Von Bären und Kaninchen

In „Der wilde Detektiv“ versucht Jonathan Lethem das Porträt eines gespaltenen Amerikas zu zeichnen – und scheitert kläglich

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel von Jonathan Lethems neuem Roman führt in die Irre: Der amerikanische Schriftsteller schließt hier nicht an Roberto Bolaños Meisterwerk Die wilden Detektive an, was bei einem Blick auf den englischen Titel (The Feral Detective) und der englischen Übersetzung von Bolaños Werk (The Savage Detectives) auch gleich ins Auge fällt. Schade, dass der Verlag diese Verwechslung (bewusst?) in Kauf genommen hat, denn mit dem Roman des Chilenen hat Lethems Werk rein gar nichts zu tun.

Vielmehr scheint nun langsam die erste Welle der ‚Amerika unter Trump‘-Literatur zu kommen, und wer anderes als der New Yorker Schriftsteller wäre da prädestiniert, gleich in der ersten Reihe zu stehen? Immerhin gehört sein 2009 erschienener Roman Chronic City zu den besten Texten über ein Post-9/11-New York; jene wilde Mischung aus Fakten, Fiktionen und irren Charakteren, die so überzeichnet wirken, dass man wie von selbst stets dazu angehalten wird, hinter ihre wortreichen Fassaden zu blicken, und dort ein Porträt des gegenwärtigen Amerika zu erblicken glaubt.

So ist es zunächst weniger schlimm, dass Phoebe, die Erzählerin, von Beginn an fürchterlich nervt. Lethem lässt seine Geschichte von der Stimme einer übercoolen, neurotischen New Yorker Ex-Journalistin erzählen, die nicht müde wird, ihre zahlreichen Schwächen für die Leser immer wieder herunterzurattern, da sie insgeheim stolz darauf ist, so ein hippes psychisches Wrack zu sein. Weil sie nicht mehr Teil einer Maschinerie sein will, die Donald Trump ungewollt zur Macht verholfen hat, kündigt sie lieber ihren Job, statt journalistische Aufklärungsarbeit zu leisten und ist auch sichtlich stolz darauf, einfach nichts mehr zu tun.

Offen berichtet sie über ihre Tinder-Sucht, die sie natürlich beziehungsunfähig macht, sowie über ihren Unwillen, in dieser schrecklichen Welt überhaupt noch eine bezahlte Arbeit zu übernehmen. Also greift sie einer älteren Freundin unter die Arme, deren junge Tochter verschwunden ist. Da diese ein riesiger Fan des kürzlich verstorbenen Musikers Leonard Cohen ist, liegt der Verdacht nahe, sie habe das buddhistische Kloster in Kalifornien aufgesucht, in dem Cohen über zehn Jahre lang gelebt hat. Als Unterstützung im fremden Bundesstaat engagiert sie einen heruntergekommenen Detektiv – der Titelheld Charles Heist –, der sich aber bald als Mittelpunkt eines Machtspiels zwischen zwei archaischen Survivalist-Gruppen, die in den 60er Jahren als Hippie-Aussteiger in die kalifornische Wüste gezogen sind, entpuppt.

Was seltsam klingt, wäre in einem der älteren, großartigen Lethem-Romane wie Die Festung der Einsamkeit oder eben Chronic City zu einem wunderbaren Porträt des gegenwärtigen Amerika geworden. Doch an Der wilde Detektiv funktioniert leider gar nichts. Die Protagonistin macht scheinbar einen Lernprozess durch, der sie in der klassischen amerikanischen Siedlerbewegung nach Westen ziehen lässt, wo sie dann endlich ihre Bestimmung im Trump-Amerika findet, doch da sich ihr absichtlich dämlicher Sprachduktus im Laufe des Romans nicht ändert, merkt der Leser nur wenig von ihrer Entwicklung. Die Sexszenen mit dem „wilden Detektiv“ sind ebenso hilf- wie geschmacklos und eines Autors wie Lethem einfach nur unwürdig.

Das Schlimmste aber ist der wirre Plot, der im ersten Drittel noch eine recht spannende Entwicklung aufweist, dann aber trotz der interessanten Grundkonstellation völlig zerfranst. Dabei ist gerade die Auseinandersetzung mit den Survivalists in der kalifornischen Wüste Teil einer brandaktuellen Debatte um die Wiederkehr archaischer Riten in einer Gesellschaft, welche beginnt, die Errungenschaften der Moderne abzulehnen und sich – teilweise ganz konkret – in die Wildnis zurückzieht (und Leute wie Trump wählt). Dass diese Bewegung verschiedene Ausprägungen haben kann, zeichnet der im Buch zentrale Konflikt zwischen den männlich dominierten „Bären“ und den weiblich dominierten „Kaninchen“ dar (so nennen sich jene einst vereinten Gruppen). Wenn die Erzählerin ein wenig mehr Reflexionsgabe hätte und nicht in jedem Satz nur um sich selbst kreisen würde, hätte aus dieser Konstellation auch ein interessanter Roman werden können.

Natürlich inszeniert Lethem bewusst eine zu tieferer Reflexion unfähige Protagonistin, die Dinge aber leider nicht einfach darstellt, sondern sie stets auf sich selbst beziehen muss, sodass am Ende ein Roman über eine neurotische New Yorker „Intellektuelle“ (im wahrhaft weitesten Sinne des Worts) und nicht das einer gespaltenen amerikanischen Gesellschaft steht. In anderen Worten: Da Lethem auch noch der Plot entgleist – wo ist ein Lektor wenn man einen braucht? – verliert das Buch an Relevanz und die gute Grundidee versandet im Laufe der immer absurderen Handlung vollends. Bis man nur noch froh ist, dass es endlich vorbei ist.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Jonathan Lethem: Der wilde Detektiv. Roman.
Tropen Verlag, Stuttgart 2019.
335 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783608503852

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