Linker Judenhass im geteilten Deutschland

Jeffrey Herfs Buch „Unerklärte Kriege gegen Israel“ ist aktueller denn je

Von Sylke KirschnickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sylke Kirschnick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht Juden sind besonders, aber der Hass, der ihnen entgegenschlägt, ist es. Weil im Antisemitismus immer zugleich der Westen zur Disposition steht, unterscheidet er sich von anderen menschenverachtenden Feindseligkeiten gegen Gruppen. Kaum etwas wird deutlicher in Jeffrey Herfs neuem Buch Unerklärte Kriege gegen Israel. In 14 Kapiteln untersucht der Historiker linke Judenfeindschaft: Woher kommen faktenwidrige Anklagen wie Apartheid, Kolonialismus und Imperialismus gegen Israel? Wer hat den Zionismus zum Rassismus und Faschismus erklärt? Und wer die zahllosen Vergleiche Israels mit NS-Deutschland in Umlauf gebracht? Auf diese Fragen gibt die neue Studie schlüssig Antwort. Herfs Schwerpunkt liegt auf der DDR und westdeutschen Linksextremisten in der Zeit zwischen dem Sechstagekrieg 1967 und dem Jahr 1989, als der Ostblock zusammenbrach. Juden in Deutschland und israelische Zivilisten waren von der Dauerpropaganda, den Terrorattacken, der Militärhilfe in Form von Schulungen oder Waffenlieferungen an arabische Staaten und die PLO betroffen. Darum bezieht Herf ihre Stimmen in seine Darstellung ein. Beiläufig, dafür umso eindrücklicher, gleicht er die kommunistische, linksextreme, arabische und palästinensische Propaganda gegen Israel mit den Fakten ab, die die geläufigen Schlagworte als das bloßstellen, was sie sind: hasserfüllte Fantasien.

Imperialismus? Kolonialismus? Rassismus? Faschismus?

Die Rede, die das damalige DDR-Staatsoberhaupt Walter Ulbricht wenige Tage nach dem Ende des Sechstagekriegs am 15. Juni 1967 in Leipzig gehalten hatte, versammelte all die oben angeführten Beschuldigungen gegen den angeblich allein verantwortlichen  „Aggressor“: Israel sei das Instrument  des US-Imperialismus, stelle eine Kolonialherrschaft dar und pflege „Rassenwahn und Klassendünkel“. Die Verbindung zum Faschismus zog Ulbricht über das Vokabular „Protektorat“ und „Generalgouvernement“, das die NS-Okkupation in der CSR und Polen assoziieren sollte. Ostdeutsche Medien verglichen den amtierenden israelischen Verteidigungsminister Moshe Dajan unumwunden mit Heinrich Himmler, bezeichneten Israels Präventivschlag als „Blitzkrieg“ (wie auch einige westdeutsche Medien, allen voran der Spiegel) oder unterstellten wie im Libanonkrieg 1982, Israel betreibe eine „Ausrottungspolitik“ und führe einen „Vernichtungsfeldzug gegen das palästinensische Volk“.

Herf zufolge führten die arabische Welt und die Sowjetunion die Faschismus- und NS-Vergleiche in die Medienöffentlichkeit ein. Laut marxistisch-leninistischer Doktrin war der Faschismus eine gesetzmäßige Folge von Kapitalismus und Imperialismus. Den Rassismus-Vorwurf verbreitete die PLO-Charta von 1968. Ihr widmet Herf zu Recht einen eigenen Abschnitt, denn mit Jassir Arafats Rede vor der UNO im April 1974 inspirierte sie die UN-Resolution 3379 von 1975, die den Zionismus zum Rassismus erklärte und Israel auf eine Stufe mit Südafrika und Rhodesien stellte. Aus dieser Zeit stammen die Apartheid-Vorwürfe, die heute an amerikanischen Universitäten gegen Israel erhoben werden. Erst 1991, nach dem Kollaps des Ostblocks, nahm die UNO die Resolution zurück.

In seiner Rede von 1967 hatte Ulbricht die existentielle Gefährdung Israels durch die arabischen Anrainerstaaten im Vorfeld des Sechstagekriegs rundheraus geleugnet. Herf setzt die Drohungen aus den damaligen arabischen Medien dagegen: „Nach diesem Krieg dürfte es kaum jüdische Überlebende geben“, ließ sich beispielsweise der damalige PLO-Chef Ahmad Shukeiri im staatlichen ägyptischen Rundfunk aus Kairo ganz in der Tradition des Rasseantisemiten und NS-Kollaborateurs Amin el-Husseini vernehmen. Weder diese Vernichtungsfantasien noch die Terrorakte gegen israelische Zivilisten waren jemals Thema in ostdeutschen Medien. Westdeutsche Linke mussten diese bloß konsultieren, um sich mit antiisraelischen Parolen zu versorgen. Die Übereinstimmung ist unübersehbar und sie aufzuzeigen, zählt zu den Verdiensten von Herfs Buch. 

Besonders nachhaltig und aggressiv agitierte 1967 und bis zu seiner Auflösung 1970 der Sozialistische deutsche Studentenbund (SDS) gegen Israel. Ins gleiche Horn stieß die nach dem Münchner Olympia-Attentat auf israelische Athleten 1972 vom damaligen Innenminister Hans Dietrich Genscher (FDP) verbotene Generalunion palästinensischer Studenten (GUPS). Die antiisraelische Argumentation der Neuen Linken verlief, wie Herf belegt, über bizarre Umdeutungen: der angebliche Philosemitismus, der in der Wiedergutmachung und der Unterstützung Israels durch die konservativen Parteien bestanden haben soll, sei in Wahrheit Antisemitismus. Da tatsächlich weder Philosemitismus noch Antisemitismus beim Luxemburger Abkommen von 1952, bei der Entschädigung jüdischer NS-Opfer und bei den offiziellen Beziehungen zu Israel im Spiel waren, kreiste die Verurteilung des jüdischen Staats durch den SDS im September 1967 ohne Realitätsbezug um sich selbst, legte aber die antizionistischen Grundsteine im akademischen Milieu. Wie Herf ausführt, behauptete bereits der SDS, die alten antisemitischen Stereotype würden auf Araber (später Muslime) übertragen. Die populäre Opferanalogie von Juden und Muslimen hat hier ihren Ursprung. Nur gilt, was damals Propaganda war, heute mancherorts als Wissenschaft.                     

PLO-Terroristen als Helden

Herf folgt Martin Klokes und Wolfgang Kraushaars Forschungen zum linken Antisemitismus in der alten Bundesrepublik. Die vermutlich erste politisch-militante Kooperation deutscher Linksterroristen mit der PLO war der fehlgeschlagene Brandbombenanschlag auf die Westberliner jüdische Gemeinde am 9. November 1969. Dieter Kunzelmann, Kopf der für dieses Attentat verantwortlichen Tupamaros Westberlin, die kurz zuvor aus einem palästinensischen Ausbildungscamp in Jordanien zurückgekehrt waren, rief in den folgenden Wochen im linksradikalen Szeneblatt Agit 883 wiederholt dazu auf, den deutschen „Judenknax“ und angeblichen Philosemitismus zu überwinden, anders gesagt: mit dem „bewaffneten Kampf“ gegen Israel zu beginnen. Der neue Antifaschismus sei der Antiimperialismus, die neuen Faschisten seien die Zionisten und das neue Dritte Reich sei Israel, das an Palästinensern tagtäglich begehen würde, was einst die deutsche Elterngeneration an Juden verübt hatte.

Bis heute verweisen nur Indizien auf eine linke Täterschaft – der süddeutsche Ableger der Tupamaros unter Fritz Teufel – beim Brandanschlag auf das Seniorenheim der jüdischen Gemeinde München im Februar 1970, bei dem sieben Holocaustüberlebende ermordet wurden. Ob die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die das Olympia-Attentat des „Schwarzen September“ 1972 euphorisch begrüßt hatte, oder Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann von den Revolutionären Zellen, die im Sommer 1976 bei einer Flugzeugentführung im ugandischen Entebbe jüdische und israelische Geiseln von den übrigen absonderten, sie alle folgten Kunzelmanns antisemitischer Täter-Opfer-Umkehr. Dabei half ihnen die DDR.

Jassir Arafat galt in Ostdeutschland, wo er seit Beginn der 1970er Jahre oft zu Gast war, als Freiheits- und Widerstandskämpfer. Die verlogene Friedens- und Gerechtigkeits-Rhetorik vernebelte die Sachverhalte. 1973 eröffnete die DDR eine PLO-Vertretung in Ostberlin. Israel und der Zionismus waren der Feind, den man gemeinsam bekämpfte, die PLO offen terroristisch, die DDR offen propagandistisch und inoffiziell durch jährliche Waffenlieferungen, Ausbildung und Versorgungsleistungen in Millionenhöhe. Heinz Galinski, der Vorsitzende der Westberliner jüdischen Gemeinde, protestierte 1973 vergeblich in einem unbeantwortet gebliebenen Brief an Erich Honecker, der Ulbricht inzwischen an der Staatsspitze abgelöst hatte, gegen die Gefährdung der Juden in der Bundesrepublik. Das Tupamaro-Bekennerschreiben von 1969 hatte Galinski neben der Springer-Presse, die seinen Brief veröffentlichte, zum Feindbild erklärt. Zwar beteuerte Arafat bei öffentlichen Auftritten in der DDR, er bekämpfe keine Juden, sondern nur Zionisten – hört und liest man heute in Aufrufen „gegen Antisemitismus und Zionismus“ (Muslim-Markt) –, doch widersprach das längst den Tatsachen. Zu Rosch Haschana 1970 hatte Galinski an die jüdischen Gemeindemitglieder geschrieben: „Antizionismus und Antisemitismus unterscheiden sich allein dadurch voneinander, dass der eine über die jüdische Gesamtheit den einzelnen und der andere über den einzelnen die jüdische Gesamtheit treffen will. Solche Unterschiede halten wir für völlig belanglos.“

Waffenbruderschaft mit Syrien  

Ob in Gamal Abdel Nassers Ägypten oder in Hafis al-Assads Syrien, DDR-Repräsentanten registrierten immer wieder eine mit offenem, aber kommentarlos hingenommenem Judenhass gepaarte Bewunderung für Deutschlands Militärgeschichte. Beim Angriffskrieg Ägyptens und Syriens im Oktober 1973, dem Jom-Kippur-Krieg, galt Israel in den ostdeutschen Medien erneut als „Aggressor“ und die westdeutsche Regierung trotz Willy Brandts Neutralitätspolitik als „Komplize“. Die DDR lieferte Kampfflugzeuge nach Syrien, die vor Ort von sowjetischen Piloten geflogen wurden. Das enge Bündnis zwischen Syrien und der DDR bestand seit Beginn der 1970er Jahre, als DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und Mustafa Tlass, der künftige syrische Amtskollege, in Damaskus militärische und zivile Kooperationen vereinbarten, zu denen auch ostdeutsche Waffenlieferungen an Syrien gehörten. Tlass, der die Protokolle der Weisen von Zion (1905) neu aufgelegt hatte, schrieb das Buch Matzo of Zion (1983) über die Damaskusaffäre von 1840 und aktualisierte die alte Ritualmordlegende. Im europäischen Antisemitismus erblickte er eine lobenswerte und erfolgreiche Bewegung, die im Antizionismus eine zeitgemäße Fortsetzung erfahre. Ob Heinz Hoffmann mit Tlass, jahrzehntelang zweiter Mann in der syrischen Militärdiktatur und noch bis 2004 im Amt, über Judenhass debattiert hat, ist laut Herf aus den überlieferten Akten nicht ersichtlich. Deutsche Flüchtlingshelfer aber sollten heute mit Fakten wie diesen vertraut sein.  

Mit seinen früheren Studien (Zweierlei Erinnerung, Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, 1998; Nazi-Propaganda for the Arab World, 2009) ist Herf ein ausgewiesener Kenner der Materie. Für Unerklärte Kriege gegen Israel hat der Historiker neben Forschungsarbeiten eine Fülle Akten aus dem Bundesarchiv sowie Unterlagen der DDR-Staatssicherheit ausgewertet. Er kommt zu dem Schluss, dass alle Beteiligten, von den Linksextremisten in der Bundesrepublik über die offizielle DDR bis hin zu den arabischen Staaten und der PLO voneinander profitierten, sei es in Gestalt materieller Zuwendungen, diplomatischer Anerkennung oder politisch-militärischer Unterstützung. Auch wenn die Übersetzung an manchen Stellen fragwürdig ist und der Stil gelegentlich schwerfällig wirkt, hat Herfs Buch mit seiner Material- und Detaildichte das Zeug zum Standardwerk über linken Judenhass im geteilten Deutschland.                   

Titelbild

Jeffrey Herf: Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967-1989.
Übersetzt aus dem Englischen von Norbert Juraschitz.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019.
518 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783835334847

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