Das Kind im Manne
Lesley Nneka Arimahs herausragende Kurzgeschichten versprechen ihr eine glanzvolle Zukunft
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGroßartige Schriftstellerinnen hervorgebracht hat die in Nigeria ansässige Ethnie der Igbo schon einige. Auch den einen oder anderen bedeutenden Autor. Ihnen allen voran Chimamanda Ngozi Adichie. Nun hat sich eine weitere Literatin der Volksgruppe zu Wort gemeldet. Ihr Name ist Lesley Nneka Arimah. Soeben wurde ihr Debüt, der Erzählband Was es bedeutet, wenn ein Mann vom Himmel fällt ins Deutsche übersetzt. Abgesehen von einigen kurzen Ausflügen in die USA handeln die dreizehn darin versammelten Kurzgeschichten im Land der Igbo. Das ist jener im Südosten liegende Teil Nigerias, der Ende der 1960er Jahre seine Unabhängigkeit von der Zentralregierung erklärte, sich Biafra nannte und einen Sezessionskrieg mit dem nigerianischen Militär austrug, in dem er schließlich unterlag und wieder in Nigeria eingegliedert wurde. Die Handlungszeit einiger der Geschichten spielt in diese blutigen Jahre hinein.
Zwar handelt eine Storys auch schon mal von Göttinnen, doch stehen zumeist erwachsene oder heranwachsende Töchter und ihre nie unkomplizierten Beziehungen zu Müttern, Tanten oder Cousinen im Zentrum. Sei es, dass sich Tochter und Mutter voneinander entfremden oder dass eine Tochter ihrer längst verstorbenen Mutter begegnet. Bitterböse und darum umso trauriger ist die Story Fallobst, in der eine Mutter sich selbst und ihre Tochter auf betrügerische und der Gesundheit des Kindes abträgliche Weise durchbringt. Wer erwartet dich zuhause erzählt hingegen ebenso tief- wie abgründig davon, wie Babys gemacht werden, nämlich ganz anders als gemeinhin angenommen.
Eröffnet wird der Band mit der auf wenigen Seiten kunstvoll komponierten Kurzgeschichte Die Zukunft sieht gut aus. Ein idealer Einstieg, denn nach ihrer Lektüre blickt man den folgenden Texten erwartungsfroh entgegen. Allerdings handelt die Story nicht, wie ihr Titel vermuten lassen könnte, in der Zukunft, sondern in der jüngeren Vergangenheit. Und zwar in eben jenem Landesteil Nigerias, dessen BewohnerInnen vor einem halben Jahrhundert für ihre Unabhängigkeit kämpften. Über drei Generationen hinweg verknüpft sie tragische Momente im Leben einer Familie, genauer gesagt in dem der weiblichen Familienmitglieder. Zugleich richtet sie dabei einige Schlaglichter auf das Schicksal der Igbo.
Auch die anschließende Geschichte spielt in eben diesem Landstrich. Arimah erzählt sie aus der Sicht einer fast noch kindlichen Ich-Erzählerin, die sich erfolgreich gegen eine dominante Mitschülerin durchsetzt und die Erfahrung macht, dass ihre Klassenkameraden eine „jungenhafte Erwartung“ kultivieren, „aus der die meisten auch nicht herauswachsen würden, wenn sie bereits Männer waren“. Sie glauben, Mädchen gegen allen Protest nach Belieben den Rock lüpfen zu dürfen. Überhaupt erfahren die weiblichen Figuren und mit ihnen die LeserInnen in Arimahs Kurzgeschichten einiges über das, „was die Welt den Töchtern antat“. So werden „Mädchen mit Feuer im Leib“ etwa dazu „gezwungen, aus dem Brunnen der Züchtigung zu trinken, bis die Flammen erlöschen“. Auch sonst sind die Menschen der Short Stories einander im Allgemeinen nicht sonderlich wohlgesonnen.
In Wild wiederum beweist die Autorin ihre Fähigkeit, eine jugendliche Ich-Erzählerin mit dem für ihr Alter typischen Teenager-Humor erzählen zu lassen. Vor ihrem ersten Semester an einer US-amerikanischen Universität wird die Protagonistin von ihrer alleinerziehenden Mutter ganz entgegen ihren Wünschen zu ihrer Tante nach Nigeria geschickt, wo sie alkoholisiert auf einem Fest ihre Cousine in die allergrößten Schwierigkeiten bringt. Ebenfalls humoristisch angelegt ist Glory, deren titelstiftende Figur stets die falschen Entscheidungen trifft. Die Geschichte erzählt davon, ohne je hämisch zu werden oder ihre unglückliche Protagonistin bloßzustellen.
Haben zwei der Storys einen deutlich phantastischen Einschlag, so handelt es sich bei der Kurzgeschichte, die dem gesamten Band seinen Namen gibt, um eine afrofuturistische Dystopie. Sie ist die im herkömmlichen Sinne politischste Story des Bandes.
In allen ihren Kurzgeschichten schafft Arimah lebendige Figuren, denen sie auf wenigen Seiten Tiefe zu verleihen versteht. Ihre Metaphern bestechen und nie schreibt sie ein Wort zu viel, nie eines zu wenig. Zudem glänzt ihr Debüt mit einem Ideenreichtum, der immer wieder Staunen macht. Dabei geht es zumeist um weit mehr, als um das, von dem gerade erzählt wird. Nach einem solchen Einstand würde es nicht wundern, sollte die Autorin zu einer der wirklich Großen ihres Metiers werden. Kurz: Es sind Bücher wie dieses, wegen denen es sich lohnt, lesen gelernt zu haben.
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