Auf kunstvolle Weise wortkarg

Judith Kuckarts Roman „Die Welt zwischen den Nachrichten“

Von Hannes KraussRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannes Krauss

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judith Kuckart hat ein Dutzend Romane, Erzählungen und Essays veröffentlicht. Dennoch rangiert in ihrem Wikipedia-Eintrag die Schriftstellerei nur an vierter Stelle (hinter Tanz, Choreografie und Regie). Und im Literaturbetrieb bewegt sich diese Autorin oft unter dem Aufmerksamkeitsradar.

Ihr zuletzt erschienener Roman Die Welt zwischen den Nachrichten bietet eine gute Gelegenheit, nicht nur die Verfasserin kennenzulernen, sondern auch ein originelles Stück Gegenwartsliteratur. Das Buch mag in die Rubrik Autofiktion passen, unterscheidet sich aber von vielem, was sonst unter diesem Etikett firmiert. Es ist weder Bekenntnis noch Enthüllung; es ist ein gelungener Versuch, fünfundsechzig Jahre Leben in Literatur zu packen.

Judith Kuckart hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sich ihre Romane und Erzählungen auch aus Biographischem speisen. In all ihren Texten finden wir Spuren einer Vita, die die Autorin von Schwelm über Dortmund, Wuppertal, Rom, Zürich und viele andere Stationen nach Berlin (und gelegentlich wieder zurück) führte. Ihr jüngster Roman nun handelt explizit davon (und enthält Spuren der bisherigen Bücher). In unterschiedlich langen Sequenzen werden vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Schlüsselereignisse (wie Ölkrise, Geiselnahmen und Morde der RAF, Ende der DDR) Bilder aus einem bewegten Leben aufgefächert – Momentaufnahmen, die sich zu einer ganz eigenen Form von Autofiktion formieren.

Themen sind unter anderem die Kindheit in einer kleinbürgerlichen Familie, eine Kleinstadtjugend am Rande des Ruhrgebiets, Porträts von Mutter, Großmutter und Vater („Ich liebte den, aber ich konnte ihn eigentlich nicht leiden“), eine in den Terrorismus abgedriftete Nachbarstochter, Tanz und Theater, Freundschaften, Beziehungen (toxische und haltbare), eine Vergewaltigung und eine Teenager-Schwangerschaft. Entstanden ist ein ungemein facettenreiches Buch, das Vergangenes literarisch gestaltet.

Die verschiedenen Erinnerungssplitter und -szenen werden ergänzt durch zwölf eingefügte „Kantinengespräche“ mit „Eva K.“. Diese hatte die Erzählerin einst zum Tanzen ermuntert und ihr die erste Schreibmaschine gekauft; Frau K. hat aber auch Züge einer früheren Englischlehrerin und gelegentlich klingt sie wie ein Alter Ego der Autorin. Ob diese Gespräche real sind oder nur im Kopf der Erzählerin stattfinden, bleibt offen. Gesichert ist ihr Ort, eine Theaterkantine. Hier wird in der Gegenwart kommentiert und reflektiert, was auf der (Vergangenheits-)Bühne sich abspielt. Zugleich ist das ein Verweis auf die Institution, in der die Autorin ihre ästhetische Grundausbildung erhalten hat: das Theater.

Judith Kuckart erzählt weniger, als dass sie Ereignisse sprachlich inszeniert. Erklärungen und Schlussfolgerungen sind rar, stattdessen findet man mit Bedacht gewählte Requisiten. Kuckarts Texte erfordern die Mitarbeit der Leserinnen und Leser. Dass sie mitunter ein bisschen chaotisch wirken, mag an der Herkunft der Autorin vom Tanztheater liegen. „Zu tanzen ist eine Mischung aus Chaos und Ordnung“, heißt es an einer Stelle dieses Buches, das sich streckenweise liest wie Sprache gewordener Tanz.

Kuckarts Schreibweise lässt Raum für Assoziationen. Manches bleibt vage, anderes wird verschwiegen. Die Sprache ist auf kunstvolle Weise wortkarg, aber das schafft Nachdenk-Lücken. Einzelne Sätze reißen Löcher in den Alltagsnebel. Flüchtiger Lektüre widersetzt sich das Buch. Unverkennbar – nicht nur wegen der eingestreuten Schwarz-Weiß-Fotografien – ist, dass zu den literarischen Vorbildern der Autorin auch Alexander Kluge gehört. Bei ein paar Datumsangaben mag man fragen, ob das inszenierte Lakonie oder Nachlässigkeit ist – aber das soll ein Problem für Buchhalter bleiben. Buchleser können sich freuen über ein eindrucksvolles Stück Literatur.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Judith Kuckart: Die Welt zwischen den Nachrichten. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2024.
220 Seiten, 24 EUR.
ISBN-13: 9783832168469

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