Das (Ehe- und Liebes-)Leben einer jungen Bohemienne in den Roaring Twenties
Ruth Landshoff-Yorks Roman erzählt das letzte Jahrzehnt im „Leben einer Tänzerin“
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Tänzerin Lena Amsel mag heute zwar weithin vergessen sein, zu ihren Lebzeiten war die früh Verstorbene jedoch alles andere als eine Unbekannte. Zumal im letzten Jahrzehnt ihres kurzen Lebens, also in den 1920er Jahren.
Nicht lange nach Amsels Unfalltod hat Ruth Landshoff-York einen Roman begonnen, der von den letzten Jahren einer ebenso waghalsigen wie lebensgierigen und unsteten Tänzerin erzählt, deren Protagonistin Lena Vogel trotz der leichten Namensänderung im Grunde unverschlüsselt Lena Amsels Leben nachzeichnet. Mehr noch, schon als die Schriftstellerin noch mit dem Stift in der Hand am Schreibtisch saß, wusste die Zeitschrift Die Stunde am 26. August 1931 zu vermelden: „Ruth Landshoff schreibt einen Lena Amsel-Roman“. Wie der Herausgeber Walter Fähnders im Nachwort der nun erschienenen Neuausgabe berichtet, erhielt die Autorin von ihrem damaligen Verlag zwar noch im März 1933 die fertigen Druckfahnen zugesandt. Erscheinen konnte der Roman jedoch aufgrund der Machtübernahme der Nazis erst nach dem Ende der Terrorherrschaft der braunen Horden. Tatsächlich sollte es noch bis ins Jahr 2002 dauern, bis das Werk (damals unter dem Titel Roman einer Tänzerin) erstmals publiziert wurde. Dann allerdings folgte schon drei Jahre später eine zweite Auflage und nun die (als solche nicht ausgewiesene) dritte. In ihr bietet Fähnders’ Nachwort sowohl einen informativen Lebensabriss der Autorin wie auch Lena Amsels. Beide kannten einander nicht nur, sondern waren überdies mit dem selben Mann liiert, wenn auch nicht zur gleichen Zeit.
Die Autorin erzählt nicht das ganze Leben der (wie ihr reales Vorbild) 1898 geborenen Protagonistin, sondern setzt ein, als diese Anfang der 1920er Jahre in Berlin schon zu einigem Ruhm als Tänzerin gelangt war, und verfolgt Lenas (Ehe- und Liebes-)Leben bis zu ihrer Todesfahrt 1929, über welche die Handlungszeit nur ein wenig hinausreicht. Die Handlungsorte sind zunächst die Berliner, später die Wiener und ab 1928 die Pariser Bohème, wo sich die nunmehr ehemalige Tänzerin in Malerkreisen bewegte und den Pinsel (zumindest im Roman) auch selbst zur Hand nahm. Unterbrochen wurde das Bohème-Leben der „geheimnisvoll Bewegte[n]“ die – wenn dies denn „möglich sein sollte“ – von „Anarchisten“ zur „Königin er[hoben]“ würde, durch einen zwei-jährigen Aufenthalt in einem abgeschieden gelegenen Bauernhof in der niederösterreichischen Provinz, den der letzte ihrer insgesamt vier Ehemänner besaß, von denen sie sich allesamt wieder scheiden ließ.
Landshoff-York erzählt Lenas „ganz wirres Leben“ multiperspektivisch aus der Sicht der Protagonistin ebenso wie aus denjenigen ihrer nicht eben geringen Anzahl an Liebhabern und Ehegatten. Ins Auge fällt, dass die detaillierten, aber keineswegs obszönen Liebes- und Koitusszenen aus der Perspektive und dem inneren Erleben des jeweiligen Mannes geschildert werden; der nicht weniger detaillierte Autounfall hingegen aus der Innenwelt der Protagonistin, für die er tödlich endete. Dazwischen eingestreut sind diverse Prügelszenen, in denen es stets verschiedene Männer sind, die prügeln, aber immer dieselbe Frau, die verprügelt wird. Richtig sympathisch wird dabei keine der Figuren. Auch Lena nicht, die ihren „kindlich[en]“ „Ehrenkodex“ zwar bei „jede[r] Gelegenheit zu ihren Gunsten um[biegt]“, deren „Begriffe“ ansonsten aber „starr und unwandelbar“ sind und etwa besagen, dass „eine Frau, die nichts drunter trug, […] ein Schwein [ist]“ und dass „ein Mann, der eine Frau liebt, [sie] heiratet“.
Zwar ist der Roman im wesentlichen chronologisch erzählt, gelegentlich wird aber auch einmal auf die, wie es damals hieß, Backfisch-Jahre Lenas zurückgeblickt, „die mit sechszehn genau gewusst hatte, was sie wollte, und die mit beiden Fäusten danach griff und schlug und schrie, wenn es sich verweigerte“, was allerdings auch daran liegen mochte, dass sich mit Fäusten schlecht greifen lässt.
Begonnen aber wird der Roman mit einer Bettszene, in der sich ein Mann über eine schlafende Frau hermacht. Es ist Cerni, einer der Ehemänner Lenas, der sie nur in diesem hilf- und wehrlosen Zustand „wunderbar“ findet, während er sie „tagsüber nicht ertragen“ kann. Ansonsten verprügelt er sie vom „erstenmal“ an gerne und regelmäßig. Denn „wenn sie groß dasteht und mächtig […] muß man sie schlagen, damit sie klein wird“. Auch glaubt er, er habe das Recht, ihr ihren Beruf zu verbieten. Vor allem aber geht ihm ihr „Vonsichselbst-Überzeugtsein […] unglaublich auf die Nerven“. Sie wiederum sieht in den Schlägen Liebesbeweise, die sie im Bekanntenkreis anhand der erlittenen Blessuren gerne zur Schau stellt. Dabei sucht sie selbst sich ihre (prügelnden) Liebhaber und Ehemänner aus, nicht umgekehrt. Denn sie weiß, dass sie „in denen, die sie lieben sollten, erst das erschaffen mußte, was sie von ihnen haben wollte“.
Lena rast nicht nur durch ihre Liebschaften und ihr Leben, sondern mit ihrem kleinen, aber schnellen Bugatti auch durch die Städte und über Landstraßen. Für die anderen ist „das Fahren mit Lena […] eine lustige Hölle“. Denn sie ist eine ebenso miserable wie unbekümmerte, ja leichtsinnige Autofahrerin, die sich bei einem spielerischen Rennen zusammen mit einer Beifahrerin in den Tod rast.
Mit ihrem Roman habe Landshoff-York „einen bestimmten Frauentyp“ porträtieren wollen, der „die Emanzipationskämpfe der Frauen und der Frauenbewegung seit der Jahrhundertwende bereits voraussetzte“ und dem es „bereits um Ausführung, Ausfüllung neuer Bestimmungen emanzipierter Genderverhältnisse und Geschlechterrollen“ ging, urteilt Fähnders wohl nicht ganz zu Unrecht. Im Falle Lena Amsels schlug sich das etwa in der selbstbestimmten Wahl ihrer Liebhaber oder im Besitz eines kleinen Rennwagens nieder, beides bis dahin noch immer reine Männerdomänen.
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