Durchbruch als Dramatiker erleben sollte. Da war Babo bereits dem Kurfürsten nach München gefolgt – das dortige Theater wurde seine neue Wirkungsstätte, und von 1799 bis 1810 hatte er sogar dessen Leitung inne.
Vielleicht um die Aufmerksamkeit des Kurfürsten auf die Schaubühne zu lenken, gibt er 1782/83 mit Johann Baptist Strobl und Lorenz Hübner die Theaterzeitschrift Der dramatische Censor heraus, den einzigen Versuch einer Münchner Dramaturgie im 18. Jahrhundert. Darin wird nicht nur immer wieder grundsätzlich die sittenverbessernde und aufklärerische Funktion des Theaters betont, sondern auch seine konsolidierende Rolle im Staat definiert.
Schon vor Schiller also wird hier die Schaubühne als moralische Anstalt propagiert, und zudem wird das alle gesellschaftlichen Stände vereinigende Theaterpublikum aufgewertet.
Der Stückeschreiber Babo bediente vor allem seinerzeit beliebte Genres wie Ritterspiel, Soldatenstück, Kolonialdrama, Hausvaterdrama und Lustspiel, experimentierte aber auch mit neuen Theaterformen – mehrfach probierte er die Möglichkeiten des damals noch jungen Mischgenres des Melodramas aus. Im Sinne von Ludwig Tieck, der Babos Schaffen schätzte, werden im ersten Teil des Bands einige seiner Stücke genauer interpretiert, etwa Arno (1776), Das Lustlager (1778), Das Winterquartier in Amerika (1778), Das Fräulein Wohlerzogen (1783), Die Maler (1783), Die Strelizen (1790), Armida und Rinaldo (1793) oder das erfolgreiche Ärztedrama Der Puls (1804). Allesamt gewiss nicht von allerhöchster Qualität und wahrscheinlich deshalb auch seit Langem vergessen. Aber doch ganz brauchbare Ware für die Bühnen ihrer Zeit. Der zweite Teil bietet eine Art Lexikon, das Babos dramatisches Œuvre in seiner Gesamtheit vorstellt. Verdienstvolle Philologenarbeit also.
Sein wohl erfolgreichstes Stück war das fünfaktige vaterländische Trauerspiel Otto von Wittelsbach, Pfalzgraf in Bayern (1782). Otto VIII. (vor 1180–1209) wird dort als ungebärdiger, aber durchaus vielschichtiger Charakter gezeichnet, der an Recht und Gerechtigkeit glaubt und Kaiser Philipp von Schwaben bedingungslosen Gehorsam leistet – bis er gerade von ihm mehrfach gedemütigt wird, was Otto höchst zornig macht und letztlich zur Ungeheuerlichkeit des Kaisermords führt. Am Schluss bereut er seine abscheuliche Tat und stirbt, fast zu einer Art Christus mutiert, als gebrochener Mann und aufrechter Patriot – „Bayern!“ lautet sein letztes Wort, nachdem ihn Heinrich von Kallheim hinterrücks mit dem Schwert durchbohrt hat. Was für ein Stoff!
Babo interessiert – über unterschiedliche Genres hinweg –, wie sich die ‚Stimme der Natur‘, die legitimen Ansprüche des Individuums, in Einklang mit der Komplexität des (modernen) Staates bringen lassen, dessen absolutistische Fundierung er freilich nicht in Frage stellt
heißt es dazu im Vorwort. Vom Publikum wurde das Stück bejubelt, Kurfürst Karl Theodor jedoch verbot es schon nach der zweiten Aufführung – er fasste Otto von Wittelsbach als Kritik an seinem Plan auf, Bayern gegen die Österreichischen Niederlande einzutauschen, und wollte verhindern, „dass sich ein patriotisch-bayerisches Nationalgefühl mit dem Haus Wittelsbach verband“. Interessant, oder? Dennoch wird keine heutige Bühne dieses historische Trauerspiel ins Programm nehmen. Joseph Marius von Babos Werk ist veraltet und womöglich ganz zu Recht vergessen. Die Einzelanalysen und der Lexikonteil dieses Buchs sorgen dafür, dass man sich nun immerhin ein Bild davon machen kann.
|
||