Lasst uns miteinander reden!

Smalltalk in Zeiten der TikTokisierung

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler und Stefanie von WietersheimRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie von Wietersheim

Rätsel des Lebens. Wie, um Himmels willen, konnte es dazu kommen, dass Menschen immer weniger miteinander reden, wenn sie zusammen sind? Dass sie verstummen und dabei Fischen im Aquarium gleich auf eine kleine Glasscheibe glotzen? Keinen geraden Satz rausbringen und tonlos an einem Stück Brot kauen.

So wie neulich: Sechs Menschen am Freitagabend in einem knallvollen Pizzarestaurant. Italo-Pop wabert durch den Raum, das Eis in den Aperol-Gläsern klirrt, am Nebentisch knutscht ein Paar. Es riecht nach Knoblauch und Dolce Vita. Also alles perfekt in der Wohlfühl-Inszenierung einer pseudoitalienischen Osteria-Kette. Doch die Gäste zwischen 15 und 60 Jahren, die um den Tisch sitzen, wirken wie Außerirdische. Sie starren vor sich hin. In ihre Handys. Sagen kein einziges Wort zueinander. Das geht fünf Minuten so, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Kein Laut geht über ihre Lippen, sie nehmen nicht einmal Blickkontakt zueinander auf. Der Kellner stellt Wasserflaschen auf den Tisch, die Gäste nehmen einen Schluck, ohne ihm zu danken, und schauen weiter auf die Bildschirme ihrer iPhones.

Szenen wie diese kann man weltweit fassungslos betrachten, egal ob in der Pizzabude, im Wirtshaus, Café oder eleganten Hotelrestaurant an der Ostsee, in dem dereinst der G7-Gipfel stattgefunden hat. Dass viele Menschen an Orten der Geselligkeit nicht mehr miteinander sprechen und einfachste Smalltalk-Techniken verlernt haben, geschweige denn kein Dinner mehr durchhalten, ohne ständig ihre auf dem Tisch liegenden Geräte zu befragen, ist im Jahr 2024 Alltag geworden. Die die Menschen einsaugenden Smartphones und Tablets bevölkern sogar Liebeslager und Elternbetten, die lange Zeit letzte Bastionen gegen die lärmende Welt jenseits der eigenen vier Wände waren. Haben TikTok-Schnipsel, Insta-Reels und Streaming-Serien Menschen jenen Teil des Hirns zerschossen, der für echte Dialoge zuständig ist? Oder den entzückenden kleinen Bruder des großen Redens, den „Small Talk“?

Es ist Zeit, ihn wieder zu üben. Er kommt nach dem Händeschütteln, dem Kopfnicken, der Vorstellung. Er ist eine hübsche kleine Einlage, mit der man innerhalb von zwei Minuten Freunde fürs Leben findet oder für alle Zeit als grauenvoller Langweiler, Angeber oder komischer Vogel abgestempelt werden kann.

Die Faustregel, dass man beim Smalltalk auf keinen Fall über Krankheiten, persönliche Krisen, Geld und Religion spricht, möchten wir mit dem Tipp erweitern, nicht länger als zwei Minuten – nur auf Nachfrage! – über den eigenen Beruf zu sprechen. Wer einmal beim Stehempfang einem Landwirtschaftshistoriker zugehört hat, der über das Rohrsystem der Bewässerungsanlage im Vorpommern des 19. Jahrhunderts dozierte, wird dies verstehen. Unvergessen ist die Antwort eines Engländers, der auf die Frage, was er denn bei der Firma Airbus mache: „I paint the wings“. In Wirklichkeit leitete er die IT, hatte aber keine Lust, in privatem Rahmen über seinen Job zu sprechen und bog mit Humor in eine andere Richtung ab. Das können sie, unsere Freunde von der kleinen Insel im nördlichen Meer. Auch in der guten französischen Gesellschaft muss man keinem noch so schlauen Manager oder Minister im privatem Rahmen drögen Reden über ihre Meinung zur Lage der Nation/Börse/internationalen Steuersysteme lauschen, sondern redet lieber über die Schönheiten der Auvergne, dieses tolle kleine Comic-Antiquariat oder die neue Pilates-Variante. Wenn daraus ein verbales Ping-Pong-Spiel entsteht, kann der Smalltalk zum besten Teil des Abends werden.

„To work the room“ nennen die Engländer übrigens die Fähigkeit, beim Ankommen auf einer Party oder einem Empfang von sich aus zu anderen Menschen zu gehen, sich vorzustellen und ein paar Worte zu wechseln. Für scheue oder gesellschaftlich unerfahrene Menschen der absolute Horror. Für Salonlöwen beiderlei Geschlechts ein Bad in warmem Wasser.

Hier unsere drei Top-Themen für den Einstieg zum Smalltalk:

Woher kennen Sie die Gastgeber?

Kompliment über das Outfit, aber Vorsicht: nicht zu anmachig (immer an Rainer Brüderle mit seinem Satz über den Busen einer Journalistin denken, der seinen Ruf ruinierte).

Über den Wein oder das Fingerfood sprechen.

Schimpfen Sie nicht über das beschissene Wetter, den warmen Sekt, die hirnlose Regierung, den deprimierenden Rentenbescheid. Versuchen Sie mit den Augen zu lächeln.

Bleiben Sie auf Augenhöhe. Egal ob Ihnen der Bundespräsident, Anne Will oder der Schulfreund Ihres Kindes gegenübersteht. Im Smalltalk sind Standesunterschiede aufgehoben, weder Ehrfurcht noch Überheblichkeit sind zugelassen.

Bereiten Sie sich auf die Begegnungen ein wenig vor, wenn Sie wissen, wer kommen wird. Google macht es so einfach, Gemeinsamkeiten zu finden, sie sind der Kern jeder herzlichen Begegnung. „Ich glaube, wir teilen dieselbe Freude am Chorsingen, Gärtnern, Modelleisenbahnen…“

Verharren Sie nicht bei einem einzigen Thema: Smalltalk ist Themen-Hopping, kein Oberseminar. Ping Pong!

Vermeiden Sie zu lange Gesprächspausen. Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, sprechen Sie die Blumendekoration an. Wenn es keine gibt, ist das das Thema: „Wieso sehe ich hier keine Blumen auf dem Tisch? Das nächste Mal bring ich welche mit. Und nicht wieder Wein. Mögen Sie lieber Rot, Weiß oder Rosé?“

Und vielleicht wird so aus dem Small Talk dann ein Big talk über die besten Mate-Limonaden, Malraux und Marrakesch. Und es entsteht ein wirkliches Gespräch, bei dem Menschen sich einander zuwenden und öffnen.

Wir schließen mit dem großen deutschen Philosophen Janosch, alias Horst Eckert, der auf die Frage „Herr Janosch, was wäre eigentlich gewesen, hätten Tiger und Bär Smartphones gehabt?“ antwortete: „Sie hätten Panama einfach gegoogelt und wären im Übrigen am Tisch sitzen geblieben.“ Aber, so wie wir Janosch kennen, hätten sie sich dabei über Gott und die Welt unterhalten und nicht weiter in ihre Handys geglotzt.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zur monatlich erscheinenden Kolumne „Rätsel des Lebens“ von Dirk Kaesler und Stefanie von Wietersheim.