Region zwischen Glaubenskampf und Glaubensnetz

Über einen Ausstellungkatalog des Stadtgeschichtlichen Museums Rostock

Von Martin MeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Meier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum 500. Reformationsjubiläum warteten 2017 zahlreiche Museen mit Ausstellungen auf. Monografien, Aufsätze, Veranstaltungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen verwiesen auf das Ereignis weltgeschichtlicher Dimension. Zu dieser kaum überschaubaren Vielfalt trug auch eine Ausstellung im kulturhistorischen Museum Rostock bei, die sich der Reformation in der Hansestadt, in Mecklenburg und, im weitesten Sinne, im Ostseeraum zuwandte. Der die Ausstellung präsentierende Katalog Das Netz des neuen Glaubens. Rostock, Mecklenburg und die Reformation im Ostseeraum bietet vier kurze Aufsätze und, wie es sich für eine derartige Publikation gebührt, ausgewählte Objekte, die in einer nachvollziehbaren Struktur dargeboten werden.

Den Beitragsreigen eröffnet Sabine Pettke, die eine Reihe interessanter Details zum Leben des bekannten Kantors der St. Petri Kirche und bedeutenden Reformators Joachim Slüter bietet, der die evangelische Konfession durch die Publikation zweier Bücher vorantrieb. Pettke richtet auf Basis bislang unerschlossenen Quellenmaterials aus dem Stadtarchiv Rostock und dem Landeshauptarchiv Schwerin ihr Augenmerk auf die frühen Jahre Slüters, vor dessen Hochzeit. Sie geht hierbei auf das Ringen zwischen evangelischer und katholischer Lehre ein, das nicht zuletzt durch die beiden damaligen Mecklenburger Herzöge Albrecht VII. und Heinrich V.  verkörpert wurde. Heinrich protegierte hierbei die protestantische Seite und sorgte für die Einsetzung Slüters in das Amt des Kaplans an der St. Petri Kirche, besoldete seinen Schützling aber nicht. Dieser bezog stattdessen, so wie üblich, Einkommen aus dem Kirchengut Papendorf. Auch zur Ortsgeschichte trägt Pettke mit ihrer Darstellung bei.

So interessant und wertvoll ihre Erkenntnisse für ein kleines Fachpublikum sein dürften, dem unbedarften Leser, dem Besucher einer Ausstellung, der den Katalogband erwirbt, um einen intensiveren Zugang zur Thematik zu erleben, erschließt sich nicht, warum Pettkes Aufsatz an dieser exponierten Stelle Aufnahme fand. So wäre einleitend ein Überblick über die Geschichte der Reformation in Rostock und Mecklenburg sicher sinnvoll gewesen. Hinzu kommt der schwache Stil der Autorin.

Erst der dritte, aus der Feder Steffen Stuths stammende Aufsatz Mecklenburg und die Reformation bietet die nötige Einbindung in den historischen Kontext. In Mecklenburg war die Reformation eng mit innerterritorialen politischen Auseinandersetzungen verwoben. Ihre Geburtsstunde schlug wohl mit dem im Juni 1549 stattfinden Landtag. An der Sagsdorfer Brücke bei Sternberg lehnten die Landstände das sogenannte Augsburger Interim des Jahres 1548 ab. Jener Vorgang war deutlicher Ausdruck der Konfessionalisierung in Mecklenburg. Zumindest darf dieses Ereignis als wichtiger Impuls der weiteren Entwicklung gelten. Erste Ansätze waren in dem norddeutschen Territorium schon in den 1520er Jahren zu spüren. Vor allem traten sie in den Hansestädten Rostock und Wismar hervor. Die Reformation war in Mecklenburg eng mit innerstädtischen Konflikten verbunden, so im Falle des um Mitbestimmung im Stadtregiment ringenden Bürgertums. Auch in diesem Aufsatz wird die Bedeutung Joachim Slüters betont, der ab 1523 eine wachsende Zahl Hörer in der St. Petri Kirche um sich scharte. Nach 1525 wurde er zum Autor eines Katechismus sowie eines niederdeutschen Gesangbuches. Mit der neuen Rostocker Ratsordnung von 1531 zeigten sich auch reformatorische Entwicklungen innerhalb des Stadtregimentes. Hier wurde der Einfluss der Stadt auf das Kirchenregiment verankert. So war ihm zu entnehmen, dass in den Kirchen nur noch auf lutherische Art zu predigen war. Dies konnte auch mit Ausnahme des Klosters zum Heiligen Geist in der Folgezeit durchgesetzt werden.

Die Auseinandersetzung um die kirchliche und religiöse Erneuerung in Mecklenburg zeigte sich nicht nur im Kampf um das städtische Regiment, sondern offenbarte sich auch in der Landesherrschaft selbst. So stand Herzog Heinrich V. der Reformation aufgeschlossen gegenüber, während sein Bruder Albrecht VII. und dessen Frau Anna von Brandenburg dem Katholizismus verbunden blieben. Die Reformation wirkte hier durchaus auf den Streit um die Teilung des Herzogtums und die Herrschaftsausübung im Land. Erste Ansätze zur Schaffung des landeskirchlichen Regimentes hat es in Mecklenburg bereits unter Magnus II. gegeben, der bis 1503 herrschte. Auch Albrecht VII., der dem alten Glauben weiter verpflichtet blieb, hatte bereits im beginnenden 16. Jahrhundert verstärkt Einfluss auf die Verzeichnung von Patronaten, Stiftungen, Hebungen und Pfarreinkommen genommen. Er erkannte also ebenso wie sein Bruder Heinrich V. die Möglichkeiten, die von der Reformation für die Stärkung der Landesherrschaft ausging. Der Konflikt zwischen beiden Brüdern wirkte sich auf die Ausbreitung der Reformation in Mecklenburg aus.“So war 1534/35 nur eine von 33 Pfarren, die Albrecht unterstanden, mit einem Protestanten besetzt (25)“; unter Heinrich waren es aber 14 von 39. Als Johann Albrecht I. in Mecklenburg im Jahr 1547 zur Regierung gelangte, erhielt die Reformation weiteren Auftrieb. Er stand in jungen Jahren mit Philipp Melanchthon in Verbindung, mit dem er an der brandenburgischen Universität Frankfurt/Oder studierte. Gemeinsam setzen Heinrich V. und  Johann Albrecht I. 1540 Gerd Oemke als Dompropst in Güstrow ein. Der eingangs erwähnte Sternberger Landtag von 1549 führte gleichzeitig dazu, dass die geistlichen Güter, vor allem Klosterbesitz, Teil des Gymnasiums wurden. Die Prälaten waren als dritter Stand auf diesem Landtag letztmalig vertreten. 1554 wurden die Klöster auf herzoglichen Befehl hin aufgehoben. 1570 entstand eine neue Konsistorialordnung, an der der Rostocker Theologe David Chytraeus (1531–1600) maßgeblich beteiligt war.

Hillard von Thiessens gelungener Beitrag thematisiert das Besondere, in diesem Fall die Umbrüche, die die Reformation mit sich brachte. Anknüpfend an den Forschungsstand der letzten Jahre sieht von Thiessen die Reformation als einen evolutionären Prozess, der nicht „vom Himmel gefallen“ sei. Ausgangspunkt der Reformation war die Diskussion um das Seelenheil. Die Reformation diente letztlich zur Festigung weltlicher Macht. Thiessen verdeutlicht die Blockbildung und Konfessionalisierung, die von der Forschung betont werde, habe zu einer Übergewichtung der Reformation geführt.  Luthers Schaffen sei eben nicht mit der  Reformation gleichzusetzen. Sie war vielmehr Ergebnis von Prozessen und Umbrüchen, meint von Thiessen, und nicht das Werk eines einfachen, einzigen Meisterstreiches des Wittenberger Reformators. Die Herausbildung von gegnerischen Blöcken werde heutzutage von vielen Historikern als folgenreicher gesehen, als die Reformation selbst und werde vor allem mit dem Begriff der Konfessionalisierung umschrieben. Beide Strömungen, Reformation und Gegenreformation, würden heute als grundlegend für den Weg Europas in die Moderne betrachtet. Das Ringen beider Strömungen miteinander habe ein stärkeres Eingreifen der Staatsmacht zufolge gehabt und deren Ausbau somit legitimiert. Abschließend konstatiert von Thiessen die heutige Entkopplung der Forschung vom konfessionellen Bekenntnis des einzelnen Historikers. Er begrüßt, dass nun eine „ökumenische Forschung“ möglich sei.

Im vierten Beitrag des Bandes wendet sich Otfried Czaika der Reformation in Nordeuropa zu. Einleitend relativiert er den Begriff des „Nordens“, der für viele Reformatoren gleichsam für den  Rand der Welt, ein abgelegenes Gebiet an der Peripherie Europas stand. So empfand auch Martin Luther es als eine Art Strafversetzung, als er den Ruf nach Wittenberg erhielt. Auch für den aus dem Kraichgau stammenden Polyhistor David Chytraeus, der 1551 von Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg an das Rostocker Pädagogium berufen wurde, lag Rostock quasi „am Ende der Welt“. Die Relativität des Begriffes „Norden“ zeigt sich am Verhältnis zwischen Mecklenburg/Rostock auf der einen Seite und dem europäischen Norden auf der anderen. So wurde das plattdeutsche Gesangbuch des Rostocker Reformators Johann Slüter zu einer wichtigen Quelle der ersten in Schweden und Dänemark erschienenen Gesangbücher. Seine Arbeiten waren zudem eine wichtige Voraussetzung der sogenannten Rostocker Singbewegung, die auch in Skandinavien eine gewisse Rolle spielte. David Chytraeus hat zudem in besonderem Maße auf Nordeuropa gewirkt, da seine Schüler in Rostock ein theologisches Studium durchliefen. Sieben dieser Schüler waren zwischen 1574 und 1646 Erzbischöfe in Schweden. Die Bedeutung Rostocks und Stralsunds für Nordeuropa zeige sich auch darin, so der Autor, dass die um das Jahr 1570 geführten Friedensverhandlungen für den Dreikronenkrieg oder auch Nordischen Siebenjährigen Krieg in diesen beiden Städten stattfanden. Czaika unterliegt nicht der Versuchung einer Überbewertung Rostocks und relativiert seine Aussagen, indem er auch auf den kulturellen Austausch des Nordens oder Nordosten mit Lübeck verweist und die Rolle dieser Hansestadt hervorhebt. Abschließend geht er auf die Bedeutung Rostocks für die Reformation im Baltikum ein. So wurde das erste in estnischer Sprache publizierte Lehrbuch von Heinrich Stahl verfasst, der selbst einst in Rostock studiert hatte.

Der zweite Teil des Bandes präsentiert eine sachkundig kommentierte Auswahl einzelner Ausstellungsstücke, die oftmals gut mit den Beiträgen korrelieren, etwa im Falle des Dokumentes 2.1 Nikolaus Rose oder Rutsche mit dem Aufsatz von Thiessen. Niklas Ruß war ein Vorläufer der Reformation, der schon Ende des 15. Jahrhunderts hussitische Ideen in Rostock vertrat. Somit zeigt dieses Dokument den evolutionären Charakter der Reformation und untermauert damit die Aussagen von Thiessen. Das ist nur ein Beispiel von zahlreichen Zeichnungen, Büchern und Dokumenten, die in der Ausstellung zu sehen waren und in den Katalog Aufnahme fanden. Die Abbildungen sind gut lesbar und inhaltlich fundiert kommentiert, sodass sich auch jemand, der nur wenig Ahnung von der Materie hat, schnell in die Thematik eindenken kann. Hierzu trägt ebenfalls bei, dass die Präsentationen der Ausstellungsstücke in Kapitel geordnet sind, die jeweils mit einer kurzen Einleitung versehen wurden. Präsentiert werden auch dingliche Hinterlassenschaften, beispielsweise ein Armreliquiar aus Norddeutschland, eine Handreliquie, ein Teil eines Chorgestühls aus der St. Nikolaikirche Rostock oder verschiedene Messgewänder. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen zum Farbkanon mittelalterlicher Messgewänder. Deutlich wird noch einmal die herausragende Bedeutung Joachim Slüters für die Reformation in Rostock, die Konfessionalisierung innerhalb Rostocks, die Bedeutung David Chytraeus für Nordeuropa, alles anhand von verschiedenen Ausstellungsstücke. Kurzum: Den Herausgebern des Kataloges ist ein sehr informatives Werk gelungen, das tiefere Einblicke in die Reformation in Rostock und Mecklenburg bietet. Lediglich die einführenden Beiträge des Bandes hätten in einer anderen Anordnung präsentiert werden können. So wäre es sicher günstiger gewesen, den Beitrag von Hillard von Thiessen an die erste, den von Steffen Stuths an die zweite und von Pettke an die dritte Stelle zu setzen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Kulturhistorisches Museum Rostock: Das Netz des neuen Glaubens. Rostock, Mecklenburg und die Reformation im Ostseeraum.
Schriften des Kulturhistorischen Museums Rostock – Neue Folge 17.
Hinstorff Verlag, Rostock 2017.
128 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783356020878

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