Das kleine Einmaleins der Bibel
In Maria Janitschek Erzählband „Despotische Liebe“ haben misogyne Männer das Sagen
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAnders als in vielen anderen literarischen Werken der 1859 geborenen österreichischen Schriftstellerin Maria Janitschek stehen in den vier Novellen der vorliegenden Sammlung keine Frauenfiguren im Mittelpunkt. Und die wenigen weiblichen Nebenfiguren kommen nicht allzu gut weg. Das kann natürlich auch am dezidiert männlichen Blick der Protagonisten liegen, deren Sicht die Erzählinstanz in aller Regel recht ungefiltert wiedergibt. Eine gewisse Ausnahme bildet allerdings die titelstiftende Erzählung Despotische Liebe, die mit ihren knapp 90 Seiten die umfangreichste des Bandes ist. Einer ihrer beiden zentralen Charaktere ist weiblich. Zudem nimmt die Erzählinstanz sowohl die Perspektive des Mannes wie auch die der Frau ein.
Im Mittelpunkt der ersten Erzählung Atlas stehen zwar ebenfalls zwei Figuren. Allerdings handelt es sich diesmal um Männer. Sie sind in einem gut situierten Haus wie Brüder aufgewachsen und bleiben einander ein Leben lang verbunden, denn sie sind „einander Notwendig wie der Tod dem Leben“. Auch ist ihre innige Verbindung nicht frei von homoerotischen Anklängen. Fast ließe sich sagen, sie verkörperten zwei Seelen in einer Brust. Denn sie sind in jeder Hinsicht denkbar unterschiedlich. Einer von ihnen, der Atlas genannte Mark ist von buckliger Gestalt und wurde vom Herrn des Hauses an Sohnes statt angenommen. Im Laufe seines Lebens entwickelt er sich zu einem angesehenen Maler. Der leibliche Sohn Gabriel ist hingegen ein gutaussehender Junge, der nicht nur ein hervorragender Arzt wird, sondern zudem im Besitz von „übersinnliche[n]“ Heilkräften ist.
Erzählt aber wird das Geschehen aus der Sicht Marks. Schon in jungen Jahren verfällt „das vielbegehrteste Mädchen der Stadt“ mit dem sprechenden Namen Flora, dem Mann, dessen Maxime lautet, es sei „immer gut, wenn das Weib Furcht vor dem Manne hat“. Dann aber verlobt sie sich doch mit einem Anderen. Eine größere Rolle als Flora spielt Linchen Groß, „ein süßes kleines Ding“ von gerade einmal sechzehn Jahren. Sie will ihren künftigen Ehemann „lieb behandel[n]“ und ihm „gehorch[en]“, „wie er verlangt“. Dieser Mann soll Gabriel sein, denn sie haben einander versprochen. Mark aber will diese Ehe mit aller Macht verhindern, denn er findet, dass sie nichts weiter als „eine Puppe“ sei, ohne jede „Spur einer Seele, nicht ein Atom Individuelles, nicht ein Fünkchen Geist“. Kurz ein „Nichts“ und daher nicht wert, dass sich Gabriel mit ihr vermähle. Sein immer stärker werdender Widerstand gegen die Ehe führt schließlich zur Katastrophe und es kommt zum Brudermord.
Aufgrund des so unterschiedlichen Erscheinungsbildes beider werden sie von der Erzählstimme einmal mit Siegfried und Mime verglichen. Allerdings ist es hier nicht Siegfried, der Mime tötet. Und wenn sich im letzten Satz der Erzählung das Blut beider vermischt, so erinnert dies ebenfalls an das Nibelungenepos. Wenngleich an dessen Ende nicht das Blut des Vergewaltigers Siegfried und das des hinterlistigen Schwarzalben ineinander fließen, sondern das einer sich für ihre Demütigungen rächenden starken Frau und dasjenige ihres seinem Herrn zwar getreuen, ihr gegenüber aber tückischen Widersachers. Janitschek erzählt die verhängnisvolle Entwicklung, in deren Verlauf zwei einander liebende Brüder auf dem Rücken einer Frau miteinander ringen, in ungewöhnlichen Bildern und Metaphern. Stilistisch dürfte das wohl dem Symbolismus zuzurechnen sein, wenngleich unschwer einige präexpressionistische Anklänge herauszuhören sind.
In jeder, nicht nur stilistischer, sondern auch inhaltlicher Hinsicht unterscheidet sich die titelstiftende Erzählung von dieser Brüdertragödie, die eigentlich eine der Frau ist. Auch ist sie in einem völlig anderen Umfeld angesiedelt. Nicht in der besseren Gesellschaft, sondern unter armen Bauern, die sich in einem alpenländischen Dialekt unterhalten und sich dabei nicht selten schlagfertig streiten. Ihre Protagonistin wird als eigenständige Bäuerin gezeichnet, die zudem eine „eifrige Leserin“ von „Tagesblättern und Zeitschriften“ ist. So will sie denn auch keinen Mann, der seinen Kopf in ihren „Schoss leg[t], um sich die „Haare kraulen“ zu lassen. Das Wunschbild ihres Zukünftigen ist dann aber alles andere als emanzipatorisch. Denn sie träumt von einem „richtige[n] Mann“, der das „Weib, das für ihn’s richtige is“, nicht „lang fragt“. Auch in anderer Hinsicht mag die Erzählung enttäuschen. Denn sie entpuppt sich im Laufe der Lektüre als eher konventionelle Liebesgeschichte, in welcher sich der anfängliche oder vielleicht auch nur vermeintliche Hass zwischen einer Frau und einem Mann als gegenseitige Liebe erweist. Immerhin aber hat die Autorin ein wenig Sozialkritik untergemischt.
Die dritte Erzählung Poverino handelt in den norditalienischen Alpen von einem armen Mann. Psychoanalytisch bewandert ist sie etwa mit einer Freud’schen These gewürzt, die besagt: „Ein Mann sucht immer seine Mutter im Weibe, selbst in den heißesten erotischen Momenten“. In der letzten der vier Geschichten Klare Rechnung wiederum erschießt ein junger Dieb und Vagabund während eines Einbruchs vor Schreck einen Jugendfreund und muss das ganz alttestamentarisch selbst mit dem Tod büßen, um – in diesem Fall ewige – Ruhe zu finden.
In allen Erzählungen sticht die Vielzahl frauenfeindlicher oder zumindest -verachtender Wendungen ins Auge, die zumeist Männern in den Mund gelegt werden und stets unwidersprochen bleiben. So heißt es einmal, alle Frauen seien „gleich“, „nur die Kleider, die sie tragen, sind verschieden“. Ein andermal äußert eine Figur die feste Überzeugung, dass „der Mann […] über dem Weib stehen [muß]“. Auch darüber, was Frauen tun, lassen und fühlen sollen, haben die Männer der Erzählungen klare Vorstellungen: „Hass steht Frauen nicht gut an“, „Schreien passt nit für a Frauenzimmer“ und „allzu viel Stolz taugt a nit“. In Frage gestellt werden solche ‚Weisheiten’ nicht; nicht einmal implizit oder durch den Verlauf der Handlung. Im Gegenteil, auch sie ventiliert immer wieder reaktionäre Weiblichkeitsklischees. So wird eine männliche Figur „gerettet“, weil eine Frau „ihre jungfräulichen Lippen auf seine Stirn [drückt]“ und ein anderer verspricht sich Erlösung durch den „Kuss einer reinen Jungfrau“. Dies allerdings vergeblich. Denn „wie konnte auch etwas, das vom Weibe kam, jemand zum Heil werden?“ Dieses Heil findet er dann mit Hilfe eines alten bibelfesten „Klausner[s]“, dem die Heilige Schrift „kein Gebet-, sondern ein Rechenbuch“ ist.
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